Energiegewinnung:Die rege Verdauung der Schiffswürmer

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Schiffswürmer zerfraßen einst Galeeren der Römer, ließen die vierte Reise des Christoph Kolumbus scheitern und machten sich einen Ruf als Termiten der Meere. Nun könnten die Tiere helfen, Biotreibstoffe herzustellen.

Von Patrick Illinger

Es gibt nur wenige Tiere, denen man ernsthaft zugestehen kann, die Geschichte der Menschheit mitgeschrieben zu haben. Klar, Pferd, Hund, Kuh und wohl auch der Säbelzahntiger gehören dazu. Etwas in Vergessenheit geraten ist Bankia setacea, von dem es noch mindestens ein Dutzend Cousins und Cousinen gibt mit Namen wie Bankia sibirica und Bankia destructa. Es handelt sich dabei um das umgangssprachlich "Schiffswurm" genannte Glibbertier. Über Jahrtausende hinweg machte es der sich globalisierenden Menschheit zu schaffen, weil es Schiffe zerfraß, zu jener Zeit, als Schiffe noch aus Holz gebaut wurden.

Dem destruktiven Charakter dieses Lebewesens wollen Biotechnologen nun einen Nutzen abgewinnen und dem lange Zeit schädlichen Wurm eine neue, hoffentlich segensreiche Aufgabe zuweisen. Das biochemische Verdauungssystem des Wurms könnte nämlich aus Biomasse, insbesondere Zellulose, Biotreibstoff erzeugen.

Anders als bei höheren Lebewesen wohnen im Verdauungstrakt von Bankia keine schwer zu durchschauenden Bakterienkolonien. Wie Forscher um Daniel Distel vom Ocean Genome Legacy Center der amerikanischen Northeastern University schreiben, hat der Wurm eine geradezu puristische Verdauungsmethode, die womöglich in einem industriellen Verwertungsprozess nachgeahmt werden könnte. Wenn das an Schiffsrümpfen haftende Tier Holzstückchen in seinen Verdauungstrakt schlingt, pumpen spezialisierte Zellen aus den Kiemen ein Enzym dazu, welches die pflanzlichen Zellulose-Moleküle in Zucker zerlegt ( PNAS, online).

Dieses Spezialenzym wird dabei von Bakterien innerhalb der Kiemenzellen produziert und legt einen komplizierten Weg bis zum Magen zurück. Noch rätseln die Forscher darüber, warum das Verdauungssystem des Wurms so umständlich aufgebaut ist. Gleichzeitig haben sie damit eine vergleichsweise einfache Verwertungsmethode entdeckt, die ohne das in höheren Lebewesen übliche Mikrobiom auskommt, also ohne eine unüberschaubare Vielfalt an verdauungsrelevanten Bakterien.

Das simple System "Holz plus Enzym" lässt sich nach Angaben der Forscher womöglich in einen industriellen Verwertungsprozess überführen. So wäre der Ruf der einst als "Termiten der Meere" verhassten Schiffswürmer, die schon die alten Römer und Christoph Kolumbus plagten, zumindest teilweise rehabilitiert.

© SZ vom 11.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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