Wenn der Fiskus zuschlägt:Sigi, hilf!

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Ferienanlage auf Fuerteventura. Die Frage, ob Pauschalreise-Anbieter Gewerbesteuern für Hotelzimmer zahlen müssen, beschäftigt auch die Bundesregierung. (Foto: Holger Hollemann/dpa)

Egal, ob in Deutschland oder anderswo: Die Anbieter von Pauschalreisen sollen für die Anmietung von Hotelzimmern Gewerbesteuer zahlen. Doch sie wehren sich - und suchen Unterstützung bei der Politik.

Von Guido Bohsem, Berlin

Für Michael Rabe ist die Sache völlig klar. Setzen sich die Behörden durch, sieht es für seine Branche finster aus. Glaubt man dem Generalsekretär des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), hängt ein Damoklesschwert über den Anbietern von Pauschalreisen. Die erfolgsverwöhnten Weltmeister der Tourismusbranche sehen sich bedroht. Es geht um viel Geld, internationale Konkurrenz, Arbeitsplätze und um die Frage, ob Unternehmen wie TUI, ITS-Reisen, Alltours und Thomas Cook Gewerbesteuer für Hotelzimmer zahlen müssen, die sie anmieten und an ihre Kunden weitergeben.

Seit Jahren beschäftigt die Frage die Gerichte. Doch jetzt hat sie auch die Bundesregierung erreicht. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) persönlich meldete sich vor Kurzem bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), um für die Sache der Unternehmen zu werben. Doch der bleibt bisher hart. Doch es geht um mehr als einen einfachen Steuerstreit. Es geht darum, wie eine ganze Branche per Zufall ins Visier der Finanzbehörden geriet und wie die Politiker in den Ländern, in denen die Unternehmen sitzen, seit Jahren vergeblich dafür kämpfen, diesen Zufall wieder zu korrigieren.

1,4 Milliarden Euro. So viel müssten die betroffenen Unternehmen zahlen, wenn Schäuble an seiner Position festhält und ihm die Gerichte recht geben.

Die Branche sieht ihr Geschäftsmodell in Gefahr und droht mit Konsequenzen

Ihren Ursprung hat die Geschichte im Jahr 2007. Damals entschied sich die erste große Koalition unter Angela Merkel, die Gewerbesteuer zu reformieren. Die Steuer hatte schon länger nicht gehalten, was sie versprach. Die Einnahmen der Städte und Gemeinden schwankten im Konjunkturverlauf. Lief es gut in der Wirtschaft, waren die Kassen der Kommunen voll. Kam eine konjunkturelle Flaute, herrschte klamme Leere.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ließ sich deshalb ein paar Tricks einfallen, die dafür sorgen sollten, dass das Geld konstanter in die Gemeindekassen fließt. Vereinfacht gesprochen, werden seitdem unter anderem mehr Wirtschaftsteile des Unternehmens bei der Berechnung der Gewerbesteuer einbezogen. Die Hinzurechnung, wie der Fachbegriff lautet, wurde ausgeweitet.

Steinbrücks Ideen lösten damals einen Sturm der Empörung unter den Managern und Unternehmern aus. Die Reiseveranstalter hingegen blieben gelassen. Sie wähnten sich in Sicherheit, nicht betroffen. Als es zur Anhörung im Bundestag kam, waren sie gar nicht eingeladen.

Die Überraschung kam im Jahr 2010. Damals erhielten einige Reiseveranstalter unerwartet Nachrichten von ihren Finanzämtern. Die Behörden hatten beschlossen, den neu gestalteten Paragraf 8 des Gewerbesteuergesetzes auch auf die Anbieter von Pauschalreisen anzuwenden. Wenn man gemietete Fabrikhallen und Maschinen für die Gewerbesteuer hinzurechnen könne, warum nicht auch gemietete Hotelzimmer, lautete die Überlegung.

Das sollte für alle Zimmer gelten, nicht nur für die in Deutschland, sondern auch für die in Mallorca, Rimini und in der Dominikanischen Republik. Wo immer auf der Welt pauschal ein Zimmer über einen deutschen Reiseveranstalter angemietet wird, reist seitdem die Gewerbesteuer mit.

Im Jahr 2012 wurde die Idee durch einen gemeinsamen Erlass der Länderfinanzbehörden festgeschrieben. Gegen die Bescheide wurde geklagt. Eine Entscheidung steht aus, der Vollzug der Steuerforderungen ist ausgesetzt. Gut 200 Millionen Euro im Jahr zusätzlicher Einnahmen versprechen sich die Finanzbehörden von der Regelung. Über die vergangenen sieben Jahre ist der Betrag allerdings auf die 1,4 Milliarden Euro angewachsen, die nun im Raum stehen. "Wenn die Entscheidung gegen die Unternehmen fällt, ist das Geschäftsmodell Reiseveranstaltung bedroht", sagt BTW-Generalsekretär Rabe. Die Margen der Unternehmen der Branche seien so knapp, dass sie die zusätzlichen Steuern unmöglich zahlen und gleichzeitig im Wettbewerb mit den ausländischen Anbietern bestehen könnten. Zähle man die angeschlossenen Reisebüros mit, gehe es hier um etwa 70 000 Arbeitsplätze.

Nach Rabes Darstellung wissen die Reiseveranstalter immer noch nicht, wie ihnen geschieht. "Das sind Händler", betont er. Sie buchten die Kontingente im gleichen Augenblick, in dem der Kunde auch die Reise buche. Das sei etwas völlig anderes als eine angemietete Lagerhalle, die zur Produktion ihren Beitrag leiste. Einen unerwarteten Fürsprecher haben die Unternehmen nun ausgerechnet in einem Politiker gefunden, der gewöhnlich darauf achten muss, dass die Steuereinnahmen steigen und nicht etwa sinken. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) hat eine Idee, die den Firmen aus der Klemme helfen soll. In einem der SZ vorliegenden Brief an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel schlägt er eine Änderung der Gewerbesteuer-Regeln für die Reiseveranstalter vor. Besagter Paragraf 8 soll so geändert werden, dass die Hinzurechnung bei kurzfristigen Miet- und Pachtverträgen nicht greift, "wenn der Unternehmer das angemietete Wirtschaftsgut seinerseits einem Dritten kurzfristig zur Nutzung überlässt". Eine solche Regelung würde den Schwebezustand beenden, der für die Branche sehr unbefriedigend sei, schreibt Walter-Borjans an seinen Parteifreund .

Walter-Borjans sieht allerdings einen Haken: "Ich möchte nicht verschweigen, dass die von mir angedachte Lösung auch Probleme hervorrufen wird", heißt es in dem Brief. Im Klartext: Auch andere Firmen könnten sich die Regel zunutze machen. Mit niedrigeren Einnahmen bei der Gewerbesteuer sei zu rechnen. Dem stehe die glaubhafte Erwägung der Unternehmen entgegen, auf ausländische Standorte auszuweichen oder die Zimmer nur noch zu vermitteln, schreibt der NRW-Minister. Firmensitz von Alltours ist übrigens Düsseldorf, der von ITS Reisen ist in Köln.

Der Niedersachse Gabriel (Tui-Konzernsitz: Hannover) hat sich der Sorgen angenommen und seinerseits einen Brief an seinen Kollegen Schäuble geschrieben mit der Bitte, den Vorschlag des nordrhein-westfälischen Kollegen doch zu prüfen. Falls er Zustimmung finde, möge Schäuble "einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag für die Umsetzung" vorbereiten.

Die offizielle Antwort steht noch aus. Doch hat sich Schäuble schon in der Vergangenheit zwar nicht gegen eine Neuregelung der Hinzurechnung gewehrt, jedoch an die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Aus seinem Haus ist zu hören, dass er auch die neuerliche Initiative seines Kollegen Gabriel nicht mit Begeisterung entgegennehmen wird. Ändere man das Gewerbesteuerrecht wie von Walter-Borjans gewünscht, würden alle Unternehmen versuchen, ihre langfristigen Anmietungen in kurzfristige umzuwandeln und die Hinzurechnung funktioniere nicht mehr.

Das Damoklesschwert dürfte also noch eine Weile über den Unternehmen schweben.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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