Verhaltensforschung:Geborene Egoisten

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Schimpansen fehlt der Sinn für Gerechtigkeit. Sie nehmen sich, was sie bekommen können - und reagieren gelassen, wenn sie unfair behandelt werden. Diese Beobachtungen stützen die These, wonach nur der Mensch ein Gerechtigkeitsempfinden besitzt.

Katrin Blawat

Schimpansen und Bonobos haben keinen Sinn für Gerechtigkeit. Verhalten sich Artgenossen ihnen gegenüber unfair, ist ihnen das egal - zumindest, wenn es um das Teilen von Futter geht. Zu diesem Schluss kommen die Heidelberger Entwicklungspsychologin Ingrid Kaiser und die Leipziger Primatologen Keith Jensen, Josep Call und Michael Tomasello ( Biology Letters, online). Ihre Ergebnisse bestätigen frühere Studien - und die Vermutung, dass der Gerechtigkeitssinn eine rein menschliche Eigenschaft sein könnte.

"Maximale Rationierer" nennen Psychologen die unfairen Egoisten. Schimpansen gehören offenbar dazu. (Foto: dpa)

Die Forscher ließen jeweils fünf Schimpansen und Bonobos in einer Variante des sogenannten Ultimatumspiels antreten. Mit diesem testen Wissenschaftler auch den Gerechtigkeitssinn von Menschen. Zwei Affen saßen jeweils vor einem Ende eines Papierstreifens. An jedem Ende lagen fünf Weintrauben. Einer der Affen konnte das Papier so verschieben, dass für ihn selbst mehr und seinen Partner weniger Futter abfiel. Essen konnte der Affe die Trauben jedoch erst, nachdem sein Partner mittels eines Schiebers die Aufteilung akzeptiert hatte. Lehnte der andere ab, gingen beide leer aus.

In den meisten Fällen hatte der Partner nichts gegen die Verteilung der Trauben einzuwenden - auch dann nicht, wenn er zum Beispiel nur zwei bekam, der andere hingegen acht. Nur wenn er überhaupt kein Futter erhielt, akzeptierte er die Entscheidung seines Partners nicht. Der aber verhielt sich dann auch beim nächsten Versuch nicht unbedingt fairer. Für die getesteten Tiere zählte nur, dass sie selbst möglichst viele Trauben fressen konnten. "Maximale Rationierer" heißen diese unfairen Egoisten in der Wissenschaft.

Menschen hingegen zeigen schon in einem Alter von drei Jahren erste Tendenzen, mit anderen zu teilen und nicht nur den eigenen Vorteil im Blick zu haben. Der Gerechtigkeitssinn sei dem Menschen zum Großteil angeboren, müsse sich aber während des Heranwachsens weiter entwickeln, haben mehrere Forscher gefolgert.

Womöglich jedoch liegen die unterschiedlichen Ergebnisse für Mensch und Affe zum Teil auch am Studienaufbau. Das Ultimatumspiel eignet sich wohl für Kinder besser als für Schimpansen, weil es der menschlichen Natur ohnehin entgegenkommt, Nahrung zu teilen. Schimpansen hingegen tun das normalerweise nicht, schreiben Kaiser und ihre Kollegen. So empfanden die Affen ein Verhalten, das die Forscher als ungerecht klassifiziert hatten, vielleicht gar nicht als unfair. Womöglich freuten sich die Tiere einfach über eine Weintraube - selbst wenn der Partner viel mehr bekam.

© SZ vom 17.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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