Archaeopteryx:Da waren's nur noch elf

Lesezeit: 2 min

Eines der zwölf berühmten Archaeopteryx-Fossilien stammt wahrscheinlich von einem anderen Urzeit-Tier. Das Exemplar von Haarlem gehört zu einer Gruppe vogelähnlicher Raubsaurier, die erst vor kurzem in China identifiziert wurden. Es soll künftig "Ostromia" heißen.

Von Patrick Illinger

Zwölf versteinerte Exemplare des ikonischen Urvogels Archaeopteryx gibt es weltweit. Und nun muss man wohl sagen: gab es. Denn es sind nur noch elf. Eines der Fossilien, das sogenannte Haarlemer Exemplar, wurde von Experten der Universität München und der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlung Bayerns neu untersucht und in eine andere Gruppe gefiederter Raubsaurier eingeordnet. Das Exemplar soll fortan "Ostromia" heißen, schlägt der Münchner Paläontologe Oliver Rauhut vor, nach dem britischen Paläontologen John Ostrom, der im Jahr 1970 als erster erkannte, dass das im niederländischen Haarlem aufbewahrte Fossil überhaupt ein Raubsaurier ist und kein Flugsaurier, wie man zuvor dachte. Flugsaurier hatten Flughäute, keine Federn und sind nicht die Vorfahren heutiger Vögel.

Das Fossil von Haarlem gehört damit nun zu einer Gruppe vogelähnlicher Raubsaurier, den Anchiornithiden, die vor wenigen Jahren erstmals in China identifiziert wurden. Diese Tiere hatten zwar ein Gefieder, entstanden aber früher als der rund 150 Millionen Jahre alte Archaeopteryx und konnten anders als dieser vermutlich nicht fliegen. Die Verwandtschaft von Ostromia mit Fossilien im heutigen Asien lässt verschiedene Rückschlüsse auf die Entwicklung der gefiederten Raubsaurier zu. Rauhut vermutet, dass sich im Zuge der Aufspaltung des Urkontinents Pangaea die Vorfahren von Ostromia im heutigen China entwickelt haben. Später haben sich die Tiere auf anderen Kontinenten verbreitet und sind offenbar im Jura-Zeitalter bis ins heutige Bayern vorgedrungen, dorthin, wo Ostromia ebenso wie alle bekannten Archaeopteryx-Exemplare seit dem 19. Jahrhundert entdeckt wurden.

Das nun umgedeutete Haarlemer Fossil war bereits 1855 bei Jachenhausen nahe Regensburg gefunden worden. Es ist damit das älteste Fossil eines gefiederten Raubsauriers weltweit. Erst 1970 identifizierte es John Ostrom als Raubsaurier. Dass er es für einen Archaeopteryx hielt, ist verständlich, man kannte damals nur diese Variante eines gefiederten Sauriers. Nachdem allerdings in jüngerer Zeit in China die neue Gruppe der Anchiornithiden entdeckt wurde, so berichtet es Rauhut, fing man an sich zu fragen, warum in Mitteleuropa ausschließlich Archaeopteryx-Exemplare auftauchen. Daraufhin habe er mit seinem Stuttgarter Kollegen Christian Foth das vergleichsweise unvollständig erhaltene Exemplar zunächst an einem Abguss und später in den Niederlanden genau unter die Lupe genommen. Unstimmigkeiten am Beckenknochen sowie ungewöhnliche Rillen an Handknochen brachten die Experten auf die Spur: Es handelt sich um einen Vertreter der bislang nur aus Asien bekannten Gruppe der Anchiornithiden, die 2009 taxonomisch anerkannt wurde. Die Unterschiede beschreibt Rauhut in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift BMC Evolutionary Biology.

Ist das Exemplar dadurch weniger interessant? "Ganz und gar nicht", sagt Rauhut. "Ostromia ist der erste Beweis, dass sich die asiatischen Raubsaurier seinerzeit über die Welt verbreitet haben." Als einziges Exemplar der Anchiornithiden außerhalb Asiens sei es sogar eine noch größere Rarität als die Archaeopteryx-Exemplare. Beide Gruppen müssen als Seitenlinien in der Evolution gefiederter Raubsaurier angesehen werden, die letztlich zu den heute lebenden Vögeln führte. Ostromia wie auch der Archaeopteryx sind eher Großtanten und -onkel heutiger Vögel als direkte Vorfahren.

Ostromia und seine Verwandten sind evolutionsbiologisch älter als der Archaeopteryx. Sie hatten zwar Federn an Armen und Beinen, aber der weiter entwickelte Archaeopteryx konnte besser fliegen. Das brachte ihm wahrscheinlich im Bayern der Jurazeit einen Vorteil: Er konnte sich auf den damals von Flachwasser umspülten Riffen und Inseln des Solnhofener Archipels besser bewegen. Das Haarlemer Fossil wurde 1855 am östlichen Rand des einstigen Archipels entdeckt - nahe dem damaligen Festland.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: