Mittelamerika:Im Bann der Kaffee-Seuche

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Kaffee prägt Landschaft und Leben in Mittelamerika. Die Kaffee-Seuche trifft die Region hart. (Foto: AP)

Es ist die schlimmste Plage seit mehr als vier Jahrzehnten: Ein Pilz bedroht die Kaffepflanzen im Zentralamerika - und damit die Existenz von Millionen Bauern. Die Auswirkungen sind weit über die Region hinaus zu spüren.

Von Peter Burghardt

Die Seuche, die Kaffeebauern in den Ruin treibt und Kaffeetrinker erschreckt, frisst sich durch einen ganzen Erdteil. Sie wütet in Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica, Panamá. Sie beschädigt Plantagen und Existenzen, eine Katastrophe für Zentralamerika. Spuren hinterlässt das Unheil auch im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und in Peru.

Die Krankheit zeichnet gelblich-orange Flecken auf die Blätter der Kaffeepflanzen, unter denen die Bohnen gedeihen sollten. Sie attackiert auch den Welterfolg Arabica, dessen Saft in wohlhabenden Gefilden aus den Kaffeemaschinen gepresst wird und den Koffeinspiegel hoch hält. Regierungen bis hinauf nach Washington sind in Sorge wegen "la roya", dem Kaffeerost. Und der ist nicht das einzige Problem der Szene.

Seit fast vier Jahrzehnten war dieser Erdteil nicht mehr von einer solchen Plage heimgesucht worden. Mehr als die Hälfte der 933 000 Hektar, auf denen in Mittelamerika Kaffee angebaut wird, hat der Pilz in zwei Jahren befallen und nahezu 400 000 Arbeitsplätze vernichtet. Die Produktion schwindet seit 2012 - die Verluste betragen Hunderte Millionen Dollar, was einigen Gegenden des Kontinents die ohnehin spärliche Lebensgrundlage raubt.

Krisensitzungen wechseln einander ab, die Führung Guatemalas rief 2013 den landwirtschaftlichen Notstand aus. "Der Schaden ist so stark, dass wir ihn in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht ausgleichen können", klagte Ricardo Villanueva, der frühere Präsident des nationalen Kaffeeverbandes. "Gewalttätig und im ganzen Land" tobe der Kaffeerost, sagte Ronald Peters vom costa-ricanischen Kaffeeinstitut der spanischen Zeitung El País. "Wir waren nicht darauf vorbereitet."

Der Todfeind der Branche wurde im 19. Jahrhundert bei wilden Kaffeesträuchern im afrikanischen Osten entdeckt und begann seine destruktive Odyssee. Lateinamerika hielt den Schädling Hemelia vastatrix dank strenger Quarantäne lange fern, aber zuletzt kam allerhand zusammen. Da ist der Klimawandel in den gebirgigen Revieren am amerikanischen Isthmus. Heftiger Regen, dann Sonne und Wind waren ideal für die Ausbreitung der Infektion - der aggressive Kaffeerost erreichte auch höhere Lagen. Bei der großflächigen Ansteckung helfen unabsichtlich auch Tagelöhner, die den Pilz auf ihrer Kleidung von Farm zu Farm tragen. Als Nährboden dienen oft alternde und schlecht gepflegte Gewächse, weitere Infektionen kommen dazu.

Mittelamerika ist für 14 Prozent der weltweiten Kaffeebestände zuständig, Kaffee prägt dort vielerorts die Landschaft und ist ein Symbol. Das weiß jeder, der jemals Anbaugebiete wie die Hänge von Matagalpa in Nicaragua besucht hat. Kaffee ist la grana de oro, das Goldkorn. Mindestens zwei Millionen Menschen verdienen ihr Geld damit, die meisten von ihnen als Landarbeiter. Jetzt werden viele dieser Handlanger nicht mehr gebraucht.

El Salvador meldete bei der Ernte einen Rückgang von 20 Prozent, Costa Rica 27 Prozent, Nicaragua 35 Prozent, Guatemala 40 Prozent. Honduras hat nahezu 50 Prozent seiner Einnahmen aus den Kaffee-Exporten verloren, von 1,4 Milliarden Dollar in besten Zeiten auf 794 Millionen Dollar. Peru musste ebenfalls Erträge abschreiben. Brasilien und Kolumbien haben diese Gefahr zwar bisher weitgehend gebannt. Brasiliens Landwirte leiden jedoch unter enormer Trockenheit, und Kolumbianer hatten erst kürzlich eine Epidemie bezwungen.

Betroffen sind vor allem die Ärmsten, zwischen Mexikos Süden und Panamá lebt jeder Zweite unter der Armutsgrenze. Politiker und Entwicklungshelfer halten schlimme Szenarien für denkbar, selbst die Unterernährung scheint zuzunehmen. Außerdem hat Honduras die höchste Mordrate der Welt, El Salvador und Guatemala leiden ebenfalls unter wuchernden Verbrechen. Drogendealer terrorisieren die Bevölkerung und suchen Verstärkung. Jugendbanden namens Maras töten in Serie, Kinder von Auswanderern in der Peripherie von US-Städten wie Los Angeles hatten die Gangs gegründet. Spätfolgen der Bürgerkriege. Wer kein Auskommen auf einer Hacienda mehr findet, der wird noch anfälliger für kriminelle Versuchungen. Oder er schließt sich jenen Heerscharen von Latinos an, die auf der Suche nach Dollars Richtung USA flüchten. Tausende von ihnen versuchen es auf einem Güterzug, der Zug des Todes genannt wird oder "la Bestia", die Bestie, weil er Menschenleben verschlingt.

Strategen fürchten, dass Farmer auf Koka, Marihuana oder Mohn ausweichen könnten, wenn sich Kaffee nicht mehr lohnt. Und eine mögliche neue Welle der Immigration beunruhigt besonders das US-Außenministerium. "Der Kaffeerost verursacht massive Verwüstung", warnt die US-Entwicklungsbehörde USAid und investiert mehrere Millionen Dollar in den Kampf gegen den Erreger. "Der Kaffeerost bedroht mehr als ihr Frühstück", erläutert der USAid-Mann Mark Feierstein. "Das trifft die Jobs, das Geschäft und die Sicherheit von Millionen Menschen." Wissenschaftler der Universität Texas sollen dazu beitragen, das Debakel jenseits des Río Grande zu bremsen.

Doch das kann dauern. Fungizide sind bei der Gegenwehr das eine, wobei sich der Einsatz von Chemie in der lateinamerikanischen Landwirtschaft bereits zur toxischen Tragödie auswächst. Kupfersulfat kann kurzfristig dabei helfen, das Übel zu kontrollieren. Langwieriger ist der Versuch, resistente Sorten und ökologischen Anbau zu fördern. Aber die Auswirkungen werde man auch 2015 noch spüren, glaubt Carlos Ignacio Rojas, Präsident der kolumbianischen Kaffee-Exporteure.

Mittelamerika liefert wegen La roya, dem Kaffeerost, 16 Millionen Säcke weniger

Der Weltmarktpreis blieb zunächst relativ stabil, was vor allem an brasilianischen Lagerbeständen lag. Mittelamerikanische Farmer hatten angesichts des Angebots lange unter niedrigen Tarifen gelitten. Nun steigen die Kaffeepreise fulminant, das hat aber weniger mit dem zentralamerikanischen Drama zu tun als mit der Dürre des Giganten Brasilien.

Die Niederschläge in dortigen Kaffeezonen liegen weit unter dem normalen Niveau, das könnte sogar die Stromversorgung mit Wasserkraft in Metropolen wie São Paulo behindern. Auch die Angst vor den Auswirkungen des Wetterphänomens El Niño nimmt wieder zu. An den Terminmärkten jedenfalls ist Arabica-Kaffee so teuer wie seit bald zwei Jahren nicht mehr, er stieg 2014 um mehr als 60 Prozent. Das Pfund wurde am Dienstag in den USA mit 1,81 Dollar berechnet. Das Wall Street Journal zitiert Andrea Ily aus Italien mit den Worten: "Mehr als zwei Dollar pro Pfund wären beunruhigend." Nach Ansicht von Analysten könnten es auch mehr als drei Dollar werden.

Mittelamerika liefert wegen la roya, dem Kaffeerost, 16 Millionen Säcke à 60 Kilo weniger als zuvor. Kolumbiens erhöhtes Angebot gleicht das auf globalem Niveau aus, aber für Guatemalteken, Honduraner oder Costa Ricaner ist es ein Desaster. Der Direktor der Internationalen Kaffee-Organisation war nach einem Besuch in Honduras entsetzt und optimistisch zugleich. Verheerend sei die Lage, sagte Robeiro Oliveira Silva vor einem Jahr in der honduranischen Gemeinde Marcala in der Provinz La Paz. Er rief Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank um Hilfe. Doch man könne das Phänomen besiegen, "Länder wie Brasilien und Kolumbien hatten damit Erfolg." Teurer wird Kaffee wegen Brasiliens Wassermangel trotzdem. Man sei gezwungen, schrieb Tchibo auf seiner Website, "unsere Kaffeepreise ab dem 19. Mai 2014 anzupassen."

© SZ vom 30.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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