Genetik:Volles menschliches Genom soll im Labor entstehen

Craigh Venter Decipher The Human Genome In Rockville, United States In June, 2000.

Der Text des menschlichen Genoms ist für Leser nicht sehr aufschlussreich. Ob das besser wird, wenn man ihn wieder zu DNA zusammenbaut?

(Foto: Getty Images)

Gentechniker wollen das menschliche Erbgut komplett künstlich nachbilden. Angeblich dient das Projekt einem tieferen Verständnis, was Leben ausmacht.

Von Kathrin Zinkant

Wenn etwas hinter verschlossenen Türen stattfindet, signalisiert das nicht zwingend den Versuch einer strikten Geheimhaltung. Manchmal geht es gerade ums Gegenteil. Nämlich um Aufmerksamkeit.

Als sich Anfang Mai rund 130 Genetiker, Anwälte, Regierungsvertreter und Geschäftsleute aus fünf Kontinenten an der Harvard University in Boston zu einem nicht-öffentlichen Meeting über ein neues biotechnologisches Megaprojekt zusammensetzten, hätte die Wirkung jedenfalls kaum größer sein können. Nicht einmal ein Vertreter der Presse wurde in den Saal gelassen. Prompt setzte das Geraune um die offizielle Verlautbarung der Verantwortlichen ein, in der es hieß, man diskutiere ein Konzept, welches das "nächste Kapitel in unserem Verständnis über den Bauplan des Lebens" aufschlagen werde. Aus informierten Kreisen hieß es bald, dass es um die Synthese ganzer Genome gehe, um künstliche DNA vollständiger Lebewesen also. Eines dieser Lebewesen: der Mensch.

Die Wissenschaftler halten die Synthese des gesamten Genoms für überfällig

Mittlerweile hat die kleine Bombe auch öffentlich gezündet. In der vergangenen Woche hat eine Teilgruppe des Harvard-Meetings im Fachmagazin Science das diskutierte Konzept publiziert. Es heißt "The Genome Project Write", verzichtet also im Titel lieber auf die menschliche Komponente, obwohl es im Papier dann um das "Human Genome Project Write" geht. Die Autoren erläutern, dass man nach dem Lesen des menschlichen Erbguts eben dieses nun aus künstlicher DNA bauen wolle. Keine kleinen Stücke, wie sie heute alltäglich in Labors auf der ganzen Welt schon hergestellt werden. Sondern die ganz großen Bissen, die im Prinzip alle Information für die Entstehung einer Kreatur umfassen.

Es sei eine "logische Anwendung jener Techniken, die seit mehr als 40 Jahren sicher in der Biotech-Industrie eingesetzt werden und einen bedeutenden Nutzen für die Gesellschaft gebracht haben". Die Autoren des Konzeptpapiers nennen insbesondere das Gene Editing mit Crispr, das binnen weniger Jahre das gesamte Feld umgekrempelt hat. Dazu kommen Sequenzier- und Synthesetechniken, von denen man vor einer Dekade nicht zu träumen wagte. Und jetzt, da eine Synthese von DNA in der Größenordnung menschlichen Erbguts zunehmend praktikabel erscheine, werde eine wissenschaftliche Anstrengung in diese Richtung "überfällig". Die Experten betonen, dass man lediglich einzelne Zellen mit dem künstlichen Genom erschaffen will. HGP-Write erfordere von Beginn an "eine Beteiligung der Öffentlichkeit und eine Debatte über die ethischen, rechtlichen und sozialen Konsequenzen" des Vorhabens. Was sehr vernünftig klingt.

Doch ob so eine aufgeklärte Debatte nach dem spektakulären Einstand des Projekts noch möglich ist? Es bleibt fraglich. Nicht zuletzt wegen des beteiligten Personals. Biotechfirmen haben Interesse und Unterstützung signalisiert, unter anderem will sich Autodesk, eine Firma für Architektensoftware, sowohl finanziell als auch inhaltlich an HGP-Write beteiligen. An der Spitze des Projekts steht zudem George Church, Molekularbiologe an der Harvard University und am Massachusetts Institute of Technology. Seine ethisch gewagten Projekte haben den bärtigen Mann längst einem größeren Publikum bekannt gemacht. Bereits 2005 initiierte der Molekularbiologe das Personal Genome Project, das die vollständigen Genome seiner Teilnehmer nichtanonym und zusammen mit sämtlichen medizinischen Daten veröffentlicht.

Im vergangenen Jahr editierte Church mithilfe des neuen Genetikwerkzeugs Crispr mehr als ein Dutzend Gene des seit 4000 Jahren ausgestorbenen Wollhaarmammuts in Zellen von Elefanten hinein. Eine genetische Rekonstruktion der imposanten Mammuts hält Church für genau so naheliegend wie die Wiederbelebung des Neandertalers durch die Gentechnik. Erst vor wenigen Monaten gelang es dem Forscher, durch massives Gene Editing Schweine zu humanisieren, um mögliche Organspender für Transplantationen zu schaffen. Kaum ein Genetiker hat die junge Technik des Gene Editing mit Crispr derart rigoros umgesetzt wie Church. Dazu besitzt er eine Firma, die synthetische DNA verkauft. Zusammengenommen wirkt all das nicht auf jeden vertrauenerweckend.

Streit über den Sinn des DNA-Nachbaus

Und jetzt ein künstliches Erbgut des Menschen, Buchstabe für Buchstabe zusammengebaut im Labor. Es ist ein Projekt wie auf den Leib geschneidert für Church, schon weil es so radikal erscheint. Zwar haben Wissenschaftler bereits begonnen, Genome zu synthetisieren. Man werkelt derzeit an der Hefe und geht aufgrund dieser Erfahrung von bis zu zwei Milliarden Dollar Kosten und 15 bis 20 Jahren Dauer für HGP-Write aus. Am Ende stünde dann aber die Rekonstruktion sämtlicher 23 Chromosomen des menschlichen Genoms, also DNA-Ketten von jeweils rund 50 bis 250 Millionen Basenpaaren Länge. Insgesamt umfasst die humane Blaupause mehr als drei Milliarden Buchstaben. Über dieses Genom wissen Forscher inzwischen vor allem eines: Im großen Ganzen handelt es sich gar nicht um einen Bauplan. Weniger als ein Prozent des Erbguts enthält Konstruktionsanleitungen. Der Rest bleibt in seiner Funktion rätselhaft und wird von Fachleuten daher gern als dunkle Materie der Biologie bezeichnet - in Anlehnung an jene unsichtbare Materie im Weltall, die einen bislang unverstandenen Einfluss auf das Universum nimmt. Welchen Einfluss aber nimmt diese "dunkle DNA" auf das, was man heute unter Leben versteht?

Dieser Frage wollen sich die Teilnehmer von HGP-Write in der Hoffnung widmen, dass man allein vom Schreiben klüger würde. Richard Kitney, ein Experte für Synthetische Biologie am Imperial College in London, zitiert dazu jene Notiz, die der Quantenphysiker Richard Feynman als Vermächtnis auf seiner Tafel hinterließ: "Was ich nicht erschaffen kann, das verstehe ich nicht." Dass eine Synthese von Genomen, gleich welcher Größe und Herkunft, größere Rätsel löst, wird aber nicht gerade von wenigen Fachleuten aus der synthetischen Biologie angezweifelt. So ließ Martin Fussenegger von der ETH Zürich in Nature verlauten, sein erster Gedanke zu HGP-Write sei gewesen: "Na und?"

Die deutsche Biophysikerin Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bezeichnete es gar als "Unfug", dass eine Abschrift des Genoms allein die Frage nach den Geheimnissen des Lebens beantworte. "Ohne Betrachtung fundamentaler Prinzipien des Stoffwechsels, die ja erst einmal nicht an den Informationsträger DNA gebunden sind, kann man Leben nicht verstehen." Es sei darüber hinaus intellektuell nicht besonders schwer, DNA zusammenzubauen. "Aber wie baut man ein sich selbst erhaltendes metabolisches System zusammen? Das ist vermutlich sehr viel kniffliger", sagt die Forscherin, die sich solchen Fragen im Rahmen von Max Synbio widmet, einem Forschungsverbund der Max-Planck-Gesellschaft zur synthetischen Biologie. Schwille glaubt dennoch, dass HGP-Write nützlich für den medizinischen Fortschritt sein könne. Und wissenschaftlich zumindest eine gute "Fingerübung", die biotechnologische Verfahren vereinfache. Dem fundamentalen Erkenntnisgewinn gegenüber bleibt sie jedoch skeptisch.

Neben den Zweiflern gibt es auch jene, die zu größerer Vorsicht mahnen. Der Stanford-Genetiker Drew Endy und die Ethikerin Laurie Zoloth von der Northwestern University in Evanston halten die Ziele des Projekts nicht für hinreichend gerechtfertigt. Man solle die öffentlich geführte Diskussion über das Projekt abwarten. Die Debatte will auch Church. Über die Vorsicht hat er kürzlich auf Edge.org reflektiert. "Die Menschen wollen nicht nur größere Vorsicht. Sie wollen so viel Vorsicht, dass es niemals passiert. Viele Technologien werden an so einem Punkt verbannt."

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