Vergessene Pillen:Signal aus dem Bauch

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Dank eines Mikrochips könnten Patienten oder deren Angehörige künftig gewarnt werden, wenn die Einnahme von Medikamenten vergessen wurde. Doch die neue Technik könnte auch Paranoia schüren.

Elke Brüsker

Tablette vergessen? Für viele Patienten ist es ein Problem, an die regelmäßige Einnahme zu denken. Der Pharmakonzern Novartis hat an einem Blutdrucksenker nun eine Chiptechnologie von Proteus Biomedical getestet, die signalisiert, wenn die Pille nicht im Körper ankommt.

Pille genommen? Wenn nicht, könnten Patienten oder deren Angehörige künftig per SMS informiert werden. (Foto: Foto: iStock)

20 Probanden schluckten das Mittel Valsartan. Dies war so präpariert, dass bei der säureabhängigen Zersetzung der Pille im Magen ein elektrisches Signal erzeugt wurde. Dadurch bekommt ein Chip, der als Pflaster auf der Schulter des Patienten klebt, die Information: "Pille eingenommen".

Fehlt das Signal, sendet der Chip eine Erinnerung per SMS. Adressat kann der Patient selbst sein, ein Verwandter oder Arzt. Nicht nur per SMS kann fehlende Compliance - also die nicht eingehaltene Medikamenteneinnahme - gemeldet werden, sondern auch per Wlan. Dann erscheint die Information auf Seiten der medizinisch Zuständigen.

Der Sandkorn-große Pillenchip enthält eine Minibatterie, die aus Nahrungsbestandteilen hergestellt und gut verdaulich sei, versichert Proteus Biomedical. Kommt sie mit Wasser in Kontakt, entsteht das elektrische Signal, das durch das Gewebe weitergeleitet wird. Das kostet nur einen Cent pro Pille. Unklar ist der Preis für das Chip-bestückte Pflaster, das auch Herzrate oder Atemfrequenz ermitteln kann.

Das kalifornische Unternehmen Proteus Biomedical entwickelt bereits implantierbare Chips. Es wirbt, seine Technologie ermögliche es, das "patientenspezifische Medikamenten-Einnahmeverhalten und physiologische Antworten zu kommunizieren". Kontrollieren wäre wohl das bessere Wort.

Nähe statt Technik

Dies könnte für Demenzkranke, die ihre Tabletten leicht vergessen, aber nützlich sein. Viele Medikamente werden nicht geschluckt, sondern landen im Müll. So nimmt jeder zweite Schizophreniekranke ein Jahr nach Entlassung aus der Klinik seine Arznei nicht mehr ein. Unter Bluthochdruckpatienten schluckt auch nur jeder Zweite sein Medikament.

Nick Peters, Kardiologe vom Imperial College London kann der neuen Technologie viel abgewinnen: Sie mache Patienten und ihre Familien stärker.

"Der Fokus liegt auf der Nicht-Einnahme und Ziel ist es, diese zu verhindern", sagt Jochen Schuler von der Universitätsklinik Salzburg. Das sei problematisch, weil der Patient seine Medikation womöglich verweigert, da er sie nicht verträgt. "Bevor man Druck ausübt, muss man der Sache auf den Grund gehen."

Es bestehe Hoffnung, mit der Chiptechnologie Kosten zu sparen, sagt Nick Peters. Doch vor allem chronisch Kranke und Patienten mit psychischen Problemen brauchen statt Technik die Nähe zu ihren Behandlern.

"Durch Gespräche lässt sich wahrscheinlich besser verhindern, dass arzneimittelbedingte Probleme entstehen", sagt Schuler. Eine Überwachung per Telekommunikation könne womöglich Gegenteiliges bewirken. Bei psychiatrischen Patienten sei eine Überwachungsparanoia zu befürchten.

Novartis bemüht sich nicht zum ersten Mal, die Mitarbeit von Kranken technisch zu verbessern. Der Konzern bezahlte eine Studie mit 20 000 Patienten, bei denen ein Jahr lang elektronisch erfasst worden war, ob und wann sie das Präparat einer Pillenbox entnommen hatten ( British Medical Journal, Bd.336, S.1114, 2008). Das Fazit: Wie pünktlich Patienten ihr Präparat anfangs schlucken, hatte wenig damit zu tun, ob sie es nach einem halben oder einem Jahr noch einnahmen.

Unklar sind die Folgen, wenn die Therapietreue mit elektronischen Mitteln kontrolliert wird, die rasche Datenweitergabe und Datenspionage begünstigen. Proteus Biomedical entwarnt. Die Signale der Chips können angeblich nicht von außen abgefangen werden. Und der Pflasterchip auf der Haut spreche nicht auf Pillensignale einer anderen Person an, selbst "wenn beide in physischem Kontakt sind".

© SZ vom 30.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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