Altersforschung:Gene für die Generation-100

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Die Rolle der Gene für den Alterungsprozess wurde unterschätzt: Im Erbgut von mehr als 1000 Hundertjährigen hat ein US-Forscherteam Gen-Varianten entdeckt, die offenbar für die Langlebigkeit ihrer Träger verantwortlich sind.

Hanno Charisius

Wie wir leben, entscheidet darüber, wie wir altern. Das klingt einleuchtend und übersichtlich - doch tatsächlich ist es wesentlich komplizierter.

Mehr als 80 Jahre alt und noch fit? Nach heutigem Kenntnisstand scheint bei Menschen, die extrem alt werden, der Alterungsprozess später einzusetzen als in der Normalbevölkerung (Foto: Getty)

Die Erbanlagen des Menschen spielen im Alterungsprozess eine Rolle, die bisher unterschätzt wurde. Im Erbgut von mehr als 1000 Menschen, die mindestens 100 Jahre alt waren, entdeckte ein amerikanisches Forscherteam jetzt eine Reihe genetischer Varianten, die für die Langlebigkeit ihrer Träger verantwortlich sind. Viele dieser Varianten liegen in jenen Genen, die auch altersbedingte Erkrankungen wie Diabetes oder Demenzen beeinflussen, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal Science.

Vor mehr als zehn Jahren begann Thomas Perls von der Boston University, einer der führenden Autoren der Studie, sich für die Langlebigkeitsgene von Menschen zu interessieren. Während seiner Ausbildung zum Arzt entdeckte er in einem Altenheim, dass ausgerechnet die beiden ältesten Patienten kaum in ihren Zimmern anzutreffen waren. Beide waren körperlich und geistig noch rege.

Perls machte sich auf die Suche nach den Ursachen für diese erstaunlich gute Verfassung. Mittlerweile haben er und seine Mitarbeiter weit mehr als 1500 Hochbetagte in ihre Untersuchungsgruppe aufgenommen. Nicht nur die Gene der alten Menschen haben die Forscher mittlerweile untersucht, sie haben auch Fragebögen gemeinsam mit ihnen ausgefüllt und zahlreiche medizinische Untersuchungen vorgenommen.

Bereits dabei stießen sie auf Auffälligkeiten in der Altersgruppe 100 plus: Langlebige lassen sich zum Beispiel nur schwer aus der Ruhe bringen. Vor allem die hochbetagten Frauen, die den Großteil der Teilnehmergruppe stellten, leiden weniger unter belastenden Lebensbedingungen als Menschen, die nur das Durchschnittsalter erreichen.

Besonders die Krankengeschichten der Studienteilnehmer lieferten Hinweise auf die möglichen Ursachen der Langlebigkeit. Typische Altersleiden wie Parkinson, Bluthochdruck und Diabetes tauchen bei der Mehrheit der Hundertjährigen erst nach dem 85. Geburtstag auf.

Die Normalbevölkerung muss damit bereits deutlich früher kämpfen. Sogar wenn die Hochbetagten an den klassischen Alterserkrankungen leiden, können sie damit besser leben als Menschen ohne die genetische Grundausstattung für ein hohes Alter.

Nach heutigem Kenntnisstand scheint bei Menschen, die 100 Jahre und älter werden, der Alterungsprozess später einzusetzen als in der Normalbevölkerung: Je älter man werde, umso gesünder sei man sein Leben lang gewesen, sagt Perls. Die genetischen Varianten, die er und sein Team nun aufgespürt haben, scheinen einen positiven Einfluss auf das Einsetzen der altersbedingten Leiden zu haben.

"Wer durch den Kugelhagel der Krankheiten gekommen ist, der den meisten Menschen zum Verhängnis wird, muss Gene haben, die Langlebigkeit fördern", sagt Elizabeth Blackburn, die für ihre Forschung auf dem Gebiet der Zellalterung im vergangenen Jahr mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt worden ist.

Doch wie die verschiedenen Gene zusammen arbeiten und bei einigen Menschen ein extrem hohes Alter ermöglichen, das sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu erklären, sagt Paola Sebastiani, neben Perls ebenfalls verantwortliche Autorin der Studie.

Die Tatsache, dass die Bevölkerung in den wohlhabenden Ländern ein immer höheres Durchschnittsalter erreicht, habe jedoch nichts mit den Methusalem-Genen zu tun, betont Sebastiani: "Wir müssen zwischen dem normalen Altern und extremer Langlebigkeit unterscheiden. Unsere Daten zeigen, dass extreme Langlebigkeit stark von den Genen abhängt, während die Umwelt hier nur eine untergeordnete Rolle spielt."

Bei Normalsterblichen falle die Lebensweise hingegen stärker ins Gewicht, was sich an der wachsenden Lebensspanne in der wohlhabenden Bevölkerung zeige. "In den USA rechnen wir inzwischen mit einem Hundertjährigen auf 6000 Menschen", sagt Sebastiani.

© SZ vom 02.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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