Volkswagen:VWs alter Brandmelder muss wieder ran

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Eine Sonde misst im Auspuff die Abgaswerte (Symbolbild). (Foto: dpa)
  • VW hat eine spezielle Truppe für besondere Fälle: einen Ausschuss, dem Techniker, Juristen und andere Spezialisten angehören.
  • Der frühere Chef hieß Bernd Gottweis. Jetzt ist er wieder da, weil die Feuerwehr-Truppe nicht funktioniert hat.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Klaus Ott, München

Bei Volkswagen gibt es eine Art Sondereinsatzkommando für besonders heikle Fälle. Zum Beispiel: Wie steht es um die Produkthaftung in Hochrisikoländern? Wie verhält man sich in einer Krise? Was ist zu tun, wenn der Staatsanwalt vor der Tür steht? Aber auch: Was ist, wenn in irgendeinem Land die Türen der Autos klemmen?

Um solche Fragen kümmert sich der Ausschuss für Produkt-Sicherheit (APS), dem Techniker, Juristen und andere Spezialisten angehören. Intern sprechen die VWler von einer "Feuerwehr". Chef dieser Truppe war früher Bernd Gottweis, ehedem auch Leiter Umweltschutz und Verbraucherfragen der Volkswagen AG. Jetzt ist Gottweis, ein Mann um die 70, der bereits im Ruhestand war, wieder zurück. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen hat ihn VW in diesem Jahr reaktiviert.

Als im September die Affäre um Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen begann, war Gottweis an Bord und einer der Ersten in der Konzernzentrale, die sich um Durch- und Überblick bemühten. Sein Job ist es eigentlich, Brandherde frühzeitig zu bekämpfen, bevor sie größeren Schaden anrichten. Jetzt ist alles anders, die Katastrophe ist schon da. Gottweis soll zusammen mit dem APS und dessen neuem Chef der Feuersbrunst Herr werden. Manch einer in den Führungsetagen bezeichnet den zurückgeholten Pensionär sogar als "Red Adair von VW". Ein gewagter Vergleich. Red Adair, das war jener legendäre Texaner, der spektakuläre Großbrände in aller Welt gelöscht hatte und dessen Leben mit Hollywood-Star John Wayne in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Wäre der Ausschuss rechtzeitig informiert worden, hätte sich der Konzern wohl einiges erspart

Red Adair, John Wayne, solche Namen und solche Vergleiche könnten sich die Wolfsburger ersparen, wenn bei Volkswagen alles normal gelaufen und der APS rechtzeitig über die Schummel-Software und die Probleme in den USA gewusst hätte. Wenn Hinweise auf Tricksereien und Manipulationen dort gelandet wären, wo sie hingehören.

Abgas-Affäre
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Der Volkswagen-Konzern liefert keine Autos mehr aus, die mit der Manipulations-Software ausgestattet sind. Bereits bestellte und produzierte Wagen werden erst umgerüstet.

Denn egal ob klemmende Handschuhfächer oder Motorschäden - nehmen die Probleme überhand, dann schlägt der Ausschuss beim Konzernvorstand Alarm. So wird im Konzern die Aufgabe und die Arbeitsweise des APS beschrieben. Doch ausgerechnet bei Diesel-Gate, wie die Amerikaner die Affäre inzwischen nennen, soll keine Brandmeldung an den APS erfolgt sein.

Ausgerechnet hier soll das Frühwarnsystem versagt haben. War dem wirklich so? Und falls ja, warum? Das sind einige der Schlüsselfragen in dieser Affäre. Denn: Was nützt ein Brandmelder, wenn er nicht richtig installiert ist oder aus anderen Gründen nicht funktioniert oder einfach ausgeschaltet werden kann? Dann haben offenbar die internen Abläufe nicht gestimmt, dann war der Konzern wohl nicht richtig organisiert. Dass eine kleine Bande mutmaßlich krimineller Ingenieure und Software-Experten alle Sicherheitseinrichtungen und -instanzen ohne Weiteres hätte umgehen können, erscheint schwer vorstellbar.

Auf den wegen Diesel-Gate zurückgetretenen Vorstandschef Martin Winterkorn und seine alten Kollegen dürften bei der Aufklärung der Affäre durch interne Ermittler und durch die Behörden daher unangenehme Fragen zukommen. Auch auf den bisherigen Finanzchef Hans Dieter Pötsch, der inmitten der Krise sogar noch zum Aufsichtsratsvorsitzenden befördert wurde. Weil er einer der engsten Vertrauten der Familien Porsche und Piëch ist. Die beiden Clans gehen das Risiko ein, sich einen neuen Chefkontrolleur suchen zu müssen, sollte Pötsch die Affäre nicht überstehen, und sei es nur, weil ihn und andere ein Organisationsverschulden träfe.

"Der riecht, wenn Unheil droht"

An Gottweis jedenfalls, so wird im Konzern versichert, habe es nicht gelegen, dass der "Feuerwehr-Kreis" zu spät eingesetzt wurde und nun einen Großbrand bekämpfen muss. Der zurückgeholte Ruheständler wird als "offener, robuster Typ" beschrieben, der keinem Problem aus dem Weg gehe. "Der riecht, wenn Unheil droht." Und er habe sich nie gescheut, zum Konzernvorstand zu gehen und Missstände anzusprechen. Wenn Gottweis von den Manipulationen des Abgastests etwas geahnt hätte, dann hätte er VW-Chef Winterkorn informiert, sagt einer, der den früheren APS-Chef gut kennt. So aber sei es umgekehrt gewesen. Im September habe Winterkorn den zurückgeholten Pensionär eingeschaltet, damit er sich um die Abgasaffäre kümmert. Gottweis habe dann mit seinen Leuten zusammengetragen, wie viele Dieselfahrzeuge betroffen seien.

Auffällig ist, dass die Probleme in einem anderen, weit weniger bedeutenden Konzern-Arbeitskreis gelandet waren, der sich bei einem Treffen am 21. Juli 2015 unter Tagesordnungspunkt 6 mit diesem Thema befasst hatte. Das war aber wohl nur einer von vielen Punkten, und sehr besorgniserregend soll es auch nicht geklungen haben, was da aus Übersee berichtet wurde. Die Botschaft an diesem Tag und in diesem Arbeitskreis, so ein Insider, habe gelautet: Alles im Griff! Wie es gelungen sein soll, die jahrelangen, sehr aufwendigen Manipulationen in den USA und dem Rest der Welt intern zu verbergen und den APS zu umgehen, das gehört zu den großen Rätseln dieser Affäre. Rätselhaft übrigens wie der Verbleib einer VW-Akte zum Abgasskandal, die schon am 12. Oktober aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwunden sein soll. Die Landesregierung erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt.

VW beantwortet zum APS keine Fragen, und Gottweis ist nicht zu sprechen. "Wir treiben diese Untersuchungen mit Hochdruck voran und werden auch die Öffentlichkeit informieren, sobald ein substanzielles Gesamtbild vorliegt", sagt ein VW-Sprecher.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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