Evolution von Musik:Wenn Beats sich paaren

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Kann sich eine gestaltlose, zufällige Musik aus dem Computer dem menschlichen Geschmack ähnlich anpassen wie biologische Systeme dem Selektionsdruck der Umwelt? Forscher haben eine Evolution von Musik simuliert.

Helmut Martin-Jung

Über ein bedrohlich brummendes Bass-gis wiederholt sich manisch eine Siebener-Figur aus den Tönen e-dis-e-gis-e-dis-e, manchmal unterbrochen von der harmonisch weit entfernten Tonfolge f-c, die damit entsprechend schräg klingt - Musik wie für einen Horrorfilm. Den passenden Film aber gibt es nicht, und bei der Komposition plante niemand mit menschlicher Emotion: Es war ein Computer, dem Wissenschaftler vorgegeben hatten, aus einigen Parametern eine beliebige Tonfolge zu erschaffen.

Diese nutzte eine britisch-japanische Forschergruppe um Robert MacCallum vom Imperial College London und dem japanischen Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST) als Ausgangspunkt für ein Experiment ( PNAS, online).

Würde sich, so fragten sie, die anfangs gestaltlose und wenig beliebte Musik dem menschlichen Geschmack ähnlich anpassen wie biologische Systeme dem Evolutionsdruck der Umwelt? Und wenn ja, würde es auch zu dem in der Natur beobachteten Phänomen kommen, dass die Evolution nach schnellem anfänglichen Fortschritt ein Plateau erreicht, auf dem es zwar weiter Veränderung, aber keinen echten Fortschritt mehr gibt?

Die Forscher entwickelten dazu eine Software, die kurze Musikschnipsel behandelt wie Erbgut. Die Sequenzen wurden dann von menschlichen Testhörern beurteilt und die für gut befundenen durften sich "paaren".

Dazu mischten die Forscher stets eine Prise willkürliche Mutation. Aus der schrägen Zufallsmusik wurde so nach einigen hundert Generationen und Mutationen etwas, das an freundlich getönte Minimal-Music erinnert. Gleichmäßig im Rhythmus, mit harmonisch zusammenpassenden Tonfolgen in Dur.

Doch auf diesem, allenfalls Kaufhaus-tauglichen Niveau, verharrte die Entwicklung dann auch. Zwar änderte sich nach weiteren Evolutionsschritten mal dies, mal jenes, aber nicht mehr die Bewertung der Testhörer. Veränderung brachten dann nur noch die zufälligen Mutationen.

Ähnliche Fehler bei der Weitergabe von Musik schleichen sich auch ein, wenn Menschen Musik nur mündlich überliefern, so die Forscher. Die Musik mancher Urvölker bleibe deshalb über Jahrtausende auf einem Niveau.

Anders im Westen, wo es nicht nur eine systematisierte Musiklehre gibt, sondern auch eine Gesellschaft mit Musikschaffenden, Hörern und Hörergruppen, die sich gegenseitig beeinflussen. Das Internet, das die Möglichkeit, Musik herunterzuladen, zu manipulieren und wieder zu verteilen, geschaffen habe, könnte, so glauben die Autoren, künftig eine neue evolutionäre Dynamik auslösen.

Die Evolution zum Nachhören finden Sie hier.

© SZ vom 19.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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