Zumwinkel vor Gericht:Ein Fall mit vielen Folgen

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Ex-Postchef Klaus Zumwinkel zeigt sich im Prozess als reuiger Steuersünder. Draußen vor der Tür findet er wenig Verständnis.

Hans Leyendecker, Bochum

Als Klaus Zumwinkel an diesem Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Bochum vorfährt, muss er wieder einmal erfahren, dass schon die bloße Erwähnung seines Namens für Unruhe und Getöse sorgt. Demonstranten haben vor dem Gebäude eine Mahnwache eingerichtet und halten Plakate und Transparente hoch: "Je reicher, desto gleicher", ist zu lesen, und: "Für Zumwinkel ist alles klar - ein Strafprozess wird zum Basar."

Klaus Zumwinkel (Mitte) mit seinen beiden Anwälten Rolf Schwedhelm (li.) und Hanns Feigen. (Foto: Foto: AP)

Eine linksalternative Gruppe aus dem Revier singt das für diesen Anlass geschriebene "Bochumer Zumwinkel-Lied vom Dealen für Freiheit und Gerechtigkeit": "Schiebst du deine Millionen still am Steuersack vorbei, Richter werden dich verschonen, bisschen dealen, bleibst du frei", lautete die erste von sieben Strophen. Am Ende heißt es: "Wird der Rechtsstaat auch zur Leiche - Freiheit für besonders Reiche." Zu den Initiatoren der Demonstration gehörte auch ein linker Bochumer Amtsrichter.

Spießrutenlauf durch Fotografenheer

Wer in den Saal 240 C will, wo Zumwinkels Fall von 11.35 Uhr an verhandelt wird, muss eine Sicherheitsschleuse passieren. Der Spießrutenlauf durch das Heer der Fotografen bleibt dem früheren Postchef immerhin erspart. Er gelangt auf Nebenwegen in den Saal. An seiner Seite sind seine Anwälte Hanns Feigen und Rolf Schwedhelm. Nur drei Fotografen und zwei Kameraleute dürfen vor Beginn der Verhandlung in den Gerichtsaal: Zumwinkel steht aufrecht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Manchmal wendet er sich zur Seite.

Dass er nicht wie ein Champion einziehen würde, war klar. Trotzdem versucht der 65-Jährige wie ein Mann dreinzuschauen, der auch im größten Getümmel über der Situation steht.

Ganz leicht fällt ihm diese früher so selbstverständliche Souveränität an diesem Tag sicherlich nicht. Dafür ist in den vergangenen elf Monaten zu viel passiert. Über den ehemaligen "Strategen des Jahres" und "Manager des Jahres" ist nicht nur an den Stammtischen das Urteil längst gesprochen worden. Einen "neuen Asozialen" hat ihn der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil genannt, weil Zumwinkel Millionen Euro bei der LGT-Bank in Liechtenstein vor dem Fiskus versteckt hatte. Und auch ehemalige Kollegen haben ihn behandelt, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Dabei gab Zumwinkel eigentlich nur den ungezählten Steuersündern im Land einen Namen.

Auf der Richterbank haben die Mitglieder der 12. Großen Wirtschaftsstrafkammer Platz genommen: drei Berufsrichter, zwei Laienrichter. Einige von ihnen haben schon eine Menge Erfahrung mit der Bewältigung von Wirtschaftsstrafprozessen. Vor allem der Vorsitzende Richter, Wolfgang Mittrup, 56, ist sehr routiniert.

Auf der Bank der Ankläger sitzen die Staatsanwältin Daniela Wolters, 34, und der Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel, 39, die noch nie so im Scheinwerferlicht standen. Zumwinkel lächelt freundlich. Die junge Staatsanwältin hat er schon am 14. Februar 2008 kennengelernt, als die Villa in Köln, die er gemietet hat, durchsucht wurde.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup, 56, verliest die Personalien des Unternehmersohns Zumwinkel. Das Gericht erfährt von ihm, dass in der Anklage bei den Vornamen (Klaus Peter Richard) ein Otto unterschlagen wurde. Die Staatsanwältin nimmt seinen Hinweis auf den fehlenden Otto gleich auf, als sie den Anklagesatz vorträgt und nennt alle Vornamen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum Klaus Zumwinkel die Folgen seiner Lichtenstein-Affäre als "schmerzhaft" bezeichnet.

Manager Zumwinkel
:Seine Höhen, seine Tiefen

Klaus Zumwinkel - Ein Veteran der deutschen Wirtschaft. 13 Jahre lang war er Vorstandschef der Deutschen Post, zuvor vier Jahre lang Geschäftsführer der Bundespost. 2008 häuften sich jedoch die Hässlichkeiten: nach dem Verkauf von eigenen Aktienoptionen im Dezember 2007 stürmten am 14. Februar 2008 Ermittler die Zumwinkelsche Villa und die Post-Zentrale. Verdacht: Steuerhinterziehung.

Zumwinkel wird vorgeworfen, zwischen 2003 und 2007 rund 967.000 Euro Einkommensteuer einschließlich Solidaritätsbeiträgen hinterzogen zu haben. In Liechtenstein lagerten Ende 2006 auf seinen Konten rund 11,8 Millionen Euro. Zahlen mit vielen Nullen schwirren durch den Raum. Einige Zuhörer seufzen.

Affäre Zumwinkel
:Jagd auf Steuersünder

Erinnern Sie sich an den ersten Tag der Liechtenstein-Affäre, als die Polizei den ehemaligen Postchef Zumwinkel verhaftete? An die bundesweite Großrazzia? Und wie der BND Millionen für geklaute Kontodaten zahlte? In Bildern

Mehr als diese Zahlen interessieren das Publikum und auch die Medien Schicksal, Lebenskurve, Biographie. Als die Erklärungen zur Person kommen, trägt Zumwinkel seine beeindruckende Vita vor. Es wird still im Saal. Zumwinkel erzählt von sich. Von Menschen. Von Geschäften. Erst war er Direktor bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company, dann Chef von Quelle, bis er 1990 als Chef der Post anfing und tüchtig aufräumte: "Ein Sanierungsfall, stark defizitär." Er hat in seinem Berufsleben eine Stufe nach der anderen genommen, immer höher. Die Chinesen, die Japaner, alle wollten seinen Rat, mehrere Kanzler auch. Vor dem 14. Februar 2008 wurden ihm Posten und Ehrungen angeboten. Er hatte die Auswahl - bis er abstürzte.

Jetzt hat der einst Vielgefragte nicht nur in Kontrollgremien keinen Platz mehr. "Aufgrund meiner Reputation", fängt er einen Satz an und fügt dann rasch hinzu: "In dem Feld." Er redet über das Ansehen, das er als Manager hatte. Seine Sprache ist seltsam gefärbt - der Klang vom Niederrhein und vom Revier mischen sich - das klingt sympathisch.

Die Offentlichkeit gemieden

Fast ein Jahr lang hat dieser Mann in der Öffentlichkeit geschwiegen. Er hat keine Interviews gegeben, er hat sich nicht in Talkshows einladen lassen; manchmal hat er davon geträumt, wenigstens Wohltätigkeitsveranstaltungen zu besuchen. Dazu sei die Zeit noch nicht reif, haben seine Berater gemeint, und er hat sich wieder auf seine 800 Jahre alte Burg über dem Gardasee zurückgezogen, die heute einen Wert von rund fünf Millionen Euro hat.

Auffällig ist bei seinem Vortrag, dass er sich mit Zahlen schwer tut. Wann der Vater oder die Mutter geboren und gestorben sind, bleibt im Ungefähren. Der Postzusteller Heinz-Otto Labudda, der schon 41 Jahre die Post in Gevelsberg austrägt und am frühen Morgen um halb sechs Uhr vor dem Landgericht stand, um Einlass zu bekommen, findet das "komisch". "Warum hat der eine solche Gedächtnislücke?", fragt er, und die vielen Fernsehkameras filmen Labudda, weil auf seiner gelben Jacke "Deutsche Post" steht.

Vielleicht fallen Zumwinkel manche Zahlen an diesem Tag nicht ein, weil er aufgeregt ist. Er hat einen sehr roten Kopf. Eigentlich ist Zumwinkel, wie seine Freunde sagen, ein Familienmensch. Seine Frau Antje, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist, und die beiden 29 und 28 Jahre alten Kinder stehen zum Vater. Einige Freunde auch.

Hier im Saal verhandeln Menschen miteinander, die aus verschiedenen Welten kommen. Nur das Strafrecht hat sie zusammengebracht, und sie versuchen, die Sprache der anderen zu verstehen. Während Zumwinkel redet, hört ihm der Vorsitzende Richter Mittrup aufmerksam zu. Er hat gleich klar gemacht, dass er diesen Prozess wie jeden anderen Prozess führen werde, und dass es weder eine besondere Behandlung gebe, noch eine Absprache gegeben habe. Es wird rasch klar, dass der Vorsitzende, der ebenso wie Anwalt Feigen im Revier geboren ist, ein gelassener Mann ist, und selbst wenn er ein anderes Naturell hätte, geböte ihm die Vernunft, an diesem Tag gelassen zu wirken.

Dann werden die Vermögensverhältnisse Zumwinkels erörtert. Der angeblich so gierige Ex-Manager hat die Burg, zwei Autos, ein Boot am Gardasee, und auf dem Konto liegen rund acht Millionen Euro. Sein Nettoeinkommen schätzt er auf 600.000 Euro jährlich. Als er sein Vermögen addiert, seufzt wieder ein Zuhörer vernehmlich. Bei solchen Betrachtungen kommt es meist nur auf den jeweiligen Standort an. Ob einer aus dem Tal oder vom Gipfel aus auf die Welt schaut, macht schon einen Unterschied.

"Der größte Fehler meines Lebens"

Zumwinkel hat einen Fehler gemacht, und über das Wesen des Fehlers hat der zynische Polizeiminister Napoleons, Joseph Fouché, mal gesagt: "Das ist mehr als ein Verbrechen, es ist ein Fehler."

Zumwinkel sagt nun vor Gericht, das Versteck in Liechtenstein "war der größte Fehler meines Lebens". Die Folgen seien "schmerzhaft" gewesen. "Meine beruflich Tätigkeit hat ein jähes Ende gefunden." Und der Beruf sei doch "mein Leben" gewesen. Dabei stockt seine Stimme immer wieder. Im vergangenen Jahr habe er oft über diesen "Fehler" nachgedacht. "Die größte Strafe" habe er schon "erlitten". Die Auswirkungen auf die Familie seien gewaltig gewesen. Sein Haus sei belagert worden, es habe Drohanrufe gegeben, böse Briefe. "Ich will aber nicht klagen."

Richter Mittrup fragt: "Warum sind Sie 1986 nach Liechtenstein gegangen? Sie waren doch ein vermögender Mann." Zumwinkel antwortet: "Herr Vorsitzender, diese Frage habe ich mir auch in den vergangenen Monaten sehr häufig gestellt." Ihm sei damals geraten worden, "schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal zu versteuern", und das habe ihm eingeleuchtet. Mittrup hakt nach: "Warum haben Sie das nicht gestoppt?" Es gab doch Amnestien für Steuerflüchtlinge. Er habe Angst vor einer Indiskretion gehabt, antwortet Zumwinkel. Eine Selbstanzeige, die publik geworden wäre, hätte auch das berufliche Ende sein können. Er habe doch erlebt, dass Details aus seiner Steuerakte in den Zeitungen gestanden hätten. Aber, fügt er hinzu: "Die Angst war ein schlechter Ratgeber." Er wolle nicht klagen, sondern stehe zu seiner Verantwortung. Mit der heutigen Verhandlung wolle er auch einen Schlussstrich ziehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Daten an den BND weitergereicht wurden.

Eher beiläufig sagt Zumwinkel, er habe kein strittiges Verfahren führen wollen. Dabei habe ihm mancher geraten, lange zu prozessieren, um festzustellen, ob die Steuerbehörden die Datensammlung aus Liechtenstein überhaupt verwenden dürfen.

Ein untreuer früherer Angestellter der LGT-Bank hatte Unterlagen mit Angaben über mehr als 4500 Stiftungen in Liechtenstein gestohlen und dem Bundesnachrichtendienst vier DVDs für rund 4,6 Millionen Euro verkauft. Der BND hat sie an die deutschen Steuerbehörden weitergereicht. "Aus der Geschäftsbesorgung des BND" könne ein "straf- und steuerrechtliches Beweisverwertungsverbot abgeleitet" werden, hatten Experten wie der Neuwieder Rechtsprofessor Franz Salditt gemeint. Mittrup nimmt den Hinweis Zumwinkels auf. Auch die Kammer habe die Verwertbarkeit geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sie zulässig sei. Andererseits sei das eine juristisch "interessante Frage". Er würde es "begrüßen, wenn Obergerichte diese Frage prüfen würden".

Da schaltet sich Zumwinkels Anwalt Feigen ein. Das Problem bei den juristischen Prüfungen sei doch, dass "kein Mensch in dieser Welt, außer ein paar BND-Leuten weiß, wie die Story wirklich war." Angeblich wurden die Unterlagen dem BND angedient, und der Dienst will nur Amtshilfe geleistet haben. Dann können die Daten vermutlich verwendet werden. Es gibt aber auch Gerüchte, dass der Nachrichtendienst den Datendieb angeworben haben soll. Um das zu kaschieren, soll er sich als Informant ausgegeben haben. Feigen weist darauf hin, dass viele Kollegen Tipps gegeben hätten, wie ein solches Verfahren aus Verteidigersicht zu führen sei. Sogar Plädoyers sind ihm geschickt worden. Die Ratschläge sind auf drei Begriffe zu reduzieren: kämpfen, kämpfen, kämpfen.

"Ihr Eichhörnchen"

Aber jeder Kampf geht mal zu Ende, und dann? Möglicherweise, so hat es Anwalt Feigen ausgerechnet, könnte sein Mandant bei einer strittigen Verteidigung obsiegen, eher aber nicht. Möglicherweise fiele bei einer Konfliktverteidigung nicht die im Fall Zumwinkel zu erwartende Bewährungsstrafe an, sondern eine Haftstrafe. Dann könnte er in die Revision gehen und würde beim zuständigen 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs landen. Der Senat hat vor kurzem schon sehr grundsätzlich geurteilt, bei Hinterziehung in Höhe von einer Million Euro könne nur in Ausnahmefällen auf die Haft verzichtet werden.

Voraussichtlich am kommenden Montag wird das Urteil verkündet werden. Auch weil ein Bad Homburger Kaufmann, der 7,6 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte, im Sommer 2008 in Bochum mit zwei Jahren auf Bewährung davonkam, wird es bei Zumwinkel voraussichtlich eine Bewährungsstrafe geben.

Einige der Demonstranten werden ein solches Urteil möglicherweise für Klassenjustiz halten. Bevor sich die Demo vor dem Landgericht auflöst, geht ein Mann auf die Gruppe zu und sagt: "Für eine schlappe Million stellt ihr euch hin. Als die amerikanischen Banker 350 Milliarden verbrannten, wart ihr nicht zur Stelle, ihr Eichhörnchen."

© SZ vom 23.01.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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