Carnivore Pflanzen:Fressen nach Zahlen

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Immobil: Weil sie nicht ihren Standort wechseln können, müssen sich Pflanzen wie die Venusfliegenfalle gut anpassen. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Die Venusfliegenfalle verschlingt Insekten erst, wenn die Beute sie oft genug berührt hat. Dazu nutzen die fleischfressenden Pflanzen einen Zählmechanismus.

Eine kleine Berührung. Zwei kleine Berührungen. Drei kleine Berührungen. Dann die Klappe zu - und auf fünf geht es los! Doch was ein wenig nach einem kindlichen Zahlenspiel klingt, ist nichts weniger als eine überraschende Entdeckung in der Pflanzenwelt. Denn eins, zwei, drei, so zählen vermutlich auch fleischfressende Pflanzen ihre Opfer aus.

Wie ein internationales Forscherteam unter Leitung deutscher Biologen jetzt im Fachjournal Current Biology berichtet, werden Venusfliegenfallen nämlich erst dann zum Räuber, wenn sie oft genug von einem möglichen Opfer berührt wurden. Nur dann sind sie sicher, dass sie nicht etwa von einem Blatt oder Windhauch gestreift wurden, sondern tatsächlich lohnende Beute in ihre Fänge geraten ist. Und nur dann setzen sie Verdauungssäfte frei. Auf diese Weise verhindern die Pflanzen, dass sie für die Produktion der zersetzenden Stoffe unnötig Energie verschwenden. Die Venusfliegenfalle kann also vermutlich wirklich so etwas wie zählen - und optimiert so die Kosten-Nutzen-Rechnung für ihre Ressourcen.

Nach fünf Kontakten ist sich die Venusfliegenfalle sicher - und setzt Verdauungsäfte frei

Das ist auch nötig, denn die Vertreter der Sonnentaugewächse müssen oft auf sehr kargen Böden gedeihen und decken fast ihren gesamten Nährstoffbedarf mit dem Fang von Insekten. Rainer Hedrich von der Universität in Würzburg wollte mit seinem Team jetzt im Detail klären, wie das anspruchslose Gewächs seine tierische Beute erkennt und vertilgt. Die Forscher nahmen dafür unter die Lupe, wie die empfindlichen Sinneshaare im Inneren der Fallenhälften gereizt werden müssen, damit Venusfliegenfallen ein eingeschlossenes Objekt überhaupt als Beute einstufen - und es für lohnenswert halten, tatsächlich auch Verdauungssäfte freizusetzen. Dazu simulierten die Forscher den Besuch von Insekten auf den pflanzlichen Fallen und beobachteten die Reaktionen der Pflanzen. Unter anderem maßen sie dabei auch elektrische Signale im Gewebe der Venusfliegenfallen.

Was die Forscher bereits wussten, ist, dass eine Berührung allein nicht reicht. Landet ein Insekt auf der geöffneten Falle und berührt dabei eines der Sinneshärchen, bleibt das folgenlos. Schon dieser einzelne Berührungsreiz löst jedoch ein elektrisches Signal aus, ein sogenanntes Aktionspotenzial. Solche winzigen Spannungsänderungen sind auch in tierischen Nervensystemen maßgeblich an der Reizleitung beteiligt. Auf die Venusfliegenfalle übertragen heißt das: Die Pflanze bemerkt den Reiz, reagiert aber noch nicht. Offenbar handelt es sich um einen ersten Filter, um die zufälligen Berührungen auszuschließen. Erst wenn sich die Beute weiter bewegt und damit ein zweites Aktionspotenzial verursacht, klappen die Hälften der Falle zu. Die nun eingeschlossene Beute zappelt und strampelt für gewöhnlich in Todesgefahr - und berührt so unweigerlich wiederholt die Sinneshaare auf der Innenseite der Fangblätter.

Wie die Wissenschaftler nun zeigen konnten, ist es die hohe Zahl der ausgelösten Aktionspotenziale, die alles entscheidet. Fünf Mal muss die Venusfliegenfalle sich auf diese Weise ihres Erfolgs versichern. Erst dann gibt sie über die Drüsen auf der Falleninnenseite Verdauungsenzyme und andere Substanzen ab, die zum Beispiel für die Aufnahme von Kochsalz nötig sind. Dabei sind die Blätter offenbar sogar in der Lage, zwischen dicken Fliegen und mageren Ameisen zu unterscheiden. Wie die Forscher feststellten, passen die Fallen jedenfalls auch die Menge der Enzyme dem Bedarf an. "Die Zahl der Aktionspotenziale informiert auch über die Größe und den Nährstoffgehalt der zappelnden Beute", sagt Hedrich.

© SZ vom 22.01.2016 / WSA - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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