Fußball und Mathematik:Die Geometrie des Elfmeters

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Wie kann der Ball bloß daneben gehen, so wie zuletzt, als Ramos von Real Madrid ihn über das Tor hinweg wuchtete? Ein mathematischer Ausflug zwischen Pfosten und Latte, der die Trefferquote beleuchtet.

Patrick Illinger und Laura Hennemann

Das Tor ist groß und der Elfmeter-Schütze ein Profi. Wie kann da noch der Ball ins Leere gehen? Doch es passiert. Immer wieder. So war es 1976, als Uli Hoeneß die Kugel meterweit über das Tor wuchtete. Und es geschah am vergangenen Mittwoch, als Sergio Ramos, Vizekapitän von Real Madrid, einen Elfmeter gegen das Team von Bayern München mit derart viel Elan trat, dass die Kugel in gerader Linie über die Latte hinweg in den Nachthimmel raste.

Elfmeter-Schütze Sergio Ramos von Real Madrid vor dem Bayern-Tor: Das Spielgerät raste über die Latte hinweg in den Nachthimmel. (Foto: Juan Medina/Reuters)

Mancherorts wird nun spekuliert, ob der für München tätige Torhüter Manuel Neuer über einen telekinetischen Blick verfügt, mit dessen Hilfe er gegnerische Schüsse am Torkasten vorbeilenken kann. Eine andere Version der Ereignisse besagt, die Nasa habe die Flugbahn des von Ramos geschossenen Balls im Weltraum verfolgt. Demnach ist das Spielgerät noch im Orbit unterwegs und wird am Abend des 19. Mai wieder in die Atmosphäre eintreten, um mit 27.000 Kilometer pro Stunde in das Bayern-Tor der Allianz-Arena einzuschlagen.

Abseits solcher spekulativer Betrachtungen ist die Angelegenheit natürlich ein willkommener Anlass für eine, nunja, hornbrillenstrenge, mathematische Betrachtung. Hierbei sind die Formelwerke der Geometrie hilfreich, ebenso wie statistische Erhebungen.

Betrachten wir also zunächst das Fußballfeld als Ebene, welche Luftraum und Erdreich trennt. Die untere Hälfte dieses Koordinatensystems ist naturgemäß für den Ball nicht zugänglich, es bleibt somit der obere Halbraum als Betätigungsfeld für Elfmeterschützen. Nehmen wir vereinfachend an, der Spieler hätte keine Ahnung, wo sich das Tor befindet, etwa weil seine Augen verbunden sind. Wie groß ist dann die Chance, mit einem beliebigen Schuss das Rechteck des Tors zu treffen?

Die Antwort vermag überraschen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine beliebige vom Elfmeterpunkt ausgehende Flugbahn die immerhin 17,9 Quadratmeter große Torfläche kreuzt, beträgt lediglich 2,35 Prozent. Die gleichen Umstände vorausgesetzt, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen zufälligen Lattentreffer übrigens bei nur 0,12 Prozent, sofern man den Balldurchmesser außer acht lässt und eine Lattenfläche von 7,32 mal 0,12 Meter ansetzt.

Profis lenken 93,5 Prozent aller Schüsse erfolgreich Richtung Tor

Nun sind die Augen von Elfmeterschützen natürlich nicht verbunden, sodass die meisten Spieler wissen, wo das Tor ist. Gemessen an den vielen geometrisch möglichen Flugbahnen - fast 98 Prozent verfehlen das Tor - liegt die reale Trefferquote dennoch erstaunlich hoch. Erhebungen der Universität Erlangen haben gezeigt: Bundesliga-Profis lenken 93,5 Prozent aller Elfmeterschüsse erfolgreich in Richtung des Rechtecks zwischen Pfosten und Latte.

Noch nicht berücksichtigt ist dabei die Rolle des Torwarts. Letzterer deckt mit ausgestreckten Armen etwa zehn Prozent der Torfläche ab (auch wenn es bei Manuel Neuer gefühlte 90 Prozent sind). Würde der Goalie sich also zufällig irgendwo im Tor ausstrecken, könnte er nur rund ein Zehntel aller Bälle halten, was unter der realen Erfolgsquote eines guten Torwarts liegt.

Doch zurück zu den genannten 93,5 Prozent, den korrekt auf das Tor gezielten Elfmeterschüssen. 6,5 Prozent aller Strafstöße gehen demnach am Tor vorbei. Nun könnte man versucht sein, die Fläche des Tors um diese Prozentzahl zu vergrößern, damit Fehlschüsse künftig ausbleiben. Geometrisch entspräche das einer 17 Zentimeter höheren Latte. Sofort wird klar: Diese Anpassung brächte längst keine Trefferquote von 100 Prozent, verschossene Elfmeter verfehlen das Tor oft um mehr als 17 Zentimeter.

Wissenschaftlich interessant wäre daher ein Tor, dessen Ausmaße jeden in der Geschichte des Fußballs noch so weit daneben geschossenen Elfmeter auffangen würde. Ob dann immer noch manchmal ein Elfmeter daneben ginge? Auf jeden Fall. Es muss ihn also geben, den telekinetischen Blick mancher Torhüter. q.e.d.

© SZ vom 28.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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