Geschichte der Medici:Arsen und Fürstenhäubchen

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Ein 3-D-Nachdruck des Schädels von Anna Maria Luisa de Medici (1667 - 1743) im Reiss-Engelhorn-Museum. (Foto: dpa)

Auf dem Schädel sitzt eine vollständig mit Grünspan überwucherte Krone, von der Brust abwärts ist das Skelett mit dunkelroten Textilien bedeckt. Wissenschaftler haben die Gebeine der letzten Medici exhumiert - und sind dabei, endlich ihre Todesursache zu klären.

Von Hans Holzhaider

Männer und Frauen in weißen Schutzanzügen umstehen die marmorne Grabplatte in der Krypta der Basilika San Lorenzo in Florenz. Hier, so ist es der Inschrift zu entnehmen, liegt begraben Anna Maria Luisa, Tochter des Großherzog Cosimo III. de' Medici, Gattin und Witwe des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, gestorben am 18. Februar 1743 im Alter von 76 Jahren: "Regiae Stirpis Mediceae Ultima" - die letzte des Fürstengeschlechts der Medici.

Nur einer sticht heraus aus dem kühlen wissenschaftlichen Ambiente: ein Priester in schwarzer Soutane mit violetter Stola. Der Mörtel, mit dem die Grabplatte im Boden verankert ist, wird weggemeißelt. Die Platte wird mit zwei Saughebern herausgehoben. Ein rechteckiger, etwa 80 Zentimeter tiefer Raum wird sichtbar, darin ein Holzsarg. Der Priester spricht einen Segen, versprengt etwas Weihwasser, alle bekreuzigen sich.

Der Sarg wird gehoben, der Deckel entfernt. Ein zweiter Sarg aus Blei wird sichtbar. Als auch dieser geöffnet wird, sieht man die sterblichen Überreste der Anna Maria Luisa de' Medici. Auf dem Schädel sitzt eine vollständig mit Grünspan überwucherte Krone, von der Brust abwärts ist das Skelett mit unregelmäßig gefalteten, dunkelroten Textilien bedeckt. Einige Bereiche sind mit feuchtem Schlamm überlagert - das sind die Spuren des Arno-Hochwassers im November 1966.

Damals stand die Krypta der Medici zwei Meter tief unter Wasser. Die Überflutung richtete beträchtlichen Schaden an, einige der Medici-Skelette wurden übel durcheinandergewirbelt. Anna Marias Gebeine hingegen blieben nahezu unversehrt. Mit einem 3-D-Laserscanner dokumentieren die Wissenschaftler ihren Fund, der Schlamm wird abgesaugt, ein Fingerknochen wird für weitere Untersuchungen entnommen, dann wird der Sarg wieder verschlossen und in seine Gruft versenkt.

Die Exhumierung der Anna Maria Luisa de' Medici im Oktober 2012 war die vorerst letzte spektakuläre Aktion eines wissenschaftlichen Projekts, mit dem Donatella Lippi seit 2004 befasst ist. Die Paläopathologin lehrt Geschichte der Medizin an der Universität Florenz. Ihr spezielles Interesse gilt den Krankheiten und den Ernährungsgewohnheiten des Florentiner Fürstengeschlechts. Aber bei einer Familie, in der ein erheblicher Teil der Todesfälle unnatürlicher Art war, liefern Forschungen dieser Art nicht nur medizinische, sondern auch historische Erkenntnisse. "Wer wurde denn nun eigentlich ermordet?", fragt einer der Teilnehmer der Pressekonferenz, auf der Lippi am Donnerstag in Mannheim ihre Forschungsergebnisse vorstellt. Sie zögert mit der Antwort: "Es wäre leichter zu sagen, wer nicht ermordet wurde."

Die Geschichte, die sie am liebsten erzählt, ist die des Großherzog Francesco I. und seiner Geliebten und späteren Ehefrau Bianca Cappello. Francesco, 1541 geboren, war der älteste Sohn Cosimos I. und dessen Ehefrau Eleonora di Toledo. Er galt als verschroben und eigenbrötlerisch, seine Liebe galt nicht der Politik, sondern der Alchimie. Er musste aus politischen Gründen die blasse, schüchterne Johanna, die jüngste Tochter des habsburgischen Kaisers Ferdinand I. heiraten, mit der ihn nicht einmal Freundschaft verband und die ihm trotzdem sieben Kinder gebar.

Sie litt unter einer Schiefstellung des Beckens, die jede Niederkunft zur Qual machte; während der achten Schwangerschaft starb sie nach einem Sturz, bei dem ihre Gebärmutter zerriss. Schon bald nach ihrem Tod heiratete Francesco seine Geliebte, eine üppige rothaarige Witwe, die ihm ein weiteres Kind gebar. Die Liaison erregte das höchste Missfallen seines jüngeren Bruders Ferdinando, der schon als 13-Jähriger zum Kardinal ernannt worden war.

Nach einem gemeinsamen Abendessen mit dem Kardinal Ferdinando am 8. Oktober 1587 wurden Francesco und Bianca von heftigem Unwohlsein befallen; neun Tage später starben sie im Abstand nur weniger Stunden. Natürlich kursierten sofort Gerüchte, die beiden seien vergiftet worden. Ferdinando ließ die Leichen von einem Arzt seines Vertrauens obduzieren, der konstatierte Malaria als Todesursache. "Malaria hatten sie alle", sagt Donatella Lippi, "aber das war sicherlich nicht die Todesursache." Auffällig war, dass bei einer ersten Exhumierung im Jahr 1857 der Körper Francescos außerordentlich gut erhalten war; der Leichnam Biancas wurde bis heute nicht gefunden.

Als die Gebeine 1947 ein weiteres Mal exhumiert wurden, wurden sämtliche Gewebereste entfernt und nur die blanken Knochen wieder bestattet. Als Lippi 2005 die Gebeine abermals in Augenschein nahm, gab es deshalb keine Möglichkeit, die These einer Vergiftung wissenschaftlich zu überprüfen, weil sich die meisten Gifte nur in Haaren oder Weichteilen nachweisen lassen.

Aber Lippi entdeckte in alten Dokumenten Hinweise darauf, dass die Eingeweide Francescos und Biancas in Tongefäßen in der Krypta der Kirche Santa Maria a Bonistallo beigesetzt worden waren. Dort entdeckte sie tatsächlich Fragmente der Gefäße mit Geweberesten, die sich durch eine DNA-Analyse eindeutig Francesco I. zuordnen ließen. Und in diesen Geweberesten fanden sich Spuren von Arsen - ein später Nachweis für die Mordtat des frommen Kardinals, der nach dem Tod seines Bruders den Purpur ablegte und sich selbst zum Großherzog ausrufen ließ.

Anna Maria Luisa jedoch starb eines natürlichen Todes, möglicherweise an den Spätfolgen einer Syphilis oder an Brustkrebs - auch diese Frage wird sich vielleicht jetzt klären lassen. Sie hatte 1691 den verwitweten Wittelsbacher Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg geheiratet - auch dies eine politisch motivierte Hochzeit, die aber, anders als so viele Liaisonen der Medici, zu einer glücklichen, wenn auch kinderlosen Ehe führte. Anna und ihr Mann, genannt Jan Wellem, residierten in Düsseldorf; beide jagten und tanzten gern und förderten die schönen Künste. Nach Willems Tod 1716 kehrte Anna Maria nach Florenz zurück.

Mit dem Tod ihres jüngeren Bruders Gian Gastone starb die männliche Linie der Medici aus; der Titel des Großherzogs der Toskana fiel an Franz Stephan von Lothringen, den Gemahl der österreichischen Erzherzogin Maria Theresia und späteren römisch-deutschen Kaiser. Aber Anna Maria setzte sechs Jahre vor ihrem Tod einen Vertrag durch, der ihr bis heute die dankbare Verehrung ihrer Heimatstadt sichert: Sie bestimmte, dass das gesamte materielle Erbe der Medici, sowohl die Villen, Paläste und Gärten wie auch die unschätzbaren Sammlungen von Gemälden, Statuen, Bibliotheken, Preziosen für immer in Florenz bleiben müssten.

Die kulturelle Verbindung zwischen der Toskana und der Pfalz, geknüpft durch die Ehe zwischen Anna Maria und Jan Wellem, wurde 2010 auf originelle Art wiederbelebt. Die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim beherbergen mit dem "German-Mummy-Projekt" (GMP) ein bedeutendes, interdisziplinäres Zentrum der europäischen Mumienforschung. Bei einer Fachtagung in Kassel berichtete Lippi über ihre Forschungen an den Medici-Gebeinen. Daraus entstand, schon mit Blick auf den 270. Todestag der Anna Maria de' Medici im Februar 2013, eine Kooperation zwischen dem GMP und der Universität Florenz. Als sichtbares Ergebnis dieser Zusammenarbeit wird an diesem Sonntag in den Reiss-Engelhorn-Museen die Ausstellung "Die Medici - Menschen, Macht und Leidenschaft" eröffnet (bis 28. Juli 2013).

So nahm die Geschichte der Medici, eine Geschichte, die so überaus reich an Geld- und Machtgier, an Intrigen, Mord und Verschwörung, an erzwungenen Ehen, Unglück, Krankheit und Siechtum war, doch noch ein versöhnliches Ende. Noch in ihrem Tod stiftete Anna Maria Luisa de' Medici ein Symbol zwischenmenschlicher Zuneigung und kultureller Verbundenheit. Die Krone, mit der sie beigesetzt wurde, erwies sich zum blanken Erstaunen der Wissenschaftler nicht als eine mediceische Totenkrone, wie sie ihr Bruder Gian Gastone im Grab trug, sondern als die Kurfürstenkrone ihres Ehemannes Johann Wilhelm von der Pfalz.

"Eine Sensation", freut sich Wilfried Rosendahl, der Kurator und stellvertretende Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen. Der "Kurhut", wie man die pfälzische Kurfürstenkrone nannte, war bisher nur von Gemälden bekannt, es existiert kein originales Exemplar. Es war offensichtlich der letzte Wille der Anna Maria, als pfälzische Kurfürstin beerdigt zu werden. Nach dem Vorbild der Krone im Grab Anna Marias haben ein Düsseldorfer Juwelier und das Atelier für Textilrestaurierung der Reiss-Engelhorn-Museen ein Replikat der Krone aus vergoldetem Kupfer, rotem Samt und Hermelin rekonstruiert. Sie ist jetzt in der Mannheimer Ausstellung zu sehen - ein Symbol pfälzisch-toskanischer Freundschaft.

© SZ vom 16.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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