Wirtschaft:Was sind schon Brics?

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Mit einer Abkürzung die Welt verändern: Ex-Goldman-Sachs-Volkswirt Jim O'Neill. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Mit dem Kunstwort für die Staaten Brasilien, Russland, Indien und China veränderte Goldman Sachs einst die Dynamik der Weltwirtschaft - jetzt verabschiedet sich die Bank von dem Begriff.

Von Nikolaus Piper, München

Ökonomen können, mit ein wenig Glück, die Welt nach ihren Vorstellungen formen. Ein schönes Beispiel ist Jim O'Neill, 58, bis 2013 Chefökonom von Goldman Sachs in New York. Im November 2001 hatte O'Neill ein Arbeitspapier unter dem Titel " Building Better Global Economic Brics" veröffentlicht. Darin beschrieb er die erstaunliche wirtschaftliche Dynamik jener Länder, die einmal Entwicklungsländer waren und nun zu Industrieländern wurden. Das hatten zuvor auch schon andere getan. O'Neills Geniestreich lag darin, dass er eine repräsentative Gruppe von vier Ländern definierte: Brasilien, Russland, Indien, China, eben die Brics. Damit bekamen die Schwellenländer ein Markenzeichen, das sich an den Finanzmärkten und in der Politik hervorragend kommunizieren ließ. Wer über die Weltwirtschaft diskutieren wollte, der musste auch von Brics reden. Seit 2009 veranstalten Russen, Brasilianer, Inder und Chinesen regelmäßig einen Bric-Gipfel; in diesem Jahr fand er im russischen Ufa statt. Goldman ging es dabei nicht schlecht. Goldmans Vermögensverwalter verkauften in großem Umfang Anteile an Bric-Fonds.

Jetzt hat ausgerechnet Goldman den Abschied von den Brics eingeleitet. Wie die Goldman-Vermögensverwaltung der US-Börsenaufsicht SEC mitteilte, hat sie ihren neun Jahre alten Bric-Fonds - er investierte nur in Brasilien, Russland, Indien und China - geschlossen und mit einem breiter angelegten Schwellenländer-Fonds fusioniert. Der Bric-Fonds hatte laut Bloomberg seit 2010 nicht weniger als 88 Prozent seines Wertes eingebüßt und zuletzt keine Kapitalzuflüsse mehr gehabt.

Das bedeutet nicht, dass O'Neill völlig danebengelegen hätte. Im Gegenteil: Binnen eines Jahrzehnts ist die Wirtschaftsleistung der Bric-Länder von drei auf 13 Billionen Dollar gestiegen, noch mehr, als O'Neill seinerzeit erwartet hatte. Gut 40 Prozent der Weltwährungsreserven liegen heute bei den Notenbanken der Bric-Staaten.

Das Problem liegt darin, dass es erhebliche Zweifel gibt, ob die Entwicklung so weitergeht. Russland ist heute eine schrumpfende Rohstoffwirtschaft, Brasilien steht vor einer schweren Rezession, China wächst deutlich langsamer als noch vor Kurzem erwartet, einzig Indien überraschte zuletzt mit kräftigem Wirtschaftswachstum. Es ist nicht mehr sinnvoll, vier so unterschiedliche Länder zusammenzufassen und Investoren dort Anlagen anzubieten. Aus heutiger Sicht ähnelt der Begriff Bric eher einem Marketinginstrument, hinter dem keine ökonomische Theorie steht,

Es gibt noch grundlegendere Kritik an dem Konzept von O'Neill. Ruchir Sharma, Ökonom für Entwicklungsländer beim Goldman-Konkurrenten Morgan Stanley, schrieb schon vor drei Jahren in der Zeitschrift Foreign Affairs: "Die Vorstellung von einer weitreichenden Konvergenz von sich entwickelnder und entwickelter Welt ist ein Mythos." Das Konzept der Brics habe nur das Denken verwirrt, die vier Länder hätten kaum etwas gemeinsam. Goldman zieht sich allerdings nur teilweise vom Bric-Konzept zurück. Ein Sprecher von Goldman Sachs Asset Management in Frankfurt versicherte: "Unseren in Deutschland zum öffentlichen Vertrieb zugelassenen Bric-Fonds wird es auch weiterhin am Markt geben." Auf Bitten von Premierminister David Cameron ist Jim O'Neill derweil als "Sekretär" - ohne Gehalt - ins britische Finanzministerium eingetreten, um Pläne für eine Dezentralisierung des britischen Regierungssystems zu entwickeln. Königin Elizabeth II. adelte ihn im vergangenen Mai für seine Verdienste. Als Baron O'Neill of Gatley hat er einen Sitz im britischen Oberhaus.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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