Homöopathie:Heilung nach dem Ähnlichkeitsprinzip

Homöopathika sind keine regulären Arzneimittel - auch wenn sie inzwischen in vielen Praxen zu finden sind. Der Glaube an ihre Wirksamkeit ist groß. Die Vorstellungen des Homöopathie-Begründes Samuel Hahnemann entbehren allerdings jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.

Colin Goldner

Begründet vor rund zweihundert Jahren von dem sächsischen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) hat sich die Homöopathie bis heute praktisch nicht verändert oder weiterentwickelt.

Homöopathie, Samuel Hahnemann

Samuel Hahnemann (1755-1843)

(Foto: Foto: oh)

Grundlegend für die Lehre Hahnemanns ist das sogenannte Simile-Prinzip: "Ähnliches möge mit Ähnlichem geheilt werden". Demnach soll das passende Heilmittel für ein bestimmtes Leiden dasjenige sein, das, verabfolgt in höherer Dosis, bei einem gesunden Menschen die Symptome ebendieses Leidens erzeugt.

Hahnemann war im Jahre 1790 durch einen zufälligen Selbstversuch auf dieses Prinzip gestoßen: Er hatte festgestellt, dass die Einnahme von Chinarinde, wie sie aus der Behandlung von Malaria bekannt war, bei ihm scheinbar zu malariaartigen Fieberzuständen führte. In der Folge erprobte er an sich selbst und an seinen Familienmitgliedern die Wirkung verschiedenster Pflanzen und Mineralien, die er in hohen Dosen solange verabreichte, bis irgendwelche Symptome auftraten.

Hochverdünnt besonders wirksam

In hochverdünnter Form, so seine Idee, sollten die verabreichten Stoffe als Heilmittel gegen Krankheiten wirken, die mit ebensolchen Symptomen einhergingen. Auch heute noch werden Homöopathika über derartige "Arzneimittelprüfung am Gesunden" getestet.

Das Simile-Prinzip wird allerdings durch keinerlei naturwissenschaftliche oder medizinische Erkenntnisse unterstützt. Tatsächlich muss die Idee Hahnemanns als widerlegt betrachtet werden.

Schon Hahnemann selbst war mit seinem Chinarinden-Experiment einem Irrtum aufgesessen: Chinin, der Wirkstoff der Chinarinde, ruft bekanntlich keineswegs Fieber hervor. Ganz im Gegenteil senkt sie die Körpertemperatur.

Hahnemann hatte offenbar eine seltene allergische Reaktion erlebt, die ihn zu seinem Trugschluss verleitete.

Für das Auffinden geeigneter Therapeutika ist die Simile-Regel grundsätzlich völlig unbrauchbar: Beispielsweise können Eisenpräparate zwar eine Eisenmangel-Anämie beseitigen. In höherer Dosis rufen sie jedoch keine Anämie hervor. Dagegen kann Blei eine Anämie hervorrufen, ohne zur Therapie geeignet zu sein.

Über 20.000 homöopathische Präparate und Kombipräparate unterschiedlichster Verdünnungsgrade stehen heute zur Verfügung, die über Dutzende verschiedener - und einander vielfach widersprechender - Symptom-Nachschlagewerke den Beschwerden des einzelnen Patienten zugeordnet werden können.

Herstellung nach einem stengen Ritual

Die Herstellung der Homöopathika unterliegt strengsten rituellen Vorschriften. Als Rohmaterialien werden Teile von Tieren, Pflanzen und Mineralien verwendet, aus denen sogenannte Ursubstanzen gewonnen werden.

Etwa 1700 verschiedene Rohmaterialien sind heute in Gebrauch - darunter gehäckselte Hoden eines jungen Stieres (Testes juvenis bovis), Bindehaut des Schweineauges (Mucosa oculi suis), zerdrückte Honigbienen (Apis mellifera) oder auch Schleim einer Coloradokröte (Bufo alvarius) -, verbindlich festgelegt wurden sie in der offiziellen Arzneimittelliste der Homöopathie, der sogenannten Materia Medica.

Rohmaterialien wie getrocknete Bettwanzen, faules Rindfleisch oder Tränen einer Jungfrau finden sich nur noch in älteren Ausgaben verzeichnet, inzwischen hat man die wunderlichsten Auswüchse herauseditiert.

Auch aus pathologisch veränderten, abgestorbenen oder bereits in Verwesung übergegangenen Gewebeteilen (z.B. faules Rindfleisch, Pyrogenium) werden homöopathische Präparate hergestellt, desgleichen aus Eiter (etwa Psorinum - Eiterflüssigkeit aus dem Krätzebläschen) und verschiedenen sonstigen Sekreten oder Exkreten des tierischen und menschlichen Körpers. Selbst Mikroben, Bakterien und Viren dienen als Ausgangsmaterial.

Derlei aus "Gift-, Schad- und Krankheitsstoffen" gefertigte Präparate werden als "Nosoden" bezeichnet.

Die Ursubstanzen werden nun schrittweise verdünnt (= potenziert), entweder im Verhältnis 1:10 (D = Dezimalsystem) oder im Verhältnis 1:100 (C = Centesimalsystem). Gelegentlich werden auch Verdünnungen im Verhältnis 1:50.000 hergestellt. Das Procedere folgt einem strengen Ritual:

Für eine D1-Verdünnung wird ein Teil Ursubstanz mit neun Teilen eines Gemisches aus 2/3 Mineralpulver und 1/3 Milchzucker versetzt und in einem Mörser 6-7 Minuten lang verrieben, dann 3-4 Minuten gescharrt, erneut 6-7 Minuten verrieben und nocheinmal 3-4 Minuten gescharrt. Für eine D2-Verdünnung wird ein Teil dieses Gemisches abgenommen, mit neun Teilen Milchzucker versetzt und erneut in der beschriebenen Manier gerieben und gescharrt. Für eine D3-Verdünnung wird der D2-Schritt wiederholt.

Für eine D4-Verdünnung wird ein Teil des D3-Gemisches in ein Glasbehältnis gefüllt, mit neun Teilen eines Wasser-/Alkoholgemisches (meist Weingeist) versetzt und - ab diesem Schritt wichtigster Teil der Prozedur - exakt zehnmal kräftig geschüttelt (das heißt auf ein Lederkissen "in Richtung Erdmitte" geschlagen). Zur Herstellung einer D5-Verdünnung wird ein Teil der D4-Lösung abgenommen, mit neun Teilen Wasser/Alkohol versetzt und erneut zehnmal geschüttelt.

Mit der D5-Lösung (beziehungsweise jeder folgenden und in gleicher Weise vorgenommenen Verdünnung) werden nun - in willkürlicher Menge - kleine Milch- oder Rohrzuckerkügelchen (Globuli) besprüht, die nach dem Trocknen das fertige homöopathische Arzneimittel darstellen.

Das Verdünnen in Centesimalpotenzen erfolgt analog in Hunderterschritten: Für C1 wird ein Teil Ursubstanz mit neunundneunzig Teilen Lösungsmittel verrieben oder verschüttelt, C6 bedeutet folglich ein Teil Ursubstanz in einer Billion Teilen Lösungsmittel.

Nach homöopathischer Vorstellung verstärkt sich die Wirkung des Mittels, je höher es potenziert ist - das heißt: je weniger Wirkstoff es enthält. Der Begriff "Potenzieren" ist deshalb höchst irreführend: Er bedeutet nichts anderes als eine Verdünnung des Wirkstoffes.

D6 entspricht etwa dem Verhältnis von zwei (Pipetten-)Tropfen Ursubstanz auf eine gefüllte Badewanne, D12 einem Tropfen auf das gesamte Wasser des Bodensees. Löste man eine Tablette Aspirin im Atlantik auf, hätte dieser eine Aspirin-Potenz von D20. Ab einer D23 Verdünnung (1:10 hoch 23), dem Überschreiten der sogenannten Avogardo- oder Loschmidt-Konstante, ist rein rechnerisch kein einziges Molekül der Ursubstanz mehr in der Lösung vorhanden.

D31 entspricht dem Verhältnis von einem Tropfen zur Masse der Erde, D47 zu der des Sonnensystems. Verdünnungen wie D100 oder darüber übersteigen bereits unser Vorstellungsvermögen. Dessen ungeachtet operieren Hochpotenzler sogar mit Verdünnungen von D1000 und darüber.

Lässt sich die Wirkung von Tiefpotenzen bis D6 noch mit einem, wenngleich stark verdünnten, nachweisbaren Inhaltsstoff begründen, so fehlt für die vorgebliche Wirksamkeit von Hochpotenzen, in denen kein einziges Molekül der Ursubstanz mehr enthalten ist, jede plausible Erklärung.

Homöopathen bieten hier die "Imprint-Theorie" an: Demnach wird durch das intensive Reiben, Scharren und Schütteln der Lösung Energie zugeführt, durch die dieser die "Information" der Ausgangssubstanz "eingeprägt" oder "aufgestempelt" wird. Diese Erklärung widerspricht allerdings allen Erkenntnissen der Physik und gilt als längst widerlegt.

Ebenso absurd ist die Vorstellung, mit jedem weiteren Potenzierungsschritt (also mit jeder weiteren Verdünnung) würde die Wirkung der Lösung sich "dynamisieren", sprich: verstärken.

Falls dem grundsätzlich so wäre, müssten sich bei der Verdünnung die Wirkungen der im Wasser enthaltenen Bestandteile wie Natrium, Kalzium oder Eisen ebenfalls verstärken. Vielen Homöopathika liegen außerdem 35-prozentige Alkohollösungen als Ursubstanz zugrunde. Konsequenterweise müsste sich auch die Wirkung des Alkohols beim Verschütteln steigern. Das ist jedoch nicht der Fall.

Es ist fast so, als würden die Moleküle während des Verdünnungsprozesses dem Wunsch des Herstellers folgen: Die Wirkung der Ursubstanz verstärkt sich, die aller anderen Substanzen nicht.

Eine nachvollziehbare Erklärung für dieses der Herstellung von Homöopathika zugrundeliegende (angebliche) Phänomen haben auch Homöopahten nicht.

Heilung nach dem Ähnlichkeitsprinzip

Unerklärbar ist auch, weshalb eine verschwindend winzige Dosis einer Substanz als Heilmittel wirken soll, während man täglich ein Vielfaches davon über die Nahrung aufnimmt.

Homöopathika, jedenfalls solche in höheren Potenzen (über D12), haben tatsächlich keinerlei nachweisbare Wirkung. Keine der von Homöopathen bislang vorgelegten Studien konnte überzeugen. (Der Vergleich von Untersuchungen mit homöopathischen und schulmedizinischen Mitteln zeigt vielmehr, dass Erstere dabei schlecht abschneiden.)

Wirkung muss nicht nachgewiesen werden

Im Übrigen zählt die Homöopathie nach dem Arzneimittelgesetz von 1976 zu den sogenannten besonderen Therapierichtungen, deren Heilmittel gar nicht den strengen Prüfungsanforderungen unterliegen, die an reguläre Arzneimittel gestellt werden.

Ihre behauptete Wirkung muss insofern gar nicht anhand der wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesen werden, die Maßstab der Zulassung jedes anderen Medikaments sind. Eine klinisch-kontrollierte Arzneimittelprüfung außerhalb des homöopathischen Binnenkontexts findet nicht statt.

Überzeugte Homöopathen wehren solche Kritik kategorisch ab mit dem Verweis auf die zahlreich dokumentierten Heilerfolge ihrer Methode.

Diese Erfolge lassen sich allerdings jenseits der behaupteten Heilkräfte der eingesetzten Präparate erklären. Sie sind psychotroper Natur: Sie begründen sich in den - tatsächlich ausgezeichneten - Placeboeffekten, die mit einer homöopathischen - sprich: scheinmedikamentösen - Behandlung zu erzielen sind.

Ansonsten beruht der "Erfolg" der Homöopathie vielfach darauf, dass eine große Zahl krankhafter Störungen, beispielsweise Erkältungen, Verdauungsprobleme, Ermüdungs- und Erschöpfungszustände durch Schonung, einfache Hausmittel oder ganz ohne jede Behandlung wieder verschwinden.

Patienten mit solchen Leiden suchen häufig "alternative" Heiler auf, die dann, ebenso wie sie selbst, natürliche oder spontane Heilungsverläufe oder auch zyklische Besserungen als Ergebnis der jeweiligen "Behandlung" interpretieren.

Da die Homöopathie einen Heilerfolg stets nur "langfristig" in Aussicht stellt, kann eine irgendwann tatsächlich eintretende Besserung allemal der jeweiligen Behandlung zugeschrieben werden, auch wenn diese mit dem Krankheits- beziehungsweise Heilungsverlauf gar nichts zu tun hat.

Sollte im Übrigen eine Behandlung partout nicht anschlagen, haben Homöopathen häufig eine einfache Erklärung parat:

Dem Patienten, so heißt es dann immer wieder, standen keine "Regulationspotentiale" mehr zur Verfügung, sein Organismus sei durch "Miasmen" (griech.= Befleckungen) so sehr geschwächt oder blockiert, dass die homöopathische Therapie nicht mehr greifen könne. Bei "Miasmen" soll es sich um Schädigungen handeln, die etwa vererbt oder durch frühere schulmedizinisch-pharmazeutische Behandlungen (Antibiotika, Impfstoffe etc.) verursacht wurden.

Selbst Zustandsverschlechterungen ist vorgebaut: Diese sind häufig angeblich ein untrügerisches Zeichen dafür, dass die Behandlung wirkt. Tritt nach der sogenannten Erstverschlimmerung keine Besserung ein, werden dann wieder besagte "Miasmen" herangezogen, von denen "in unserem Kulturkreis" grundsätzlich jeder Organismus belastet sei.

Übrigens wird Homöopathie nicht dadurch wirksamer, dass sie vielfach auch in ärztlichen Praxen anzutreffen ist und die Präparate über die Apotheke verkauft werden. Vielmehr fühlen sich viele Patienten dadurch sicher noch in der Annahme bestärkt, die Mittel hätten ihre Wirksamkeit bereits unter Beweis gestellt. Was - über einen Placeboeffekt hinausgehend - eben nicht der Fall ist.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

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