Geld für die Forschung:Wie erkennt man gute Wissenschaft?

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Seit 50 Jahren unterstützt die Volkswagenstiftung junge Forscher mit originellen Ideen. Doch wodurch zeichnen sich vielversprechende Talente frühzeitig aus? Ein Gespräch mit dem Generalsekretär der Stiftung, Wilhelm Krull.

Patrick Illinger

Die Volkswagenstiftung ist die größte private Förderorganisation für Wissenschaft in Deutschland. Jährlich werden mit einem Budget von gut 100 Millionen Euro Projekte und Forscher aus den Geisteswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin unterstützt. Das Fördervolumen ist zwar nur ein Bruchteil des Etats der großen, mit Steuergeld finanzierten Förderorganisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Doch nimmt die Volkswagenstiftung für sich in Anspruch, neue Forschungsgebiete und Talente besonders frühzeitig zu erkennen, sowie Forschung über Disziplinen und Staatsgrenzen hinweg zu ermöglichen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden 30 000 Projekte mit insgesamt vier Milliarden Euro finanziert. An diesem Donnerstag feiert die Stiftung ihr 50-jähriges Bestehen. Das ist Anlass für ein Gespräch mit dem Generalsekretär Wilhelm Krull.

SZ: Was muss ein Wissenschaftler ausstrahlen, damit Sie Ihre Fördertöpfe öffnen?

Krull: Entscheidend ist, ob ein Bewerber mit Haut und Haaren für das einsteht, was er vorhat. Kann die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler eine originelle Idee auch kompetent und engagiert anpacken und umsetzen? Um das zu beurteilen, gibt es verschiedene Stufen der Qualitätsbewertung, dazu gehören schriftliche Gutachten, bei denen uns jedes Jahr etwa 800 Experten helfen, und Präsentationen. Am Ende ist auch Intuition nötig. Obwohl es paradox klingt: Exzellenz erkennt man, wenn man sie sieht.

SZ: Was sind die Vorteile einer privaten Stiftung gegenüber den großen, öffentlich finanzierten Förderorganisationen, die jährlich zehn oder zwanzig Mal so viel Geld vergeben?

Krull: Wir sind nicht nur autonom, sondern auch autark. Wir verfügen freier über unsere Mittel. Entscheidungsverfahren sind weniger bürokratisch. Wir haben nicht die üblichen Zwänge, die es in der öffentlichen Finanzierung gibt, wo vielleicht zwei Milliarden Euro jährlich auf dem Papier stehen, aber die erste Milliarde bereits verfrühstückt ist, um Projekte aus den Vorjahren weiterzuführen, wie etwa bei den Sonderforschungsbereichen der DFG. Wenn wir zum Beispiel eine unserer Lichtenberg-Professuren für fünf Jahre bewilligen, dann wird das Geld im jeweiligen Jahr vollständig zurückgelegt. Im Folgejahr können wir wieder über unsere kompletten jährlichen Mittel von 100 bis 120 Millionen Euro verfügen. Wir haben auch keine laufenden institutionellen Verpflichtungen, etwa aufgrund einer eigenen Hochschule.

SZ: Fördern Sie bewusst Projekte, an die sich andere nicht so herantrauen?

Krull: Ich denke schon, dass die Volkswagenstiftung eine Reputation als risikobereite und veränderungswillige Organisation hat. Wir sind bereit, Chancen früh zu erkennen, gemeinsam mit jungen Wissenschaftlern neue Ideen anzugehen, um damit Impulse zu geben für andere. Ein Beispiel aus den Naturwissenschaften ist die Einzelmolekülforschung, die wir kurz nach meinem Amtsantritt 1996 zu fördern begonnen haben. 1999 wurde dies von Science auf der Titelseite zum heißen Zukunftsthema ausgerufen. Danach gab es Sonderforschungsbereiche und Professoren wurden ernannt, die unsere Förderung durchlaufen hatten.

SZ: Wer Ihren Jubiläumsband durchsieht, staunt über die Vielfalt. Da wird Moral in der Finanzwelt erforscht, Eisfische im Nordmeer und Meningitis in der Sahelzone. Gemessen an der Größe der Stiftung, denken Sie manchmal, oha, jetzt wird der Spagat aber arg groß?

Krull: Unser Förderportfolio lässt sich klar in drei größere Bereiche einteilen: Personenbezogene Förderung, bei der wir versuchen, wissenschaftlichem Nachwuchs mit vergleichsweise langem Atem die Chance geben, etwas grundsätzlich Neues zu versuchen. Hierzu gehören die Schumpeter-Fellowships und die Lichtenberg-Professuren. Wenn wir uns für eine Person entschieden haben, verpflichten wir uns meist auf fünf bis acht Jahre, also deutlich länger als in der Mainstream-Förderung. Im zweiten Bereich suchen wir mit jungen Experten gemeinsam neue Themenfelder, die es in der Förderlandschaft so noch nicht gibt. Und als drittes fördern wir internationale Wissenschaftsbeziehungen. Das begann Anfang der 1960er-Jahre mit Israel. Danach wurden die Zielgebiete schrittweise ausgeweitet, über China und Osteuropa bis nach Afrika und Mittelasien.

SZ: Was könnte für junge Wissenschaftler ein typisches Thema sein, mit dem man sich bei der Volkswagenstiftung bewirbt?

Krull: Vor einigen Jahren zum Beispiel entdeckten wir an der Schnittstelle von Neurologie, Psychologie und Philosophie ein neues Forschungsfeld. Dann haben wir mit jungen Leuten in Workshops Themen erarbeitet, die zunächst als Pilotvorhaben und später als größere Projekte gefördert wurden. Da kam eine Menge heraus zu Themen wie Zeit und Zeiterfahrung oder freier Wille. Zurzeit sondieren wir auf dem Feld der Elektrochemie neue Möglichkeiten. Dazu wird es demnächst eine internationale Suchkonferenz geben, dort werden wir hoffentlich neue Themen jenseits der herkömmlichen Batterieforschung identifizieren können. Ideen, die uns vielleicht in zehn, 15 Jahren neue Möglichkeiten bieten, das Nachhaltigkeitsproblem in der Energieversorgung zu lösen oder die Elektromobilität voranzubringen.

SZ: Eines der berühmtesten von der Volkswagenstiftung geförderten Projekte war vor 40 Jahren die Studie "Grenzen des Wachstums" über die Endlichkeit der Ressourcen in einer dicht bevölkerten Welt. Die Ergebnisse werden bis heute kontrovers diskutiert. Manche sehen sie als verfehlten Pessimismus, andere loben die visionäre Kraft. Sind ähnliche Dispute heute noch ein Ansinnen der Stiftung?

Krull: Die Studie entfaltete eine enorme Öffentlichkeitswirkung und wurde in 37 Sprachen übersetzt, was sicher ein Sonderfall ist. Aber es ist durchaus Aufgabe einer unabhängigen Stiftung, auch kontroverse Themen anzuschieben und diese in die Öffentlichkeit zu bringen. So wie wir das im Fall des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration getan haben: einem überparteilichen Expertengremium, das auf einem heftig umstrittenen Politikfeld wissenschaftlich fundierte Expertisen und Empfehlungen erarbeitet hat - und nicht etwa, wie sonst häufig, von der Politik bestellte Gutachten.

SZ: Es gibt in der Forschungsförderung immer wieder Modethemen. In den 1990er-Jahren war der Begriff Nano ein Zauberschlüssel zu den Fördertöpfen, vor einigen Jahren war es Geschlechterforschung. Kann man sich solchen Massentrends entziehen?

Krull:Diese Moden gibt es zweifellos. Das hat auch damit zu tun, welche Strömungen aus den USA zu uns schwappen. Es ist dann unsere Aufgabe zu bewerten, ob es substanziell etwas Neues gibt. Das prüfen wir gemeinsam mit in- und ausländischen Experten, bevor wir überhaupt ein Programm starten. Gleichwohl kann man sich nicht davor schützen, dass Modethemen ihren Platz finden. Wir achten aber darauf, dass junge Wissenschaftler damit längerfristig Erfolg haben können.

SZ: Gibt es ein Beispiel für eine fehlgeschlagene Förderidee?

Krull: Eine Initiative, von der wir dachten, sie könnte besonders erfolgreich sein, war das sogenannte Tandem-Programm, bei dem wir je zwei jungen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen die Möglichkeit boten, im Duo zu arbeiten. Das hat leider meist zu einer Asymmetrie geführt, bei der einer den anderen überflügelte. Diese Förderidee war am Ende also nicht allzu erfolgreich.

SZ: Das lässt Übles ahnen für die zurzeit politisch so erwünschte Clusterbildung in der Forschung, bei der plötzlich Institute gemeinsame Sache machen, die sich fünf Jahre vorher nicht mal kannten.

Krull: Clusterbildung ist sehr unterschiedlich zu bewerten. Von Geisteswissenschaftlern hört man, dass diese Kooperationen oft zu groß dimensioniert sind, und zu viel Reproduktion des Immergleichen passiert. Bei Natur- und Technikwissenschaften läuft es offenbar besser. Wir überlassen es aber am liebsten den Wissenschaftlern, neben der Themenfindung auch über die Projektgröße zu bestimmen. Das führt in der Regel eher zu mittelgroßen Gruppen.

SZ: Wie groß ist ein effizient arbeitendes Forscherteam?

Krull: Zwischen vier und sieben Wissenschaftler gelten als überschaubare Einheit.

SZ: Welches war ein Projekt, bei dem alles perfekt lief?

Krull: Ein perfektes Projekt ist zugleich eines, das einen langen Atem erfordert. Ein Beispiel wäre Henrik Mouritsen aus Oldenburg, den wir zunächst als Nachwuchsgruppenleiter und später mit einer Lichtenberg-Professur unterstützt haben. Er hat die Neurobiologie von Zugvögeln erforscht. Mit vielen Publikationen in Nature und Science hat er dieses Feld international geprägt, und das an einer Universität, die zuvor nicht als führende Einrichtung auf diesem Feld sichtbar war.

SZ: Sie fördern vergleichsweise langfristig, aber wie steht es um die Verantwortung danach? In Deutschland scheitern noch immer viele Forscher im akademischen System.

Krull: Wir versuchen seit einigen Jahren, den deutschen Universitäten zu vermitteln, dass wir im Hinblick auf Spitzenforscherinnen und -forscher umdenken müssen. Gespräche mit Postdoktoranden, etwa in den USA, zeigen immer wieder das Bild: Selbst bei guter Leistung kann man sich in Deutschland nicht darauf verlassen, Karriere zu machen. Manche Universitäten tun sich aber noch immer schwer, nicht nur Bewerbungen entgegenzunehmen, sondern herausragende Persönlichkeiten aktiv zu rekrutieren und sie mit einer klaren strategischen Absicht für die Weiterentwicklung neuer Forschungsrichtungen zu begeistern. Wichtig ist aber auch eine Kultur der Verantwortung. Man muss Nachwuchsforschern frühzeitig ehrliche Einschätzungen ihrer Fähigkeiten und Chancen geben, damit sie nicht im Alter von 40, 45 Jahren ohne Perspektive dastehen.

© SZ vom 15.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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