Landwirtschaft:Viele Pestizide sind überflüssig

Feldbestellung bei Halberstadt

Ein Landwirt versprüht auf einem Feld in Halberstadt Schädlingsbekämpfungsmittel.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
  • Laut einer neuen Studie ist es für Bauern meist möglich, teilweise auf Unkraut-, Pilz- und Insektengifte zu verzichten, ohne die Ernte zu gefährden.
  • In Deutschland werden jährlich 46 000 Tonnen Pestizide versprüht, zum Beispiel Glyphosat. Umweltschützer fordern, die Menge zu reduzieren.
  • In der Praxis ist der Umstieg auf weniger Ackergifte schwierig, das liegt auch an wirtschaftlichen Gründen.

Von Kathrin Zinkant

Zwei Dinge liegen in Deutschland derzeit in der Luft: Der Frühling naht unweigerlich. Und auf den Feldern wird bald wieder ordentlich gespritzt. Mehr als 46 000 Tonnen Ackergift wurden in Deutschland im Jahr 2014 abgesetzt, gut 10 000 Tonnen mehr als 2006. Schon lange fordern Umweltverbände und grüne Politiker, die Entwicklung umzukehren. Im Fokus stand zuletzt der Unkrautvernichter Glyphosat. Aber auch andere Herbizide sowie Insektengifte und Antipilzmittel werden kritisiert, weil sie sehr häufig auch Nützlinge töten und das ökologische Gleichgewicht zerstören. Flüchten konnte sich die Agrarwirtschaft da eigentlich nur noch in die Behauptung, ohne Pestizide ließen sich die Erträge nicht halten.

Bloß, ist das wirklich so? Aus der Wissenschaft ist jetzt ein ganz anderer Befund zu vernehmen. Wie französische Agrarökologen im Fachblatt Nature Plants schreiben, hat ein teilweiser Verzicht auf Unkraut-, Pilz- und Insektenvernichter nur selten negative Folgen für die Ernte.

Das Team um Nicolas Munier-Jolain vom Institut Nationale de la Recherche Agronomique (INRA) in Dijon hatte Daten aus den Jahren 2009 bis 2011 analysiert. Fast 1000 französische Bauernhöfe wurden berücksichtigt. Das Fazit: Knapp 60 Prozent der Betriebe könnten ihren Pestizidverbrauch um durchschnittlich 42 Prozent senken - ohne Abstriche im Ertrag. Es ist die erste Analyse dieser Art. Und die erste, die in solcher Deutlichkeit dafür spricht, den Einsatz von Ackergiften drastisch zu reduzieren.

Eine Fruchtfolge schont die Böden und macht die Ernte robuster

Doch wie es sich mit Einzelstudien nun mal verhält: Es bleibt Spielraum für Interpretationen. Unter Fachkollegen wird über die neue Arbeit deshalb bereits heftig diskutiert. "Eine Übertragung der Ergebnisse auf die Situation in Deutschland ist nur eingeschränkt möglich, da die Datengrundlage der Studie aus den Jahren 2009 bis 2011 stammt", sagt Jürgen Schwarz, Pestizidforscher am staatlichen Julius-Kühn-Institut in Kleinmachnow. "Seither sind einige Probleme stärker aufgetreten, wie zum Beispiel Gelbrost seit 2014." Der Getreideschädling ist ein Pilz, der halbe Weizenernten vernichten kann.

"Die Schlussfolgerungen sind ziemlich sicher richtig", sagt hingegen Maria Finckh von der Universität Kassel. Die Expertin für ökologischen Pflanzenschutz erkennt in den Ergebnissen der Franzosen vor allem die Rolle der Fruchtfolge, also des Anbaus verschiedener Kulturpflanzen nacheinander. Das schont die Böden und macht auch die Ernte robuster. Nur würden Fruchtfolgen kaum berücksichtigt, klagt sie. "Solange Pestizide billig sind, und es keine Beschränkungen gibt, wird sich das auch nicht ändern."

Doch nicht nur der Preis der Ackergifte ist entscheidend. Der wirtschaftliche Druck behindert generell einen Sinneswandel. Munier-Jolain und sein Team geben sogar zu, dass der Verzicht auf Pestizide im konventionellen Ackerbau für Bauern keineswegs leicht ist. "Die Anpassung an eine Strategie mit wenigen Pestiziden ist eine große Herausforderung", schreiben die Forscher. Im Disput um den Einsatz von Pestiziden könnte sich die Studie trotzdem als Zunder erweisen, besonders in diesem Jahr. Ende 2017 läuft nämlich die Zulassungsverlängerung für Glyphosat aus. Und vorher ist in Deutschland Bundestagswahl.

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