Geologie:Leere unter den Metropolen

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Mit vielen Städten geht es im Wortsinn abwärts: Die Ausbeutung von Gasvorkommen und die Grundwasser-Förderung lassen sie bedrohlich schnell absinken.

Axel Bojanowski

Höhere Deiche sollen die Niederlande gegen einen steigenden Meeresspiegel wappnen. Doch dem Küstenschutz wird regelrecht der Boden entzogen. Der Nordosten der Niederlande an der Grenze zu Niedersachsen sinkt dramatisch ab und damit sinken auch die Deiche. Schuld ist die Gasförderung, sie höhlt den Boden förmlich aus.

Das Gewicht der Hochhäuser drückt Shanghai jeden Monat einen Millimeter weiter nach unten. (Foto: Foto: ddp)

Eine neue Studie sagt nun voraus, dass die Region um Groningen bis Mitte des Jahrhunderts um einen Meter tiefer liegen wird als 1970, berichten Geoforscher um Karin Thienen-Visser vom Geologischen Dienst TNO in einem Gutachten für die niederländische Regierung. Die Folgen für Küstenorte und Wattenmeer seien "besorgniserregend", warnen die TNO-Forscher. Auch anderswo kämpfen Großstädte gegen die teils dramatische Absenkung des Bodens. Mit Radarsatelliten kommen Wissenschaftler in Dutzenden Städten der heimtückischen Gefahr auf die Spur.

Im Nordosten der Niederlande liegt nahe Groningen neben kleineren Gasfeldern eines der größten Erdgasreservoire Europas. Seit 1959 pumpen Firmen dort Gas aus dem Untergrund. Die entleerten Gesteinsporen halten dem Druck des auflastenden Bodens nicht stand, sie sacken in sich zusammen - der Boden gibt allmählich nach, seit den siebziger Jahren um bis zu 30 Zentimeter.

Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht in Sicht. In den nächsten 40 Jahren könnte sich der Boden nahe Groningen sogar um weitere 70 Zentimeter setzen, prophezeien nun Karin Thienen-Visser und ihre Kollegen. Ob die neue Prognose der TNO-Experten zu Beschränkungen der Gasproduktion führen wird, ist unklar. Die Niederlande würden üblicherweise "hochsensibel" auf Bodenbewegungen reagieren, sagt Robert Sedlacek vom niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie LBEG. "Dort zählt jeder Zentimeter."

Die Erschließung mehrerer Gasfelder im Wattenmeer sei bereits untersagt worden, um Setzungen zu verhindern. Bisher jedenfalls war geplant, die Gasförderung bei Groningen noch Jahrzehnte aufrechtzuerhalten. Das Reservoir deckt schließlich einen Gutteil des Energiebedarfs der Niederlande. Etwa ein Fünftel des niederländischen Erdgases wird nach Deutschland exportiert.

Auch im benachbarten Niedersachsen hat sich der Boden nach jahrzehntelanger Gasförderung um einige Zentimeter abgesenkt. Genaue Messungen lägen den Behörden allerdings nicht vor, sagt Klaus Söntgerath vom LBEG. Probleme für den Küstenschutz oder Gebäudeschäden seien hierzulande aber nicht zu befürchten - die Gasfelder in Niedersachsen seien 100-mal kleiner als die bei Groningen.

Welche dramatischen Auswirkungen Bodensetzungen haben können, zeigt sich jedoch in der indonesischen Hafenstadt Semarang. Die Millionenstadt kippt regelrecht ins Meer. Bis zu 15 Zentimeter pro Jahr senken sich küstennahe Stadtviertel, berichten Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR in Hannover. "Das Wasser drückt in die Stadt", sagt Friedrich Kühn von der BGR. Es verursache "enorme wirtschaftliche Schäden".

10 Dinge über ...
:Hochhäuser

Manche Straßenzüge der Millionenstadt sind bereits im Meer versunken. Ganze Wohngebiete und Industrieanlagen werden im Zuge der Gezeiten täglich geflutet. Die Anwohner legen Ziegelsteine auf die Straße, um trockenen Fußes voranzukommen. Meist jedoch müssen drastischere Maßnahmen ergriffen werden, um der Wassermassen Herr zu werden. Straßen werden mit Erde und Schutt stetig erhöht, um sie über dem Meeresspiegel zu halten. An manchen Orten ragen nur noch die Häusergiebel über den Straßenrand.

Ursache des Desasters sei "die unkontrollierte Förderung von Grundwasser", berichtet Friedrich Kühn. Die Entleerung der Bodenschichten lasse den Untergrund absacken. Die Wasserentnahme führe zudem dazu, dass Tonschichten austrocknen. Dadurch schrumpfe das Erdreich.

Mit den Radarsatelliten ERS-1 und ERS-2 der Europäischen Raumfahrtagentur Esa hatten Wissenschaftler erkundet, warum sich der Boden absenkt. Sie verglichen 35 Aufnahmen, die die Satelliten zwischen 2002 und 2006 von Semarang gemacht haben. Die Radare senden elektromagnetische Strahlen zur Erde. Senkt sich der Boden, sind die Strahlen länger unterwegs. In Semarang haben die Forscher auf diese Weise die Veränderung von knapp 47.000 Punkten am Boden vermessen.

Auch andere Metropolen wurden im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes "Terrafirma" mit den Radarsatelliten vermessen - mit teils dramatischem Ergebnis. So zeigte sich, dass auch Lissabon, Bangkok, Jakarta und Athen wegen Grundwasserentnahmen einsacken. Shanghai senkt sich pro Monat um einen Millimeter. Die größte Stadt Chinas - ihr Name bedeutet "Über dem Meer" - kommt dem Meeresspiegel vielerorts bereits gefährlich nahe.

Die Last Tausender Hochhäuser beschleunigt den Niedergang; der weiche Marschboden unter Shanghai sackt zusammen. Der Finanzdistrikt, wo die meisten Wolkenkratzer stehen, sinkt drei- bis sechsmal schneller ein als andere Bezirke. Die Folgen sind vielerorts sichtbar: U-Bahn-Trassen verformen sich, Gebäude zeigen Risse.

Das Einsinken von Sankt Petersburg führen Forscher ebenfalls auf die Last der Gebäude zurück. In Istanbul indes standen die Experten lange vor einem Rätsel. Über die Stadt verteilt entdeckten sie auf ihren Satellitenbildern Dutzende Areale, die mit bedrohlicher Geschwindigkeit absanken. Erst Recherchen an Ort und Stelle brachten die Erklärung: An Hängen kriecht Erdreich abwärts. Ein Alarmsignal; verliert es den Halt, könnte es ganze Wohngebiete unter sich begraben.

Doch nicht mit allen Städten geht es abwärts. In Berlin etwa registrierten die Satelliten, dass sich der Boden unter dem Olympiastadion seit den neunziger Jahren um sechs Zentimeter gehoben hat. Eine Nachfrage beim örtlichen Gasversorger brachte die Erklärung für die Geoforscher: In Sandsteinschichten unter dem Stadion wurden Anfang der Neunziger große Mengen Erdgas gepresst, es soll als Notreserve dienen. Wie auf einem Luftkissen wurde das Olympiastadion in die Höhe gehoben.

© SZ vom 28.05.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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