Akustik:"Schlimm, wenn der Bass matschig brummt"

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Der Betreiber des Clubs "Blitz" David Muallem und Sound-Ingenieur Laurin Schafhausen (links) präsentieren die Anlage. (Foto: N/A)

Das wichtigste Merkmal eines neuen Clubs ist der Klang. Schließlich bringt nur der Schall die Menschen zum Tanzen. Auf der Suche nach dem perfekten Sound für die Nacht.

Von David Pfeifer

Zwei Wochen bevor hier der beste Sound der Welt ertönen soll, ist im "Blitz" der Takt von Hämmern und der schrille Gesang der Kreissägen zu hören. Schließlich das Pfeifen einer Hydraulik, als ein langer Lkw neben der blauen Schiffsschraube vor dem Deutschen Museum in München parkt.

Ein Mann springt heraus, fragt sich bis ins Büro der Bauleitung durch und zieht anschließend vor den tränenfeuchten Augen der Clubbetreiber die Seitenplane des Lkw zur Seite. Dahinter lagern, in vielen großen, noch größeren und kleinen Kisten, geschützt wie Kronjuwelen: Bass-Boxen, Hörner, Verstärker, Frequenzweichen. Die Komponenten einer Sound-Anlage, die, einmal aufgebaut, das Herz dieses Clubs werden soll.

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Wenn über Clubs berichtet wird, dann meistens über die schicke Inneneinrichtung, oder darüber, welche Leute hingehen. Manche Clubs sollen dem Besucher Status verleihen, andere wollen bei der nächtlichen Hormon-Safari helfen. Dagegen ist nichts zu sagen, es ist nur seltsam, dass der Sound dabei zum rosa Elefanten wird, der mitten im Raum trötet und selten angesprochen wird. Denn wo auch immer auf der Welt die Menschen tanzen, tun sie es zu den Schwingungen, die ihnen aus Boxen entgegenströmen. Sie bewegen sich zu den langen, tiefen Wellen der Bassfrequenzen und den kleinen, schnellen Zacken der hohen Töne. Der Sound liefert den Takt, nach dem die Tänzer und die Herzen tanzen.

"Wenn der Bass matschig brummt ist es genauso schlimm, wie wenn hohe Schallwellen wild durcheinanderbrechen"

Der DJ und Musikproduzent David Muallem, 38 Jahre alt, kennt den Wert guten Klangs; "wenn der Bass matschig brummt, ist es genauso schlimm, wie wenn hohe Schallwellen wild durcheinanderbrechen. Man bemerkt es als Gast vielleicht nicht gleich, weil alles laut ist. Aber nach einer Stunde ist man mit den Nerven durch." Diesen Satz hat Muallem ein halbes Jahr, bevor das "Blitz" eröffnete, gesagt, da musste er seinen Mitbetreibern noch erklären, warum er das "Blitz" quasi um den Sound herum bauen lassen wollte.

Ein neuer Club braucht immer etwas Spektakuläres, um sein Publikum anzulocken. Und in diesem Fall sollte es eben der Sound sein, der unsichtbare Herrscher der Nacht. Dafür traf sich Muallem mit Akustikern, Sound-Ingenieuren, studierte auch Vorlagen des Architekten und Ingenieurs Jean Prouvé, der in den 1950er- bis 70er-Jahren bekannt dafür war, industrielles Design auf Objekte des Alltags zu übertragen - und diese bei aller Funktionalität ästhetisch wirken zu lassen.

Wie im Hausgebrauch gibt es in der Welt der professionellen Sound-Anlagen etablierte Hersteller, sie heißen Funktion-One oder Void. Muallem entschied sich schließlich für Laurin Schafhausen, 36 Jahre alt, einen Klang-Ingenieur, der für Void arbeitet. Gemeinsam mit Akustikern entwarfen die beiden mehrere Monate lang die Anlage, die zwei Wochen vor Eröffnung per Lkw aus Poole, einer kleinen Stadt in Südengland, in Einzelteilen bis nach München chauffiert wurde.

Doch vier Tage, bevor der Club öffnen soll, stapfen immer noch Handwerker in Stahlkappenschuhen im Rohbau herum, ziehen hier ein Kabel über den Boden und zücken dort einen Akku-Bohrschrauber. Die akustischen Wandverkleidungen wurden bereits angebracht, und die Hoch- und Mitteltöner hängen über dem DJ-Pult, doch Musik läuft noch keine. Laurin Schafhausen steigt über Kabelstränge. Ein Elektriker bohrt neben ihm in die Decke, erst dröhnt die Maschine, dann kreischt sie, als sie auf Metall trifft. "Hören Sie?", fragt Schafhausen und hebt den Zeigefinger in die Luft, "das ist ein sehr unangenehmes Geräusch - aber die Spitzen der Frequenz werden von den Wandpaneelen sanft gebrochen, deswegen nervt es nicht."

Die Paneele aus hellem Holz bilden große, trapezförmige Vertiefungen in den Seitenwänden, auf dem größten Teil ihrer Oberfläche wurden Waben eingeschliffen, die die hohen Schallwellen sanft und kontrolliert zurückgleiten lassen. Würde der Schall auf die Marmorwände krachen, die sonst das Innere des "Forum der Technik" bilden, würden die kurzwelligen hohen Frequenzen und die langwelligen tiefen Frequenzen unkontrolliert zurückspringen, man hätte zwar immer noch sehr laute Musik, aber eher so, wie wenn auf einem Familienfest die Verwandtschaft durcheinanderschreit.

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So aber wirkt der große Club-Raum, als habe man das Innere eines Lautsprechers betreten. Nicht nur die Farbe der Paneele trägt dazu bei, auch das matt-militärische Grün der Mittel- und Hochtöner, die sichtbar bleiben. Man entdeckt nur wenige rechte Winkel, jede Ecke, die sich weiter als 90 Grad öffnet, ist gut für den Schall. Damit das Ganze am Ende aber nicht aussieht wie die Aula einer Waldorf-Schule, haben die Architekten vom "Studio Knack" und der Architekt Simon Vorhammer das industrielle Gestaltungsprinzip Jean Prouvés in die Jetztzeit übersetzt: Was funktioniert, sieht meistens auch gut aus. Aber wie wichtig ist der Raum für den Sound? "Einer schlechten Anlage in einem guten Raum hört man noch zu", sagt Muallem, "wenn der Raum aber verbaut ist, killt er den besten Sound."

Große Lautsprecher schwingen offen in vergitterten Holzkisten, die sich mehr als mannshoch aufbauen. Vor dem DJ-Pult hängen Hörner, die so angriffslustig aussehen wie die Trompeten von Jericho. Das Ensemble wirkt wie aus einem Retro-Science-Fiction-Film, aber die Top-Teile und Bassboxen sind nicht so mächtig, weil sie beeindrucken sollen. "Es ist wie bei einem Auto mit viel Hubraum", erklärt Schafhausen, "auch wenn man langsam fährt, spürt man die Power. Und sobald man aufs Gas steigt, wird man in die Sitze gedrückt." So etwa soll sich der Klang entfalten: druckvoll, aber entspannt.

Über sechs Wege werden die Frequenzen getrennt, vertretbar wären drei, besser aber vier oder fünf. Sechs sind schon eher im audiophilen Bereich. Jeder Weg wird einzeln angesteuert, abgestimmt und verstärkt. All das muss am Ende zu einem Klangerlebnis zusammenorchestriert werden, dafür ist Schafhausen hier, um diesen komplizierten Organismus harmonisch zum Schwingen zu bringen.

Ein bisschen wahnsinnig ist der Aufwand natürlich, die Gründe klingen ein wenig wie die Argumente von Hi-Fi-Aficionados, die ihr kostspieliges Hobby gerne mit Impulsvorträgen über die Klangwärme von Röhrenverstärkern begründen und beim seismografischen Amt anrufen, bevor sie die Plattennadel in die Vinylrille sinken lassen. Doch wie sich das Ganze nun anhören wird, das kann man immer noch nicht sagen. Es wird jedes Mal ein Rennen gegen die Zeit, wenn ein Club aufmacht, aber das hier ist was für Männer mit starken Nerven. Schafhausen muss mit anpacken, um das nächste grüne Ungetüm sanft aus seiner Kiste zu heben, das über den Bass-Boxen angebracht werden soll.

Am Tag der Club-Eröffnung kraucht David Muallem unter dem DJ-Pult herum und entschuldigt sich vorab, sollte gleich sein Po aus der Hose lugen. Der erste Soundcheck war vielversprechend, aber nun müssen zwei Plattenspieler, ein großes Mischpult und vier Multimediaplayer angeschlossen werden, damit die DJs hier ihrer Arbeit nachgehen können. In acht Stunden sollen die ersten Besucher tanzen und sich vom Sound ordentlich durchföhnen lassen, aber noch muss alles zusammengesteckt werden.

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Die Knäuel von Kabelsalat unter dem Pult werden größer, Laurin Schafhausen rollt mit den Augen, Muallem ruft Kommandos unter dem Pult hervor, er fordert "Kaltgerätekabel!", es wird ihm eines gereicht, er braucht "Chinch-Kabel" und "Multicore-Adapter", Hi-Fi-Sprech unter Profis. Schafhausen verschwindet in der Kammer hinter dem DJ-Pult, die nie ein Besucher zu Gesicht bekommen wird, dort, wo sich Vorverstärker, Verstärker und Endstufen schön ordentlich zu Türmen stapeln, wo ein zweiter Void-Techniker mit einem Laptop sitzt, um die Feinabstimmung vorzunehmen. "Bis wir das richtige Setting haben, wird es aber mindestens ein halbes Jahr dauern", erläutert Muallem von unten herauf, "wir wissen bisher ja nicht einmal, wie sich das mit Leuten anhört." Dann federt er geschmeidig unter dem Pult hervor, schaltet die Geräte an, steckt seine eigenen Systeme an die Plattenspieler und USB-Sticks in die Player und bewegt sich sogleich zu einem Takt, der nur ihm aus den Kopfhörern in die Ohren drückt. Die Putzleute versuchen unterdessen, die dicke Schicht Holzmehl wegzukehren, mehrere Staubsauger röcheln vor sich hin. Muallem prüft die Multimediaplayer, dann wird die Anlage "heiß geschaltet", wie jemand aus der Kammer ruft. Noch sechs Stunden bis zur Eröffnung.

Im nächsten Moment pumpt der Sound in den Raum, so klar und mächtig, dass er jeden Kubikzentimeter füllt und nicht nur hörbar, sondern spürbar wird. Die Hosenbeine flattern zum Kick-Bass, die Höhen zausen sanft durchs obere Kopfhaar. Und, keine Übertreibung: augenblicklich tanzen die Reinigungsleute los, sie wischen die Scheibe vor dem DJ-Pult im Takt und führen mit ihren Staubsaugern eine spontane Choreografie auf.

Der Klang ist mächtig, aber trocken. Die Höhen werden von den Waben verteilt, die Tiefen rollen bis hin zu den Wandpaneelen, hinter denen sogenannte Helmholtz-Resonatoren stecken. Die nehmen die tiefen Frequenzen auf und schlucken sie. Genau genommen verdauen sie den Bass geradezu. Durch die Helmholtz-Resonatoren bleiben die kleineren, schnelleren Schallwellen unbehelligt, sie machen den Unterschied zwischen Lärm und Lautstärke.

Wobei man dazu sagen muss, dass für einen Akustiker der Ausdruck Lautstärke dem "gefühlten Wetter" gleichkommt. Ein Begriff, der eher im psychosozialen als im technischen Bereich Anwendung findet. Lautstärke wird sehr individuell wahrgenommen, wie Hitze oder Kälte ("Schatz, können wir die Heizung aufdrehen?"). Unter Profis spricht man von Schalldruck, wenn es um die messbaren Werte geht, mit denen die Luftdruckschwankungen des Schalls das Trommelfell zum Schwingen bringen. Tontechniker messen den sogenannten Schalldruckpegel, der mit jeder Verdoppelung des Abstands vom Lautsprecher um etwa sechs Dezibel abnimmt. Damit also mit Dutzenden verschiedenen Lautsprechern keine Wahrnehmungslücken beim Hören entstehen, müssen die Tieftöner, Top-Boxen und Hörner in genauen Abständen positioniert sein, damit sie aus vielen Schallwellen eine Art gleichmäßige Oberfläche schaffen, die das Ohr trifft. Das exakt zu berechnen, ist nahezu unmöglich, weshalb ein begabter Tontechniker mehr leisten kann als physikalische Formelwerke. Immerhin sind die Helmholtz-Resonatoren nach dem Physiker Hermann von Helmholtz benannt, der im 19. Jahrhundert den Ruf eines Universalgelehrten hatte. Und da das "Blitz" nicht irgendwo seine Türen öffnet, sondern im Deutschen Museum in München, steckt eine gewisse Romantik in dem Aufwand, mit dem der Sound durch diese Resonatoren zu seiner vollen Entfaltung finden soll.

Ist die Anlage im Blitz nun also besser als die im Berghain?

Nebenan im Deutschen Museum muss man eine Weile suchen, um sie zu finden. Zuerst die Wendeltreppe hoch, die eine Mehrheit der Besucher normalerweise runter geht, in die beliebte Bergwerk-Abteilung. Im ersten Stock dann in die Physik-Abteilung, so etwa in der Mitte des Weges hängen vier Original-Resonatoren auf Augenhöhe. Sie sehen aus wie alte, elegante Glühbirnen unterschiedlicher Größe, waren aber dazu gedacht, sie sich in ein Ohr zu halten, um bestimmte Schallfrequenzen aus dem Gesamtklang isoliert hören zu können. 1863 hatte Helmholtz seine Ohrgläser in verschiedenen Größen für unterschiedliche Tonhöhen anfertigen lassen, so steht es daneben auf einer vergilbten Schrifttafel.

154 Jahre später sorgen unter anderem diese Helmholtz-Resonatoren im "Blitz" dafür, dass kein Nachhall entsteht, der Ton klar bleibt und keine Klang-Schleppe hinter sich herzieht, die überall hängen bleibt. Das, was Musiker sich im Tonstudio unter Optimalbedingungen ausgedacht haben, wird unter Optimalbedingungen wieder ausgegeben und verstärkt. Als DJ legt Muallem regelmäßig auf dem Panorama-Floor im ebenso berühmten wie berüchtigten "Berghain" in Berlin auf. Er hat sich, nachdem der Club geschlossen war, einmal auf die Tanzfläche gesetzt, in den optimalen Schallbereich der Funktion-One-Anlage, und das neue Album von Lana Del Rey gehört. Ist die Anlage im "Blitz" nun also besser als die im "Berghain"? "Das ist auf diesem Niveau am Ende wie die Frage, ob man einen Lamborghini oder einen Aston Martin fahren will", sagt Muallem. Als der Tag dann zur Nacht wird, füllt sich die Tanzfläche rasch. Noch läuft Ambient-Musik blubbernd in den Raum. Um 0.20 Uhr wird der Sound sanft hochgefahren, erst mal nur Klänge, kein richtiges Musikstück. Wie bei einem Live-Konzert johlen die ersten Gäste, klatschen, fordern Lautstärke. David Muallem baut Spannung auf, Lichter flackern, Nebel quillt unter dem DJ-Pult hervor. Dann spielt er das erste Stück, hinter ihm lächelt Laurin Schafhausen. Die Schwingungen pumpen aus den Lautsprechern, treffen mit Macht auf die Gäste, der Bass übertönt nichts, die Mittel-, die Hoch- und sogar die Superhochtöne schweben frei und klar im Raum. Es tanzt nicht mehr das Holzmehl im Gegenlicht, sondern alle Menschen, die eben noch standen.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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