Luftfahrt:Der tragische Höhenflug der "Comet"

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Der erste Passagierjet der Welt, kurz nach der Landung im Sudan 1952. (Foto: Getty Images)

Nicht Amerikaner, sondern Briten bauten nach dem Zweiten Weltkrieg den ersten Passagierjet - die elegante "Comet". Der Traum endete tragisch.

Von Patrick Illinger

Ein Vergnügen wie selten habe er erlebt, schrieb ein Redakteur der Zeitschrift Flight. Sein Glücksgefühl sei so enorm, dass es "nicht leicht ist, die Begeisterung in einem sachlich angemessenen Rahmen zu halten". Was war dem Mann widerfahren? Tatsächlich nicht mehr als das, was heute Zehntausende Menschen täglich erleben. Der Journalist saß in einem Passagierflugzeug und bestaunte das Schauspiel der vorbeiziehenden Wolken. Man schrieb allerdings das Jahr 1952. Und das Flugzeug war ein aus damaliger Sicht radikales, futuristisches Wunderwerk - das erste Düsen-Verkehrsflugzeug der Welt, die Comet des britischen Herstellers de Havilland.

Doppelt so schnell und doppelt so hoch wie die zu jener Zeit gängigen Propellerflugzeuge stieg die Comet in den Himmel. Im Nachkriegsengland, wo die Autos noch aussahen wie Gangsterlimousinen der 1930er-Jahre und das Commonwealth gerade in Stücke brach, wirkte die Maschine wie eine Erscheinung aus einer anderen Galaxie. Ausgestattet mit vier elegant in die Flügel eingefassten Strahltriebwerken katapultierte dieses glänzende Fluggerät Englands Luftfahrtindustrie an die Weltspitze. Der sensationelle Riss, die zeitlose Eleganz, die Innovation und der Luxus wirkten wie ein Zeitsprung. Die Comet war die aus Aluminium geformte Zukunft.

Mitarbeiter und Journalisten bestaunten 1949 den ersten, später noch leicht modifizierten Prototyp der Comet (Foto: Douglas Miller/Keystone/Getty Images)

Tatsächlich hatte de Havilland, im Krieg wichtiger Erfinder innovativer Kampfflugzeuge, mit diesem Wurf die amerikanische Konkurrenz um Jahre hinter sich gelassen. Der US-Konkurrent Boeing vermarktete damals einen unsäglich hässlichen, mettwurstförmigen, für den Passagierverkehr umgebauten Weltkriegsbomber namens Stratocruiser, dessen Propellertriebwerke mit 28 Zylindern den Fluggästen noch lange nach der Landung im Kopf wummerten.

Wie anders wirkte die torpedoförmige Düsenmaschine aus England, so perfekt gestaltet, dass sich sogar die Cockpitfenster übergangslos in die Rumpflinie einfügten, wie auch die Düsen in die Tragflächen. Die britische Comet war so neu, wie etwas nur neu sein kann. Mit einer Flughöhe von mehr als 10 000 Metern konnte sie widrige Wetterlagen unberührt überfliegen und Turbulenzen abfedern, während Propellermaschinen in den darunterliegenden Wolkenbänken durchgeschüttelt wurden. Heutige Flugzeuge sind vielleicht einige Dezibel leiser. Sie verbrauchen weniger Sprit, fliegen weiter, mit mehr Passagieren an Bord. Doch das Fliegen an sich funktioniert bis heute so, wie es mit der Comet begann: Düsen bringen ein Flugzeug auf rund 40 000 Fuß Höhe und mit fast 900 Kilometer pro Stunde dem Ziel entgegen.

In der Phase waghalsigen Experimentierens kamen mehrere Testpiloten zu Tode

Vier Jahre nach Kriegsende gelang der Erstflug des ersten Comet-Prototyps - lange bevor in Deutschland die Lufthansa gegründet wurde und lange bevor ein gewisser Conrad Hilton seine ersten Hotels in Rom, Athen und Istanbul für den Jetset eröffnete. Der von Geoffrey de Havilland, einem Veteranen des Ersten Weltkriegs, gegründete und geführte Flugzeughersteller hatte schon im Krieg das Potenzial der Düsenantriebe erkannt. 1944 entwarf die Firma erste Konzepte. Unmittelbar nach dem Kriegsende reiste der Chefdesigner mit leitenden Aerodynamikern nach Deutschland, um die dortigen Ingenieure zu besuchen. De Havillands Techniker erdachten bizarre Fluggeräte wie einen Nurflügler für 24 Passagiere. Und mit Experimentalflugzeugen erzielten sie Rekorde, zum Beispiel den für die größte je erreichte Flughöhe. Der Preis dafür war hoch. In dieser Phase waghalsigen Experimentierens kamen mehrere Testpiloten zu Tode, so auch der Sohn des Firmengründers Geoffrey de Havilland.

Das finale Design der Comet war schließlich weniger futuristisch als vieles, was zuvor auf dem Reißbrett erwogen worden war. Aber für die Öffentlichkeit war es ein Quantensprung. Andere Hersteller jener Zeit, vor allem in den USA, wähnten die Düsenfliegerei noch Jahre entfernt. Zudem hielt man jenseits des Atlantiks für ausgeschlossen, dass ausgerechnet das vom Weltkrieg gebeutelte England ein so fortschrittliches Flugzeug bauen würde.

1949 hob also der erste Prototyp einer Comet zum Testflug vom Firmengelände in Hatfield ab. Die Presse hatte man zuvor abgewimmelt - für den Fall, dass etwas schiefgeht. Es folgten erste Bestellungen und die behördliche Zulassung. Am 2. Mai 1952, um 15.12 Uhr Ortszeit, startete der erste Linienflug einer Comet mit 36 Passagieren an Bord. Die Maschine der britischen Überseefluglinie BOAC hob mit Ziel Südafrika vom Londoner Flughafen ab.

"Airlines in aller Welt wussten spätestens von diesem Moment an: Kauft die Comet oder geht unter", schreibt der Buchautor und Chronist Brian Rivas. Ein US-Journalist kommentierte: "Ob wir es mögen oder nicht, die Briten geben uns in Sachen Düsenfliegerei gerade eine Tracht Prügel." 28 000 Fluggäste kamen im ersten Jahr der Jet-Ära in den Genuss einer Reise mit der Comet - und das mit zuvor unerreichter Pünktlichkeit.

Das Cockpit ist so gut erhalten, dass man meint, die Maschine könne jederzeit starten

Heute existiert auf der ganzen Welt von der ersten Comet-Generation nur noch ein einziges Exemplar. Lieblos zwischen allerlei anderen Fluggeräten eingezwängt steht die Maschine in einem Hangar des Royal Air Force Museums in Cosford bei Birmingham. Mit der Kennung F-BGNZ pendelte sie von September 1953 an im Dienst der Air France zwischen Frankreich, dem Nahen Osten und Afrika. Später bastelte die britische Luftwaffe Rumpfverstärkungen sowie kleinere Fenster ein, und nutzte die Maschine als Dummy für Versuche mit Infrarot-Zielerfassung. Danach wurde die Maschine schludrig mit dem Logo der BOAC übermalt (in deren Dienst sie nie flog) und von 1976 an jahrzehntelang unter freiem Himmel auf dem Museumsgelände in Cosford ausgestellt, bis sie vor zehn Jahren einen Platz im Hangar bekam.

Wenn Museumskurator Al McLean das Innere der Maschine vorführt, wird der Glanz der Pioniertage von einst spürbar. Die Kabine ist zwar heruntergekommen, von der Handvoll verbliebener Sessel sind die Armlehnen mit Klebeband geflickt und ein Loch in der Kabinendecke legt die Isolierung frei. Aber viele Details, die Deckenleuchten, die Frischluftdüsen, die "Ne pas fumer"-Anzeige, lassen die Vergangenheit aufleben. Auch die Küche existiert noch, etwas zerbeult, aber mit intakten Schaltern am Ofen. In der ersten Klasse kann man noch Platz nehmen und sich im Heck den Luxus der einst mit Lederwänden ausgestatteten Toilettenräume vorstellen. Das Cockpit ist so gut erhalten, dass man meint, die Maschine könne jederzeit starten. "15 Minuten maximal", mahnt Kurator McLean mit einem höflich-britischen Bedauern, länger dürfe man sich im Cockpit leider nicht aufhalten. Die Leuchtfarbe der Armaturen ist radioaktiv - mehr als es heutige Strahlenschutzgrenzwerte zulassen.

Auf den Sofas der ersten Klasse lässt sich erahnen, was für ein Genuss das Fliegen einst gewesen sein muss, als der Steward den 36 Fluggästen das Essen auf Geschirr servierte und mit dem gut gefüllten Barwagen vorbeikam. Auf diese Weise in Rekordzeit nach Beirut, Nairobi, Rom oder Karatschi zu reisen, das muss in jeder Hinsicht ein sensationelles Erlebnis gewesen sein.

"Stabil wie ein U-Boot" sollte die Comet sein - so forderte es der Konstrukteur Ronald Bishop. Doch das klappte nicht. (Foto: Central Press/Getty)

Kein Wunder, dass de Havilland noch vor dem ersten Linienflug Bestellungen aus aller Welt verbuchen konnte, aus Frankreich, Kanada, Südafrika, Indien - und sogar von der amerikanischen Pan Am. Auch die Modellbaumarke Dinky profitierte mit einer Spielzeugversion der Comet.

Um den Passagieren möglichst wenig den Eindruck zu vermitteln, in einer Röhre zu sitzen, bekam die Kabine große, rechtwinklige Fenster statt runder Bullaugen. Genau das erwies sich leider als kapitaler Fehler. Eine Flugzeugkabine in mehr als 10 000 Meter Höhe muss unter Druck gesetzt werden, damit die Passagiere darin überleben. Wie auch in heutigen Passagierjets drückt im Reiseflug ein Gewicht von fast sechs Tonnen auf jeden Quadratmeter der Rumpfwand. Diese enormen Belastungen, die den Flugzeugrumpf bei jedem Flug ausdehnen, waren den Technikern von de Havilland natürlich bekannt. "Stabil wie ein U-Boot" müsse ein Düsenflugzeug daher sein, erklärte der Chef-Konstrukteur Ronald E. Bishop in der Planungsphase, und man erprobte den gut drei Meter breiten Comet-Rumpf in Drucktanks. Doch blieb verborgen, dass die Spannungen in der Rumpfstruktur an gewissen Stellen gefährliche Werte erreichten - an den Ecken der großen Fenster. Sie wurden zur Keimzelle des Untergangs.

In Karachi krachte eine Comet in einen ausgetrockneten Kanal und brannte aus

Doch das nahende Ende der Comet kündigte sich zunächst auf ganz andere Weise an. Im Oktober 1952 schlitterte eine der Maschinen beim Start in Rom-Ciampino über die Startbahn hinaus. Die Passagiere überlebten, aber das Flugzeug war Schrott. Man gab dem Piloten die Schuld. Er habe auf der Startbahn beim Versuch abzuheben die Nase der Maschine zu steil hochgezogen, hieß es, wodurch der Luftwiderstand der angewinkelten Flügel die Maschine am weiteren Beschleunigen hinderte. Tatsächlich offenbarte sich hier eine Designschwäche, die in den Handbüchern vermerkt wurde, aber vier Monate später erneut zu einem Unglück führte, diesmal mit Todesopfern. In Karatschi raste eine Comet erneut mit steilem Anstellwinkel über die Startbahn, krachte in einen ausgetrockneten Kanal und brannte aus. Neben der Crew starben sechs weitere Personen an Bord. Der Pilot war erfahren, hatte aber nur zehn Stunden am Steuer einer Comet absolviert.

Der Ruf des Flugzeugs bekam erste Risse. Canadian Pacific stornierte die Bestellung weiterer Maschinen des Typs. In der Folge wurden die Wölbung der Flügelvorderkanten aller Comets verstärkt, was das Problem beseitigte. Die Maschine startete nun auch mit maximalem Anstellwinkel. Doch zwei Monate nach dem Unglück von Karatschi zerbarst eine Comet mitten im Flug in einem Monsunsturm über Indien. 37 Passagiere sowie die sechsköpfige Besatzung kamen ums Leben. Einige der Fluggäste waren auf dem Weg nach London gewesen, um der Krönung der jungen Elisabeth II. beizuwohnen.

Die Wrackteile wurden geborgen und akribisch untersucht, aber keine Anzeichen für Materialermüdung entdeckt. Der Sturm war schuld, hieß es, womöglich habe der Pilot falsch reagiert. Die Unfälle ließen sich lückenlos erklären, betonte de Havillands Pressesprecher, und die BOAC sprach dem Flugzeug das Vertrauen aus. Nur wenige Experten begannen, über Materialermüdung nachzudenken. Man hatte schließlich den Rumpf der Comet in Tausenden Testzyklen dem doppelten Druck ausgesetzt, der im Flugbetrieb auftritt.

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Doch noch während Experten über mögliche Sicherheitsmaßnahmen nachdachten, wurde ihnen die Entscheidung aus den Händen gerissen. Am 10. Januar 1954 startete genau jene Comet, die anderthalb Jahre zuvor als erstes Düsenflugzeug der Welt Passagiere an Bord genommen hatte, von Rom nach London. Um 9.31 Uhr Ortszeit hob der BOAC-Flug 781 bei bestem Wetter vom Flughafen Ciampino ab. Die Reiseflughöhe war noch nicht ganz erreicht, als der Funkverkehr jäh abbrach. Fischer vor der Insel Elba hörten eine Serie heftiger Knalls und sahen Wrackteile vom Himmel regnen. Keiner der 29 Passagiere, unter ihnen zehn Kinder, überlebte.

Auf dem Weg nach Kairo explodierte die Maschine in 35 000 Fuß Höhe

Zwei Tage später annullierte die BOAC zunächst sämtliche Comet-Flüge, ebenso wie weitere Fluglinien. Doch wollten die Briten ihren Traum und ihre Vorherrschaft in der Passagierluftfahrt nicht aufgeben. Nach einigen technischen Anpassungen erklärte der BOAC-Vorstandsvorsitzende im März der Weltpresse, die Comet werde wieder fliegen. Es war eine der folgenschwersten Fehlentscheidungen in der Luftfahrtgeschichte. Zwei Wochen später brach eine weitere Comet am Himmel in Stücke. Auch sie war in Rom gestartet und auf dem Weg nach Kairo explodierte sie in 35 000 Fuß Höhe. Tausende Teile stürzten bei Stromboli ins Meer. Es war das unwiderrufliche Ende dieses Flugzeugtyps; in London mussten sogar Passagiere aus einer wartenden Maschine wieder aussteigen. Und es folgte eine der aufwendigsten Flugunfalluntersuchungen in der Geschichte der Luftfahrt.

Monatelang wurden Wrackteile aus dem Mittelmeer geborgen und in einem gigantischen Puzzle zusammengesetzt. Und eine der zuvor noch im Liniendienst fliegenden Comets wurde in einem neu errichteten Drucktank gesteckt und Tausenden Belastungszyklen ausgesetzt. Tatsächlich riss nach 3054 simulierten Flügen der Rumpf auf drei Metern Länge auf. Die Wunde ging von der Ecke eines der Fenster aus. War das die Ursache der realen Abstürze? Das entscheidende Puzzleteil fanden italienische Fischer im August 1954: einen geborstenen Fensterrahmen. Offenbar kulminierte die Rumpfspannung auf fatale Weise in den Ecken der Fenster. Und das Stanzen der Nieten hatte womöglich bereits bei der Herstellung unsichtbare Mikrorisse erzeugt.

Die Folge von Unfällen nagte am Ruf der Maschine und führte schließlich zum jähen Niedergang. Die Comet, der Hersteller, die gesamte britische Flugzeugindustrie sollte sich von diesem Rückschlag nie mehr erholen. Airlines in aller Welt entschieden sich in den folgenden Jahren wieder für Propellermaschinen. Und statt Großbritannien wurden am Ende die USA zum Weltmarktführer im Flugzeugbau. De Havilland baute zwar noch zuverlässige Nachfolgemodelle, die Comet 2, 3 und 4. An den Glanz der ersten Version konnten diese Maschinen aber nie anknüpfen.

Es dauerte Jahre, bis sich Düsenflugzeuge doch durchsetzten. Der Durchbruch gelang dem amerikanischen Hersteller Boeing. Dessen 707 nahm im Oktober 1958 den Liniendienst auf. Sie wurde, wie die Comet, von einer vierköpfigen Crew gesteuert. Aber hinten in der Kabine saßen 180 und später mehr als 200 Fluggäste wie in einer engen Röhre. Und sie blickten aus kleinen runden Fenstern auf die vorbeiziehenden Wolken.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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