Hirnforschung:Erschütterung mit Folgen

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Nur eine Gehirnerschütterung? Es mehren sich die Hinweise darauf, dass die Folgen von Stürzen oder Schlägen auf den Kopf häufig unterschätzt werden.

Christian Weber

"Es ist nur eine Gehirnerschütterung", lautet häufig die Auskunft der Ärzte an die Eltern, wenn das Kind vom Fahrrad gefallen ist oder einen Schlag auf den Kopf erlitten und kurzzeitig sein Bewusstsein verloren hat.

Die Gehirne von Menschen, die eine "milde traumatische Gehirnverletzung" erlitten hatten, zeigten im Magnetresonanztomographen keine Auffälligkeiten. Trotzdem schnitten sie bei neuropsychologischen Tests im Durchschnitt signifikant schlechter ab als die Mitglieder einer Kontrollgruppe. (Foto: Philipps-Uni Marburg/AG Konrad)

Tatsächlich mehren sich jedoch die Belege, dass Gehirnerschütterungen - entgegen gängiger Lehrmeinung - gravierende und langfristige Folgen haben können.

Darauf deutet unter anderem eine Studie, die Mediziner und Psychologen um Carsten Konrad in der Fachzeitschrift Psychological Medicine (online) veröffentlicht haben: Die Forscher untersuchten 33 Personen, die vor durchschnittlich sechs Jahren eine solche sogenannte "milde traumatische Gehirnverletzung" erlitten hatten.

Obwohl die Gehirne der Probanden im Magnetresonanztomographen keine Auffälligkeiten zeigten, schnitten diese bei neuropsychologischen Tests im Durchschnitt signifikant schlechter ab als die Mitglieder einer Kontrollgruppe.

"Zwar befand sich keiner der Befragten noch wegen der Gehirnerschütterung in ärztlicher Behandlung, aber die Ergebnisse zeigen, dass die Betroffenen selber Beeinträchtigungen im täglichen Leben spüren", sagt Konrad.

Belastet seien unter anderem Bereiche wie Lernen und Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit. Zudem zeigten sich häufiger depressive Symptome. Bestätigen sich diese Ergebnisse, könnte das sogar zu einer Neubewertung der Gehirnerschütterung bei Ansprüchen gegenüber Unfallgegnern führen.

Bereits Anfang des Jahres hatte Carol DeMatteo von der McMaster University im kanadischen Hamilton vor einer systematischen Unterschätzung von Gehirnerschütterungen gewarnt ( Pediatrics, online).

Sie hatte die Krankengeschichten von 434 Kindern untersucht, die in ein Krankenhaus eingeliefert worden waren. Bei 300 von ihnen wurde tatsächlich eine Gehirnverletzung festgestellt.

Dabei ergab sich, dass diejenigen Kinder eher aus der Klinik entlassen und wieder in die Schule geschickt wurden, denen die Diagnose "Gehirnerschütterung" anstelle von "milde traumatische Gehirnverletzung" gestellt worden war - obwohl beide Begriffe das gleiche bedeuten.

"Das erhöht das Risiko für Folgeverletzungen, schlechte Schulleistungen und führt zu allgemeiner Verwunderung, was wohl mit ihnen los sei", kommentiert DeMatteo.

© SZ vom 27.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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