Wirtschaftskriminalität:Bei Anruf Betrug

Kriminelle Banden zocken Hunderttausende Gesprächspartner am Telefon ab und ergaunern sich so mehr als 30 Millionen Euro. Ihnen hilft, dass zu wenige Opfer dagegen vorgehen. Nun schlägt die Justiz zurück.

Klaus Ott

Die alte Frau war ein leichtes Opfer. Sie hatte sich von einem Schlaganfall nicht mehr richtig erholt. Ans Telefon ging sie trotzdem. Arglos plauderte sie mit freundlich klingenden Menschen, die ihr, der Geschlagenen, erzählten, sie könne Gewinnerin werden.

Der Anbieter Win-Finder organisiert Gewinnspiele und lässt sich seine Dienste verdeckt über die Telefonrechnung bezahlen.

Die Zahl der Telefonabzocker wächst.

(Foto: dpa)

Die Rentnerin aus Düsseldorf fasste Vertrauen und nannte ihre Bankverbindung - mit Folgen, von denen sie nichts mitbekam. Mehr als 50 mal buchten Unternehmen mit Phantasienamen, in denen irgendwie die Worte Tipp, Win oder Gewinn vorkamen, Geld vom Konto der 71-Jährigen ab, insgesamt mehr als 4000 Euro. Erst als die Schwester der Rentnerin das merkte und die beiden Frauen Anzeige erstatteten, endete das dubiose Treiben. Für die Ermittler ist der Sachverhalt klar. Die Frau sei durch eine "Vielzahl verschiedener Gewinnspielfirmen geschädigt worden", steht in den Akten des Düsseldorfer Polizeipräsidiums.

Betrug am Telefon kommt immer häufiger vor. Die Zahl der Opfer in Deutschland geht inzwischen in die Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen. Die Täter und deren Hintermänner waren bislang schwer zu fassen, doch nun melden Polizei und Justiz erste Erfolge.

In Essen steht im Dezember ein junger Geschäftsmann aus Duisburg vor Gericht, der im Ruhrgebiet mehrere Call-Center betrieben hat. Deren Mitarbeiter entlockten vielen Leuten mit erlogenen Geschichten die Kontonummern. Anschließend kassierten sie per Lastschrift hohe Summen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten schweren Betrug vor. Die Firmen hätten mehr als 70.000 Menschen aus ganz Deutschland insgesamt etwa sechs Millionen Euro widerrechtlich abgebucht. Der Geschäftsmann ist geständig, er muss mit mehreren Jahren Gefängnis rechnen, wie in Justizkreisen geschätzt wird.

Es wäre wohl das erste Mal in der Bundesrepublik, dass Telefonbetrug rigoros bestraft wird - und bestimmt nicht das letzte Mal. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sitzen wegen weiterer offenkundiger Betrügereien sechs Beschuldigte in Untersuchungshaft, die Ermittlungen reichen bis ins Ausland. Zwei kriminelle Banden sollen über Österreich, Spanien und andere Staaten mehrere hunderttausend Menschen um fast 25 Millionen Euro erleichtert haben. Im Baden-Württemberger Fall hatte die in Bonn ansässige Bundesnetzagentur für Telekommunikation geholfen, den mutmaßlichen Tätern auf die Spur zu kommen.

Die Netzagentur beaufsichtigt die Telefonbranche, an ihrer Spitze steht Präsident Matthias Kurth. Er ist unzufrieden und verlangt von Bundesregierung und Bundestag, seiner Behörde mehr Ermittlungsbefugnisse einzuräumen. Nur so ließen sich offenkundig illegale Werbeanrufe aus Call-Centern besser verfolgen, glaubt er. Bislang hat die Netzagentur nicht das Recht, sich von den Telefongesellschaften die Verbindungsdaten geben zu lassen.

Hilfreich wäre es nach Kurths Ansicht auch, wenn seine Behörde selbst unerlaubte Werbeanrufe härter bestrafen könnte. Eine "zügige und deutliche Erhöhung" des Bußgeldrahmens auf 500.000 Euro in jedem einzelnen Fall hätte "abschreckende Wirkung", sagt Kurth. Gegenwärtig kann die Bonner Behörde maximal 50.000 Euro pro Verstoß verlangen. Die Netzagentur hat bisher in etlichen Fällen insgesamt knapp 700.000 Euro Bußgeld wegen verbotener Telefonwerbung verhängt.

Nur 30 bis 40 Prozent wehren sich gegen die Abzocke

Kurth weiß aus eigener Erfahrung, wie groß die Gefahr des Betrugs am Telefon ist. "Ich kenne praktisch niemanden, der nicht hin und wieder unerwünschte Anrufe erhält, einschließlich mir selbst." Die Aufsichtsbehörde wird mit Beschwerden und Anzeigen regelrecht überschwemmt. Von August 2009 bis August 2010 haben sich mehr als 200000 Bürger an die Netzagentur gewandt. Kurth musste das Personal aufstocken, um die Eingaben abarbeiten zu können.

Noch Mitte des Jahres hatte die Bonner Behörde massive Defizite bei Polizei und Justiz beklagt. Die Zahl krimineller Telefonanrufe sei drastisch gestiegen, doch selbst bei großen Betrugsfällen finde "faktisch keine Strafverfolgung statt". Viele Verfahren würden "sanktionslos" eingestellt, das sei eine "untragbare Situation". Trotz der nunmehr ersten Ermittlungserfolge ist Netzagentur-Präsident Kurth weiterhin der Ansicht, dass die Bekämpfung der Telefon- Kriminalität unzureichend organisiert sei. Kurth drängt die 16 Bundesländer, Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zu bilden, um gezielt vorgehen zu können. Nach Angaben der Netzagentur hat bislang nur Hessen ein solches Vorgehen angekündigt.

Massenweiser Betrug per Telefon kommt vor allem in zwei Formen vor. Variante eins, wie sie demnächst in Essen vor Gericht verhandelt wird: Betreiber von Call-Centern entlocken mit frei erfundenen Geschichten über Gewinnspiele den Angerufenen deren Kontodaten und bereichern sich anschließend per Lastschrift. Der Geschäftsmann aus Duisburg, der vom 6. Dezember an beim Landgericht Essen auf der Anklagebank sitzt, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Seine Firmen kassierten für vermeintliche Glücksspiele wie Win-Express, Extrawin und Eurowin zwischen 89 und 149 Euro. Viele Leute übersehen solche Lastschriften auf ihren Kontoauszügen, das Geld ist weg.

Im Schnitt wehrten sich nur 30 bis 40 Prozent der betrogenen Verbraucher gegen die Abbuchungen, sagt Oberstaatsanwalt Klaus Pollmann aus Bielefeld. Die dortigen Strafverfolger ermitteln gegen ein sogenanntes "Wiener Karussell", das allein in Deutschland mit 300.000 Lastschriften 19 Millionen Euro illegal kassiert haben soll und gegen das auch in Österreich vorgegangen wird. Der Betreiber dieses Karussells soll von Spanien aus über ein Geflecht von 150 Firmen herrschen. In Nordrhein-Westfalen sitzen zwei Verdächtige in Untersuchungshaft. Die Bielefelder Staatsanwaltschaft untersucht auch, ob eine Bank aus der Region in den Fall verwickelt ist.

Variante zwei des Massenbetrugs, die in einem umfangreichen Verfahren von der Staatsanwaltschaft Mannheim verfolgt wird: Einer Vielzahl von Leuten wird per Anruf von einem Sprachautomaten mitgeteilt, sie hätten bei einem Glücksspiel gewonnen und müssten sich nun unter einer bestimmten Telefonnummer melden, um ihre Preise zu bekommen. Es handelt sich um sogenannte 0900-Servicenummern. Die mutmaßlichen Täter profitieren dann von den Rückrufen, bei denen hohe Telefongebühren anfallen. Die versprochenen Gewinne gibt es gar nicht, oder sie sind wertlos.

Die in Verdacht geratenen Geschäftsleute, gegen die in Mannheim ermittelt wird, sollen von Spanien aus agiert und zuletzt bei 300.000 Rückrufen 5,4 Millionen Euro kassiert haben. Bei einer internationalen Razzia nahm die Mannheimer Staatsanwaltschaft vier Beschuldigte fest, die meisten davon auf Mallorca. Sie sitzen nun in Untersuchungshaft. Die Bundesnetzagentur hat in diesem Jahr bereits die Abschaltung von etlichen hundert 0900-Nummern verfügt, über die Verbraucher abgezockt worden waren.

Wer den leeren Gewinnspiel-Versprechen glaubt und solche Nummern anruft oder Kontodaten am Telefon preisgibt, dem droht anschließend noch mehr Unheil. Nach den Erkenntnissen der Ermittler registrieren kriminelle Banden genau, wer auf ihre Masche hereinfällt, und wer nicht. Meist sind ältere Menschen die Opfer. Mit deren Telefonnummern und Kontodaten wird dann fleißig gehandelt, sie werden von Firma zu Firma weitergereicht. "Diese Leute werden dann gemolken", sagt der Bielefelder Oberstaatsanwalt Pollmann. Ihnen geht es wie der Rentnerin aus Düsseldorf.

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