Umstrittenes Heilverfahren:"Homöopathie ist ein reiner Placeboeffekt"

Homöopathen halten es für wissenschaftlich belegt, dass ihre Mittel helfen, selbst wenn kein Wirkstoff mehr darin enthalten ist. Dabei berufen sie sich häufig auf den Mediziner Klaus Linde und den Quantenphysiker Anton Zeilinger. Aber was halten diese zwei Experten davon?

Markus C. Schulte von Drach

Seit Samuel Hahnemann vor mehr als 200 Jahren die Homöopathie ins Leben gerufen hat, ist dieses "alternative Heilverfahren" extrem umstritten. Da in homöopathischen Mitteln kaum bis kein Wirkstoff mehr enthalten ist, berufen sich manche Anhänger seit einiger Zeit auf die Quantenphysik, um zu erklären, wieso die Zuckerkügelchen - die sogenannten Globuli - und andere homöopathische Mittel trotzdem helfen sollen.

Globuli enthalten eigentlich nur Zucker. Die Ursubstanz der homöopathischen Arznei wird verdünnt, bis kaum noch etwas davon in den Mitteln enthalten ist. Und das ist bei vielen der Stoffe auch gut so.

Wie wirksam sind Globuli? Kann die Quantenphysik ihre Wirkung erklären?

(Foto: lok/Robert Haas)

So hat etwa der Psychologe Harald Walach, Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die "Schwache Quantentheorie" entwickelt. Er bezieht sich dabei insbesondere auf die sogenannte Quantenteleportation. Tatsächlich ist es Physikern in spektakulären Experimenten gelungen, Eigenschaften (Quantenzustände) von einem Teilchen auf ein anderes zu übertragen. Die entsprechenden Photonen oder Atome werden als miteinander verschränkt bezeichnet.

Diese Idee der Verschränkung und der "Teleportation" von Informationen hat Walach auf die Homöopathie übertragen. Ihm zufolge könnte diese ein doppelt verschränktes System darstellen: Zum einen sollen so irgendwie Informationen von einem Wirkstoff auf eine Lösung übergehen und dort bleiben - selbst wenn diese so stark verdünnt wurde, dass kein Wirkstoff mehr darin enthalten ist.

Außerdem vermutet Walach eine Verschränkung zwischen den Krankheitssymptomen, unter denen ein Patient leidet, und den Symptomen, die ein Stoff auslöst, wenn er im Rahmen der homöopathischen Arzneimittelprüfung getestet wird: Um mögliche Wirkstoffe zu identifizieren, verabreichen Homöopathen gesunden Menschen die verschiedensten Substanzen und stellen dann zusammen, was sie für mögliche Reaktionen auf diese Stoffe halten. Anhand dieser "Symptome" beurteilen sie, bei welchen Krankheiten mit ähnlichen Symptomen die Substanzen eingesetzt werden könnten.

Naturwissenschaftlich ist das alles nicht nachvollziehbar. Aber um solchen Vorstellungen einen seriösen Anstrich zu geben, garnieren manche Anhänger der Homöopathie die entsprechenden Erklärungen mit Zitaten von Wissenschaftlern wie Anton Zeilinger von der Universität Wien, einem der Physiker, die tatsächlich Quanten teleportiert haben.

Verweise auf die Quantenphysik und Zeilinger finden sich zum Beispiel häufig bei Claus Fritzsche, der gleich einen ganzen Strauß von Blogs zum Thema Homöopathie, zu weiteren "alternativen Heilverfahren" und Phänomenen wie Nahtod-Erfahrungen betreibt und betreut. Was aber Fritzsche und alle anderen Anhänger der Homöopathie bislang wohl versäumt haben: Niemand hat Anton Zeilinger gefragt, was er davon hält, dass sein Name dazu verwendet wird, Vorstellungen wie die von Harald Walach zu stützen.

"Dass ein Bezug zwischen meiner Arbeit und der Homöopathie hergestellt wird, ist wissenschaftlich unbegründet", sagte Zeilinger Süddeutsche.de. "Ich bedaure es sehr, dass mein Name damit in Verbindung gebracht wird."

Dafür, dass ein Wirkstoff Informationen in einer Lösung hinterlässt, in der er selbst nicht mehr enthalten ist, "gibt es keinerlei wissenschaftliche Beweise", erklärt der Physiker. "Homöopathie ist in meinen Augen ein reiner Placeboeffekt." Auch von der sogenannten Quantenmedizin hält er nichts. "Das ist ein schwammiger, spekulativer Begriff, nicht die Bezeichnung eines wissenschaftlichen Gebietes."

"Homöopathie ist höchst unplausibel"

Ein anderer Experte, der von Homöopathen immer wieder als Kronzeuge für die Wirksamkeit des "alternativen Heilverfahrens" aufgeführt wird, ist Klaus Linde von der TU München.

Tatsächlich hatte der Mediziner mit seinem Team 1997 eine Vielzahl von Studien zur Homöopathie überprüft - und war zu dem Schluss gekommen, dass die klinischen Effekte der Homöopathie nicht vollständig auf Placeboeffekte zurückgehen. Die Studie kursiert seitdem in den einschlägigen Kreisen als Beleg für die Wirksamkeit der Mittel.

Doch sein Fazit hat Linde schon vor Jahren relativiert. In einem Brief an die Fachzeitschrift Lancet erklärte er 2005 "Unsere Meta-Analyse von 1997 wurde unglücklicherweise von Homöopathen als Beleg dafür missbraucht, dass die Wirksamkeit ihrer Therapie bewiesen sei. Wir stimmen zu, dass die Homöopathie höchst unplausibel ist, und dass die Belege aus placebokontrollierten Studien nicht überzeugend sind."

Auf Nachfrage von Süddeutsche.de bestätigte Linde, dass er das noch immer so sieht. Allerdings schränkt er zugleich ein: "Angesichts der vielen positiven Befunde halte ich die Wirksamkeit nicht für völlig ausgeschlossen."

Das ist auch der Grund, weshalb Linde vor einigen Jahren die Autoren einer Untersuchung für das Schweizer Bundesamt für Gesundheit kritisierte. Matthias Egger und seine Kollegen von der Universität Bern hatten etliche Studien zur Homöopathie überprüft. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie 2005 im Fachmagazin Lancet: Homöopathie hat demnach keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus. Die Zeitschrift hatte in einem Leitartikel deshalb das "Ende der Homöopathie" verkündet.

Für die meisten Schulmediziner ist die Sache seitdem geklärt. Homöopathen aber stellen sie bis heute in Frage. Auch Klaus Linde hält die Schlussfolgerung von Lancet für "mehr als gewagt". Aufgrund der geringen Plausibilität der Homöopathie, so sein Vorwurf, hätten die Autoren ihr Ergebnis sehr negativ interpretiert.

Anhänger Hahnemanns weisen zudem gerne auf eine andere Untersuchung aus dem Jahre 2005 hin, die ebenfalls für das Schweizer Bundesamt für Gesundheit vorgenommen wurde. Eine "Bewertungsgruppe" um den anthroposophisch orientierten Mediziner Peter Matthiessen von der Universität Witten/Herdecke beurteilte die Homöopathie als wirksam.

Allerdings war ihrem Bericht "deutlich anzumerken, dass die Autoren oder ein Teil der Autoren den Verfahren positiv gegenüber stehen bzw. von deren Wirksamkeit weitgehend überzeugt sind", heißt es im Schlussbericht für das Schweizer Bundesamt. Wenn also Egger und seinen Kollegen unterstellt wird, sie seinen voreingenommen gewesen, dann müssen sich Matthiessen und sein Team den gleichen Vorwurf gefallen lassen.

Aber was hilft den Patienten?

Unzufrieden mit der Egger-Studie hatten sich zwei weitere Experten die bereits untersuchten Daten noch einmal vorgenommen: Der Statistiker Rainer Lüdke von der Carstens-Stiftung - einer Homöopathie-Lobby-Organisation - und der niederländische Homöopath Lex Rutten. 2008 stellten sie im Journal of Clinical Epidemiology fest: "Homöopathie hat eine signifikante Wirkung über Placebo hinaus." Dieser Satz in der Zusammenfassung ihres Artikels scheint klar und deutlich und wird von Homöopathen gern zitiert.

Doch liest man die Studie bis zum Ende, so klingt ihre Schlussfolgerung ganz anders: "Unsere Ergebnisse belegen weder, dass homöopathische Mittel Placebos überlegen sind, noch belegen sie das Gegenteil."

Was heißt das nun? Klarer fassen die Professorin für Komplementärmedizin an der Berliner Charité, Claudia Witt, und ihr Kollege Stefan Willich die Studienlage in einem Informationsblatt zur Homöopathie zusammen: "Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden."

Bis zum Beweis des Gegenteils müssen die Mittel demnach also als Scheinmedikamente betrachtet werden - da eine andere Wirkung angesichts der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen 200 Jahre extrem unplausibel ist. Dieser Hinweis fehlt allerdings auf den meisten Gesundheitsseiten im Netz, oder den Infobroschüren der Krankenkassen, die die Homöopathie vorstellen. Und selbst Auftritte wie Netdoktor.de verweisen noch immer auf die Linde-Studie von 1997.

"Eine schöne Hypothese"

Viele Mediziner schließen allerdings nicht aus, dass da mehr ist, was den Patienten hilft, als der reine Placeboeffekt eines Scheinmedikaments. Klaus Linde etwa vermutet, "dass das gesamte homöopathische Therapiesetting wirksam ist". Auch Witt und Willich betrachten "insbesondere die individuelle und umfassende Art der Behandlung" als "relevant für den Behandlungserfolg".

Ähnlich sehen das Schulmediziner wie Jürgen Windeler vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Homöopathische Ärzte beschäftigen sich meist intensiv mit den Patienten - und auch das empathische Zuhören kann Windeler zufolge das Wohlbefinden der Betroffenen verbessern. Das aber sei einfach ein gutes ärztliches Tun. Es wäre demnach also gut, wenn sich Ärzte auf diese Weise um die Patienten kümmern könnten - auch ohne homöopathische Mittel einzusetzen.

"Das ist eine schöne Hypothese", sagt Klaus Linde. Wäre es demnach nicht an der Zeit, die rituell hergestellten homöopathischen Mittel mit wenig oder keinem Wirkstoff zu vergessen - und stattdessen auf die sogenannte sprechende Medizin zu setzen? "Das würde ich liebend gern untersuchen", erklärt Linde. Dafür müsste allerdings auch Geld zur Verfügung gestellt werden. Und "auch die Patienten müssten mitmachen".

Von denen aber, das zeigen Umfragen immer wieder, sind nach wie vor viele fest davon überzeugt, dass Globuli und Co. ihnen helfen - auch wenn das weder eindeutig belegt noch plausibel ist.

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