Ehec-Infektionen in Deutschland:Kantinenessen unter Verdacht

Lesezeit: 3 min

Die Zahl der Ehec-Patienten steigt weiter rapide an: 350 Erkrankungen oder Verdachtsfälle wurden inzwischen gezählt, drei Menschen sind nach Infektionen gestorben. In Frankfurt richtet sich der Verdacht der Behörden auf das Essen zweier Firmenkantinen.

Mindestens 350 Menschen haben sich in Deutschland inzwischen sicher oder vermutlich mit Ehec-Bakterien infiziert. Bei mehreren Patienten ist der Zustand kritisch. Drei Menschen sind möglicherweise bereits an der Infektion gestorben: Eine 83 Jahre alte Frau aus Niedersachsen war eindeutig mit dem Keim infiziert. Sie litt seit Mitte Mai unter blutigem Durchfall und starb bereits am Samstag. Eine 24-Jährige starb in der Nacht zum Dienstag in Bremen. Bei ihr wurden die typischen Symptome einer Ehec-Infektion festgestellt - das Laborergebnis steht allerdings noch aus. Eine weitere infizierte Frau starb bereits am Sonntag im schleswig-holsteinischen Landkreis Stormarn. Die Frau war über 80 Jahre alt und befand sich wegen einer Operation im Krankenhaus.

Ein Ehec-Patient im Hamburger Marienkrankenhaus. Die Zahl von blutigen Durchfallerkrankungen, die vom Ehec-Erreger ausgelöst werden, wächst. (Foto: dpa)

Allein in Schleswig-Holstein verdoppelte sich die Zahl der Verdachtsfälle innerhalb von einem Tag von 90 auf 200. Weitere Schwerpunktgebiete waren Niedersachsen, Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern.

Wenn sich ein Krankheitserreger so schnell ausbreitet und zugleich an mehreren weit entfernten Orten in Deutschland auftritt, stellt sich die Frage nach der Verbindung, die diese Orte miteinander haben. Gerade in Bezug auf Keime, mit denen man sich über Lebensmittel infizieren kann, ist der Verdacht naheliegend, dass der "Verteiler" ein Lebensmittelproduzent ist, der seine Produkte von einer Zentrale aus über große Entfernungen an verschiedene Zielorte transportiert, wo sie Kunden in der lokalen Bevölkerung finden.

Auf einen solchen Ausbreitungsweg deutet im Falle der Ehec-Infektionen nun einiges hin. Wie die Gesundheitsbehörden in Frankfurt am Main mitteilten, haben alle 19 bisher in der Main-Metropole Erkrankten in derselben Kantine einer Frankfurter Unternehmensberatung gegessen. Zwei Kantinen der Beratungsfirma PwC sind bereits am Montag vorsorglich geschlossen worden.

Nun muss festgestellt werden, welche Lieferung an die Kantine mit den Bakterien kontaminiert gewesen sein könnte. Derzeit werten Experten deshalb die Lieferscheine der beiden betroffenen Kantinen aus. Da die Zeit zwischen einer Infektion mit Ehec und den ersten Symptomen etwa eine Woche dauert, geht es um Nahrungsmittel, die über einen entsprechend langen Zeitraum angeboten wurden. "Wir gehen davon aus, dass die Infektionsquelle in Norddeutschland liegt", sagte Oswald Bellinger vom Gesundheitsamt in Frankfurt. "Wir gehen immer noch davon aus, dass die Übertragung durch Rohkost stattgefunden hat."

Sicherheitshalber würden auch die Küchenmitarbeiter untersucht, Ergebnisse von Proben seien bis Ende der Woche zu erwarten, wie Bellinger auch dem Radiosender FFH sagte. So lange blieben die Kantinen geschlossen.

Der Betreiber der betroffenen Betriebsrestaurants erklärte der Frankfurter Neuen Presse, dass die Theorie mit dem Zulieferer nicht einleuchtend ist. "Wir arbeiten mit vier Großhändlern zusammen, die all unsere Kantinen beliefern; es hätten also auch andernorts Erkrankungen aufgetreten sein müssen", sagte Unternehmenssprecher Stephan Dürholt der Zeitung. Dies sei jedoch nicht der Fall. Trotzdem habe man alle Zulieferer informiert. Das Unternehmen betreibt etwa 280 Firmenkantinen in ganz Deutschland.

Ohne Erfolg suchen bislang die Experten des Hamburger Instituts für Hygiene und Umwelt nach der Quelle der Infektionen. Mehr als 120 Lebensmittel, darunter hauptsächlich Gemüse, haben der Mikrobiologe Anselm Lehmacher und seine Kollegen schon untersucht. Aber: "Wir haben noch keinen konkreten Verdacht auf Ehec." Im Stundentakt liefern Kuriere in Kühlboxen junges, verdächtiges Gemüse in das sterile Labor der Abteilung Mikrobiologie in Hamburg-Rothenburgsort. In Plastikfolien und Einweggläsern liegen die mutmaßlichen Bakterienträger kreuz und quer. Erbsen, Karotten, Radieschen und andere Lebensmittel müssen einer gründlichen Untersuchung unterzogen werden.

Die Suche nach dem Erreger erweist sich als sehr schwierig. Die Angaben der Betroffenen lassen zwar vermuten, dass die üblichen Verdächtigen wie Rohmilch, Frischkäse und Rindfleisch für den großen Ausbruch des Erregers ausscheiden. Die Patienten hätten nur wenig Fleisch gegessen.

Lehmacher möchte diese möglichen Erreger-Quellen aber noch nicht ausschließen - zumal Gemüse als Ursache dieser Durchfallerkrankung seines Wissens "sehr ungewöhnlich" wäre. Nach früheren Ausbrüchen des Durchfall-Keims wisse man jedoch, dass der Erreger bei den Gemüsesorten eher an Salat, Sprossen und Spinat zu finden ist.

Viele der Infizierten sind wegen ihrer schweren Erkrankung nicht ansprechbar, können also keine Angaben machen, was sie zuvor gegessen haben. Daher konnte Lehmachers Abteilung bisher nur wenige Lebensmittel aus Haushalten der Erkrankten untersuchen. Diese Quellen sind aber am geeignetsten, um dem Erreger auf die Schliche zu kommen.

Außerdem benötigen die Lebensmittelkontrolleure eine Genehmigung der Bewohner, um in die Wohnungen der Betroffenen zu gelangen - das dauert. In Einzelhandel und Großhandel bleibt den Gesundheitsämtern nichts anderes übrig, als nach dem Zufallsprinzip auszuwählen. Ein weiteres Probleme kommt hinzu: "Häufig verteufeln die Erkrankten das Gericht, das sie zuletzt gegessen haben. So schnell läuft aber keine Infektion ab", sagte Lehmacher. Das erschwere die Spurensuche.

© sueddeutsche.de/dpa/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: