Gemischte Gefühle: Schadenfreude:Ein Gefühl für die Spötter

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Schadenfreude ist ein sozial geächtetes Gefühl. Viele Menschen empfinden dabei ein schlechtes Gewissen. Doch sie hat ihren Sinn: Schadenfreude hilft, innerlich Dampf abzulassen.

Henning Pulss

Manche Gefühle erforscht man besser im Fußballstadion als im psychophysiologischen Labor, denn selten äußern Menschen ihre niederen Emotionen so unverhohlen wie im Sport.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer nannte die Schadenfreude ein "teuflisches Gefühl". Doch sie gehört offenbar zur menschlichen Grundausstattung. (Foto: i.Stock)

Deutlich zeigte sich das etwa, als bei der WM in Südafrika die große Fußballnation Italien bereits in der Vorrunde ausschied - jene Italiener, die 2006 die Deutschen im Halbfinale bezwungen hatten und dann auch noch Weltmeister wurden; jene Mannschaft, der es mittlerweile zunehmend wichtiger erscheint, Tore zu verhindern, als selbst welche zu schießen.

Fast jeder deutsche Fußballfan blickte im Augenblick dieses sportlichen Tiefpunkts nach Italien, nicht aus Mitleid, sondern aus: Schadenfreude.

Doch dieses "teuflische Gefühl", wie der Philosoph Arthur Schopenhauer es nannte, welches Fußballfans offen zeigen, verbergen sie im Alltag. Das schlechte Gewissen meldet sich, wenn man sich insgeheim ins Fäustchen lacht, weil der ungeliebte Kollege einen Misserfolg hat.

Selbst beim harmlosen Grinsen, wenn jemand über seine Schnürsenkel stolpert, ist den meisten Menschen nicht ganz wohl. Einer Umfrage zufolge kann nur jeder Dritte bedenkenlos Schadenfreude empfinden. Wieso verfügen dann Menschen überhaupt über dieses Gefühl?

Ausgleich sozialer Gerechtigkeit

"Schadenfreude ist schwierig zu verfolgen und zu isolieren. Sie ist flüchtig, so wie jede Emotion, von welcher man uns beigebracht hat, sie nicht zu fühlen", sagt Richard Smith, Professor für Psychologie an der Kentucky University. Zudem geben Menschen es eben nur ungern zu, dass sie sich gerade über ein fremdes Missgeschick freuen, oder sind sich dessen gar nicht bewusst. Auf verlässliche persönlichen Auskünfte sind Psychologen jedoch angewiesen.

Am ehesten lässt sich dieses zwiespältige Gefühl vor unserem Gewissen rechtfertigen, wenn der Pechvogel selbst unrecht gehandelt hat. Es macht einen Unterschied, ob ein Student, der eines Diebstahls bezichtigt wird, den Laptop tatsächlich gestohlen hat oder nicht. Dies zeigt eine Studie von Wilco van Dijk und Jaap Ouwerkerk von der Universität Amsterdam. War der Student tatsächlich ein Dieb, wuchs die gezeigte Schadenfreude erheblich, wenn ihm ein Missgeschick passierte.

Schadenfreude wird auch dann von vielen Betrachtern als gerechtfertigt empfunden, wenn ein Unglück eine vermeintlich verloren gegangene soziale Gerechtigkeit wiederherstellt. "Wenn man nicht einverstanden damit ist, wie Personen ihre hohe Position erreicht haben, fühlt man mehr Schadenfreude, wenn sie stürzen", kommentiert Norman Feather von der australischen Flinders University.

So dürften sich selbst Mitglieder der republikanischen Partei in den USA heimlich gefreut haben, als die zur Vizepräsidenten-Kandidatin katapultierte Sarah Palin nach der verlorenen Wahl nach Alaska zurückkehrte.

Allerdings ist das Gefühl von Gerechtigkeit subjektiv. Menschen vergleichen sich ständig mit anderen. Wer hat das höhere Gehalt, die besseren Noten, die schöneren Haare? Wieso ist mein Auto alt und rostig, während der arrogante Nachbar den neuesten BMW vor der Tür stehen hat?

Muss dann der Nachbar seinen Führerschein abgeben, weil er betrunken eine rote Ampel überfahren hat, entsteht Schadenfreude. Insgeheim wird es eben als unrecht empfunden, dass ein anderer und ganz besonders dieser Nachbar ein besseres Auto fährt.

Hier kommt der Neid ins Spiel, eine Komponente, die schon Platon als Auslöser von Schadenfreude aufgegriffen hatte. Er hat inzwischen auch neurologische Unterstützung erhalten: Japanische Forscher entdeckten in Magnetresonanzstudien, dass Neid zwar als schmerzvoll empfunden wird, dafür das Belohnungszentrum im Gehirn bei anschließender Schadenfreude umso aktiver war.

So schön kann dieses Gefühl sein, dass ihm manche sogar ein wenig nachhelfen: Das protzige Gefährt des Nachbarn verliert an Glanz, wenn ein scharfer Gegenstand Spuren auf dem Lack hinterlassen hat.

Sogar der Tod eines Menschen könne Schadenfreude auslösen, sagt der israelische Psychologe Shlomo Hareli von der Universität Haifa, dann nämlich, wenn Hass im Spiel ist. In einer Internetumfrage aus dem Jahre 2000 freuten sich ein Drittel der 2300 befragten israelischen Teilnehmer darüber, dass am 10. Juni desselben Jahres der syrische Präsident Hafis al-Assad verstorben war.

Wichtig ist bei allen Vergleichen jedoch auch, wie wir uns selbst betrachten. "Menschen genießen es mehr, andere leiden zu sehen, wenn sie eine niedrige Selbsteinschätzung haben oder diese bedroht wird", resümiert Ouwerkerk. Deshalb ist es gar nicht vonnöten, jemanden zu kennen, um Schadenfreude zu empfinden.

Das zeigt das Fernsehen: In Sendungen wie "Versteckte Kamera", aber auch in sogenannten Pannenshows zeichnen heimliche Beobachter das Unglück völlig unbekannter Menschen oder auch Tiere auf. Diese werden in peinliche Situationen gelockt oder einfach nur zufällig gefilmt, wie sie von Stühlen oder in Swimmingpools fallen. Wenn wir darüber lachen, "ist es nicht persönlich gemeint", erklärt Hareli, "wir fühlen uns nur selbst besser".

Schadenfreude bleibt dennoch ein zwiespältiges Gefühl. Für Richard Smith ist sie einerseits eine natürliche und nachvollziehbare menschliche Emotion. Pflegen sollte man sie jedoch keinesfalls, nicht zuletzt, weil sie einen auch selber treffen kann.

Ouwerkerk nennt ein weiteres aktuelles Beispiel aus der Welt des Sportes: die Niederlage der deutschen Nationalmannschaft im WM-Halbfinale. Nachdem Spanien in der 73. Minute das entscheidende Tor erzielte, schalteten auf einen Schlag Tausende niederländische Fußballfans zur ARD, obwohl die Bilder die gleichen waren wie bei den heimischen Sendern.

Doch offensichtlich genossen es die sprachkundigen Zapper, sich anzuhören, wie sehr der deutsche Kommentator mit der eigenen Mannschaft litt: der ewige Rivale Deutschland am Boden - ein großes Gefühl für die Spötter.

© SZ vom 30.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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