Stockholm: Chemie-Nobelpreis:Ein Leben für die Eiweißfabrik

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Sie haben die Werkzeuge des Lebens erforscht: Dafür werden die Wissenschaftler Ada Jonath, Venkatraman Ramakrishnan und Thomas Steitz mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt.

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an die drei Zellforscher Ada Jonath, Venkatraman Ramakrishnan und Thomas A. Steitz. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften an diesem Mittwoch in Stockholm mit.

Die Forscher haben die Eiweißfabrik der Zelle erklärt, das Ribosom. Diese Maschine übersetzt die Erbinformation in die universellen Werkzeuge allen Lebens, die Proteine.

Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit umgerechnet knapp einer Million Euro (zehn Millionen Schwedischen Kronen) dotiert; die Forscher erhalten sie zu gleichen Teilen.

"Es hat die Richtigen getroffen"

"Ribosomen machen irgendwie alles möglich", sagte Måns Ehrenberg, Mitglied des Nobelkomitees für Chemie. Zu den wichtigsten praktischen Anwendungen gehören neue Antibiotika: Wer damit die Übersetzungsarbeit der Ribosomen in krank machenden Bakterien stört, kann die Keime töten.

"Es hat die Richtigen getroffen", sagte der Leiter der Ribosomen-Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin, Knud Nierhaus, voller Freunde. Alle drei seien führende Persönlichkeiten des Gebietes.

Die Bedeutung der 70-jährigen Ada Jonath, Professorin am Weizmann-Institut in Rehovot, hob Nobelkomitee-Mitglied Måns Ehrenberg besonders hervor: "Die Pionierin hier war eindeutig Ada Jonath. Sie hat sich eine Menge technischer Tricks ausgedacht, um den Ribosomen auf die Spur zu kommen."

Die Grundlagen für die Kristallisation von Ribosomen entwickelte die Israelin zwischen 1979 und 1983 am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, von 1986 bis 2004 war sie Leiterin einer Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg.

"Sehr, sehr glücklich"

"Ich bin immer noch ziemlich durcheinander. Aber sehr, sehr glücklich. Das übertrifft alle meine Träume und Wünsche", sagte Jonath nach dem Anruf aus Stockholm.

Der in Indien geborene US-Amerikaner Ramakrishnan ist Gruppenleiter am Molekularbiologie-Labor des britischen Medical Research Councils in Cambridge. Sein Landsmann Steitz arbeitet als Professor für molekulare Biophysik und Biochemie am Howard Hughes Medical Institute der Yale-Universität in den USA.

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Die aus etwa 3,2 Milliarden chemischen Bausteinen zusammengesetzte Erbinformation lagert im Zellkern. Wenn eines der rund 25.000 Gene abgelesen wird, fertigt die Zelle zunächst eine Abschrift, nur diese "Blaupause" verlässt den Zellkern. Außerhalb trifft sie auf die vielen Proteinfabriken der Zelle, die Ribosomen.

Deren genaue Form und Funktion haben die neuen Chemie-Nobelpreisträger geklärt, begründete die Akademie ihre von Experten seit Jahren erwartete Entscheidung. Dazu mussten sie die aus Hunderttausenden Atomen aufgebauten Ribosomen mit Röntgenstrahlen analysieren - ein lange Zeit erfolgloses und noch immer aufwendiges Unterfangen ("Röntgenkristallographie").

"Wahre Krieger"

Ribosomen lesen die Bauanleitung aus dem Zellkern wie einen Lochstreifen und fügen daraufhin Stück für Stück das darin codierte Protein (Eiweiß) aus einzelnen Aminosäuren zusammen. Erst die so wachsenden Proteine sind die universellen Werkzeuge des Lebens: Sie bauen die Muskeln auf, transportieren Sauerstoff, spalten die Nahrung auf, dienen als Botenstoffe oder formen Haut und Haare. Auch das Ribosom selbst ist ein gigantischer Komplex aus vielen Proteinen. Ribosomen gibt es in allen Zweigen des Lebens: bei Bakterien, Pflanzen, Pilzen und Tieren.

Wer etwa die genaue Form eines Bakterien-Ribosoms kennt, kann eine Chemikalie suchen, die sich an einer entscheidenden Stelle darin festklemmt - im Idealfall kann das Bakterium dann keine Proteine mehr herstellen und stirbt. Mittlerweile werden solche nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip andockenden Substanzen virtuell am Computer gesucht und getestet, sagte der geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für strukturelle Molekularbiologie am Desy, Eckhard Mandelkow.

"Alle drei sind wahre Krieger im Kampf gegen die Resistenz bei Antibiotika, die eine immer größere Flutwelle geworden ist", ergänzte Nobelkomitee-Mitglied Ehrenberg. "Sie haben das mit ihren Entdeckungen nicht bewusst angestrebt, aber es ist ein positiver Nebeneffekt."

Im vergangenen Jahr hatten die Amerikaner Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien die Auszeichnung erhalten. Sie haben das grünlich leuchtende Protein einer Qualle zu einem der wichtigsten Werkzeuge der Biologie gemacht. Am Dienstag hatte die Akademie den Physik-Nobelpreis an Charles Kao, Willard Boyle und George Smith für den schnellen Datentransport über Glasfaser und den lichtempfindlichen Chip in Digitalkameras vergeben.

Der diesjährige Medizin-Nobelpreis war am Montag Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak für grundlegende Erkenntnisse zum Altern der Zellen zuerkannt worden. Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/ecs/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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