Verhaltensbiologie:Schlange im Kopf

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Die Warnung "Achtung, eine Schlange!" lässt im Kopf des Menschen sofort das Bild einer Schlange entstehen. Ganz Ähnliches passiert, wenn japanische Kohlmeisen ihre Artgenossen durch einen speziellen Ruf vor Schlangen warnen.

Die Warnung "Achtung, eine Schlange!" lässt im Kopf des Menschen sofort das Bild einer Schlange entstehen. Sie löst Angstgefühle sowie Fluchtreaktionen aus und bringt einen dazu, die Umgebung nach dem gefährlichen Tier abzusuchen. Ganz Ähnliches passiert, wenn japanische Kohlmeisen ihre Artgenossen durch einen speziellen Ruf vor Schlangen warnen, die ihnen gefährlich werden können. Dabei entsteht offenbar auch bei den Vögeln der ganz konkrete visuelle Eindruck einer Schlange, wie die Experimente eines japanischen Biologen jetzt gezeigt haben. Nur der Schlangenalarm - nicht aber andere Warnrufe - lenkte die Aufmerksamkeit der Meisen auf einen Stock, der wie eine Schlange bewegt wurde. Für Schlangen untypische Pendelbewegungen des Stockes erregten hingegen das Interesse der Vögel nicht, berichtet der Forscher im Fachjournal PNAS. Die neurologischen Mechanismen dieser Form der Kommunikation aufzuklären, könnte auch Hinweise auf die Ursprünge der menschlichen Sprache liefern.

"Mit dem mentalen Bild einer Schlange können die Meisen gezielt nach einer Schlange suchen, wo auch immer sie ist", sagt Toshitaka Suzuki von der Kyoto University. Japanmeisen werden in ihrem Lebensraum von der Japanischen Kletternatter bedroht. Entdecken die Vögel eine solche Schlange, fliegen sie in geringem Abstand mit gespreizten Flügeln und Schwanzfedern über sie, um sie zu vertreiben. Der in den Experimenten eingesetzte bewegte Stock lockte die Meisen nur an. Wahrscheinlich erkannten die Vögel dann den falschen Alarm.

Frühere Beobachtungen des Biologen Suzuki hatten ergeben, dass die der Kohlmeise sehr ähnlichen Vögel auf den Schlangenwarnruf je nach Situation unterschiedlich reagieren: Hörten sie den Alarm in ihrer Nisthöhle, ergriffen sie sofort die Flucht, um sich in Sicherheit zu bringen. Nahmen sie denselben Ruf außerhalb ihres Nestes wahr, suchten sie im Flug den Boden nach einer Schlange ab, um sie zu vertreiben. Der Alarm löst also nicht ein festgelegtes, immer gleiches Verhalten aus, sondern vermittelt zunächst eine ganz konkrete Botschaft. Sie erzeugt ein imaginäres Bild eines bestimmten Feindes und ermöglicht speziell darauf abgestimmte Reaktionen. Diese Fähigkeit muss sich bei den Vögeln im Lauf der Evolution als vorteilhaft erwiesen haben. Durch akustische Signale ein konkretes Bild im Kopf zu erzeugen, galt früher als typisch menschliche Denkleistung. Inzwischen weiß man, dass mehrere Primaten und einige Vögel auch dazu fähig sind.

© SZ vom 31.01.2018 / wsa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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