Wirtschaft in der Krise:Der Konsum, die ewige Schwäche

Lesezeit: 4 min

Deutschland droht eine Mischung aus Depression und Deflation - doch Regierung und Sachverständigenrat haben keinen Plan für die Krise.

Heiner Flassbeck

Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Finanzministerium, er ist einer der führenden Vordenker für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in Deutschland. Heute arbeitet er als Chefökonom der Unctad in Genf, der Handelsorganisation der Vereinten Nationen.

Heiner Flassbeck, Chefökonom der Unctad in Genf (Foto: Foto: dpa)

Im Herbst 2007 prognostizierte der Sachverständigenrat, dass Deutschlands Wirtschaft im Jahr 2008 um 1,9 Prozent wachsen wird. Im Wesentlichen beruhte diese optimistische Zahl auf der Erwartung, dass die privaten Verbraucher 1,7 Prozent mehr ausgeben würden. Es gab für diesen Optimismus schon damals, wie wir im November 2007 in der Süddeutschen Zeitung vorhersagten, keine stichhaltigen Gründe. Insofern ist es kein Wunder, dass die damalige Prognose mit der Realität des Jahres 2008 nichts zu tun hat: Der private Verbrauch wird nach heutiger Schätzung des Sachverständigenrats um 0,3 Prozent sinken. Jetzt steht Deutschland vor einer tiefen Rezession. Das schwache inländische Standbein der Konjunktur hat natürlich nicht gehalten, als das ausländische Bein einbrach.

Gelernt hat der Sachverständigenrat aus diesem eklatanten Irrtum nicht. So geht er in seinem jüngsten Gutachten davon aus, dass der Konsum im nächsten Jahr um 0,4 Prozent zunehmen wird - eine überaus erstaunliche Prognose. Der Rat unterstellt dabei offenbar aus, dass ein drohender Abbau von Arbeitsplätzen keine spürbaren negativen Folgen beim Konsum zeitigen wird und die Bundesbürger ungetrübt Geld ausgeben werden. Dabei weisen die "Fünf Weisen" an anderer Stelle ausdrücklich darauf dahin, dass "die Aussichten für eine deutliche Belebung des privaten Konsums in Deutschland eher schlecht sind, da kaum erkennbar ist, welche Faktoren auf der Einkommensseite zu einem merklichen Anziehen des Konsums führen sollen". Ja, sie schreiben sogar, der Konsum könne "seine erhoffte Rolle als Wachstumstreiber nicht erfüllen", weil man dem Konsum die dafür notwendige Grundlage, eine vernünftige Entwicklung der Masseneinkommen, wegen der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts nicht zugestehen will.

Seit Jahren setzen die "Weisen" alles daran, normale Lohnzuwächse zu verhindern. Für die Bundesregierung und Sachverständige waren die Lohnmoderation das Herzstück der Wirtschaftspolitik. Sie verwiesen auf die Erfolge, die diese auf außenwirtschaftlichem Gebiet gebracht habe - abzulesen an dem 2007 fast 180 Milliarden schweren Überschuss in der Leistungsbilanz. Deutschland feierte sich als Exportweltmeister.

Doch dieser Titel ist nicht viel wert. So ist der gesamte Auftragseingang der deutschen Industrie im Oktober drastisch eingebrochen. Es wäre nun an der Zeit zu erkennen, dass sich die Erfolge im Ausland, die durch Lohndumping erzielt wurde, nicht ohne weitere in ein von der inländischen Nachfrage getragenes Wachstum überführen lassen.

Das hat, wie an der Entwicklung von Beschäftigung und Konsum in den vergangenen vier Jahren zu erkennen ist, schon in Zeiten einer dynamisch wachsenden Weltwirtschaft nicht funktioniert. Wie sollte es dann bei einer rückläufigen Auslandsnachfrage möglich sein? Jeder vernünftige Beobachter muss für 2009 einen deutlichen Einbruch des privaten Konsums prognostizieren. Die Empfehlungen der letzten zehn Jahre, sich bei den Lohnsteigerungen zurückzuhalten, waren somit nicht nur mittelfristig wirkungslos, sondern eindeutig schädlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es für eine kurzfristige Stärkung des inländischen Konsums durch die Lohnpolitik zu spät ist.

Was nun? Was sollen die Wirtschaftspolitiker bei solch desaströser Beratung tun? Für eine kurzfristige Stärkung des inländischen Konsums durch die Lohnpolitik ist es jedenfalls zu spät. So wurde etwa in der Metallbranche vereinbart, dass ein Teil der Lohnerhöhung davon abhängt, ob sich die Geschäfte bis Ende 2009 positiv abhängen. Dieser zweite Teil der Lohnerhöhung von 2,1 Prozent wird wegen Rezession entfallen, so dass es beim mageren ersten Teil in Höhe von 2,1 Prozent bleiben wird.

Um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu kommen, muss man zunächst begreifen, dass das, was einzelwirtschaftlich vernünftig aussah, gesamtwirtschaftlich vollkommen falsch war. Die Zersplitterung der Tariflandschaft macht eine Lohnentwicklung, die die Gesamtwirtschaft stabilisiert, unmöglich. Notwendig wären flächendeckende Lohnabschlüsse in Höhe der mittelfristig zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung plus der Inflationsrate, die die Zentralbank anstrebt. So ließen sich Deflation und Depression abwenden. Stattdessen ist sich jeder Unternehmer selbst der Nächste. Alle drücken gnadenlos die Löhne, die Arbeitnehmer schlucken es aus Angst vor dem Arbeitsplatzverlust.

Bleibt nur der Staat als Vertreter gesamtwirtschaftlicher Interessen. Nur er kann einen massiven Absturz verhindern, indem er die öffentlichen Investitionen massiv aufstockt, und ebenso die Einkommenshilfen für Menschen mit den geringsten Einkommen. Hinzukommen muss eine extrem expansive Geldpolitik. Doch kaum wird in Europa dies offen diskutiert, schießen die Vertreter der alten Lehre zurück: So warnt das Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, die Staaten Europas davor, jetzt bei den Staatsdefiziten in die Vollen zu gehen. Man würde Vertrauensverluste der privaten Haushalte riskieren, wenn man jetzt die Konjunktur anregte.

Das muss man sich bildlich vorstellen! Wenn diejenigen, denen man unter tatkräftiger Mithilfe der Notenbanken seit Jahren eine Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt verweigert hat, jetzt sehen, wie der Staat Schulen saniert und den Ärmsten der Gesellschaft unter die Arme greift, sind sie verunsichert und geben das Geld nicht aus, das sie durch staatliche Aufträge verdienen oder das der Staat ihnen direkt zur Verfügung stellt. Absurder kann man nicht argumentieren. Diese Meinung vertritt der Chefvolkswirt einer Institution, die mehr als alle anderen auf der Welt mit ihrer Zinserhöhung vom Sommer 2008 beim Krisenmanagement versagt hat und jetzt in Panik die Zinsen senkt.

Wenn die Bundesregierung allein darauf setzt, die Nachfrage, die woanders geschaffen wird, nach Deutschland zu lenken, dann wird sie kläglich scheitern. Die Länder, die einen flexiblen Wechselkurs haben, werden sich wehren ihre Währung drastisch abwerten; andere werden auf Protektionismus setzen. Das gilt vor allem für die USA oder Großbritannien. Auch die anderen Euro-Länder werden nicht weiter bluten wollen. Wenn sie auch darauf setzen, die Kosten zu senken, wird das ganz Europa in den Abgrund ziehen - und die Deflation beschleunigen.

© SZ vom 10.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: