Verhaltensbiologie:Ein beherrschtes Insekt

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Haben Ameisen die Fähigkeit zur Selbstkontrolle? Biologen haben in Experimenten zumindest beobachtet, dass die Insekten Strapazen auf sich nehmen, um die beste Nahrung zu ergattern. Schnell und leicht ist hingegen nichts für die Tiere.

Von Katrin Blawat

Ameisen können sich selbst beherrschen und Verlockungen widerstehen. Zu diesem Schluss kommen Biologen der Universität Regensburg, nachdem sie die Fähigkeit der Insekten zur Selbstkontrolle getestet hatten. Die Ameisen sollten wählen zwischen einer qualitativ besseren Futterquelle in 120 Zentimeter Entfernung oder schlechterem (weil deutlich weniger süßem) Futter nur 60 Zentimeter von der Nestbox entfernt. 69 Prozent der Schwarzen Wegameisen entschieden sich für das bessere, aber weiter entfernte Futter, berichten Stephanie Wendt und Tomer Czaczkes in den Biology Letters. Unterschied sich die Qualität des angebotenen Futters hingegen nicht, bevorzugte die überwältigende Mehrheit der Insekten die näher gelegene Nahrung.

Erste Hinweise darauf, dass sich die Insekten nicht immer automatisch auf die nächstbeste Lösung stürzen, hatten bereits Versuche mit Ameisenkolonien gegeben. Darin ging es nicht um das Verhalten einzelner Individuen, sondern um die Entscheidung der ganzen Gruppe. Sie musste auswählen zwischen einem nahe gelegenen, aber weniger gut geeignetem und einem besseren, dafür weiter entferntem Nest. Auch hierbei entschied sich die Kolonie überwiegend für die bessere, weiter entfernte Variante.

Nicht nur Laien dürften erstaunt sein über die Aussage, Ameisen verfügten über Selbstkontrolle. Die Autoren der Studie halten ihre Ergebnisse auch deshalb für bemerkenswert, weil viele andere Tiere, denen man größere kognitive Fähigkeiten zutraut, in Versuchen zur Selbstkontrolle oft schlecht abgeschnitten haben. Eine Ausnahme bilden manche Primaten und Rabenvögel. Sie verschmähen in Experimenten eine sofort verfügbare Belohnung, um nach einer Wartezeit besseres Futter zu bekommen. Doch sogar bei diesen Tieren wäre die Fähigkeit zur Selbstkontrolle stärker ausgeprägt, so lassen einige Studien vermuten, wenn die Impulskontrolle auf andere Weise als über das Tolerieren einer Wartezeit getestet werden würde. Möglicherweise sei dieser Ansatz zu künstlich und zu wenig auf das Verhalten der Tiere abgestimmt, geben Wendt und Czackes zu bedenken. Schließlich hängt in der Natur das Überleben vieler Tiere davon ab, rasch möglichst viel Futter fressen zu können.

Am Ende steht also die Frage: Liegt es wirklich an schwach ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten einer Tierart, wenn sie in Versuchen über eine vermeintlich geringe Selbstkontrolle verfügt - oder doch auch an den Wissenschaftlern, die ihren Versuchsobjekten vielleicht unpassende Aufgaben stellen?

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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