Erdgas:Unnützer Klimaretter

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Gasgewinnung auf einer Offshore-Plattform in der Nordsee

(Foto: dpa)

Weil Erdgas sauberer verbrennt als Kohle, gilt es als Brennstoff für eine grüne Zukunft. Doch das Bild ist schief: Forscher haben errechnet, dass der Erdgas-Boom dem Klima insgesamt wohl nur wenig hilft.

Von Christopher Schrader

Rein physikalisch betrachtet war das Bild immer schon gewagt. Erdgas sei die Brücke in eine Zukunft, in der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, lautet eine gängige Metapher der Klimaschutz-Diskussion. Ein Gas soll ein Festkörper sein? Da knirschen die Definitionen der Aggregatzustände, auch wenn klar ist, was gemeint war: Beim Verbrennen von Erdgas wird je Einheit Strom eben nur halb so viel Treibhausgas Kohlendioxid frei wie bei Kohle. Erdgas ist also ein Fortschritt, oder? Doch bei der semantischen Kritik an der Metapher bleibt es nicht. Jetzt legen Wissenschaftler nach: Die Brücke habe einen tiefen Riss, so formulieren es Steven Davis und Christine Shearer von der University of California in Irvine in einem Kommentar im Wissenschaftsmagazin Nature. Mehr und vor allem billiges Gas in die Wirtschaft zu pumpen, dürfte weder den Erneuerbaren helfen noch die Emissionen von Treibhausgasen spürbar senken.

Davis und Shearer haben das vor Kurzem am Beispiel der USA vorgerechnet, wo es dank Fracking einen Gasboom gibt (Environmental Research Letters, online). In Nature legen jetzt Forscher von fünf Instituten in Amerika, Australien, Österreich, Italien und Deutschland eine globale Analyse vor (ebenfalls online). "Leider erweist sich die Hoffnung als irrig, dass Erdgas zu einer Verringerung der Erderwärmung beitragen kann", sagt Nico Bauer vom beteiligten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Ein zusätzliches Angebot von preiswertem Gas ersetzt nur eine begrenzte Menge Kohle - und es könnten auch emissionsarme erneuerbare Energien und Kernenergie verdrängt werden."

Wird mehr Erdgas produziert, entweicht auch mehr durch Lecks. Es steigert den Treibhauseffekt

Alle fünf Institute betreiben Energiemarkt-Modelle, die die Reaktion der Wirtschaft auf billiges Gas simulieren können. Die Forscher haben hier vorgegeben, dass Erdgas in großen Mengen verfügbar sei und seine Gewinnung nur noch die Hälfte der bisherigen Preise koste. Die Modelle lieferten für die Zeit von 2010 bis 2050 recht unterschiedliche Detail-Ergebnisse, aber in einem Punkt waren sie sich einig: Dem Klima nützt das Erdgas nicht. Der CO₂-Ausstoß sank maximal um zwei Prozent, die Temperaturen änderten sich kaum.

"Wir dachten zuerst, wir hätten einen Fehler gemacht", sagt James Edmonds vom Pacific Northwest National Laboratory, wo das Projekt koordiniert wurde. "Aber als alle fünf Modellierteams berichteten, dass sie kaum Unterschiede erkennen konnten, wussten wir, dass wir etwas Neuem auf der Spur waren." Die Forscher machen drei Effekte verantwortlich: Erstens drängte Erdgas zwar zehn Prozent der verwendeten Kohle, aber auch acht Prozent der emissionsarmen Energiequellen aus dem Markt.

Zweitens führte das billige Erdgas zu steigendem Energieverbrauch. Und drittens entwich bei einer verdoppelten oder gar verdreifachten Produktion von Erdgas auch entsprechend mehr durch undichte Rohre in die Atmosphäre, wo sein Hauptbestandteil Methan als starkes Treibhausgas wirkt. Abhilfe versprechen nur veränderte politische Rahmenbedingungen. Die Forscher hatten ihren Modellen keine neuen Vorschriften vorgegeben. Es bedürfe daher eines Preises für den Ausstoß von Kohlendioxid, sagt der Chefökonom des PIK, Ottmar Edenhofer. Technologische Fortschritte, wie es die Gasnutzung wäre, "können die Kosten der Klimapolitik reduzieren - aber sie können die Klimapolitik nicht ersetzen"

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