Vietnam:Eine erstaunliche Karriere

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Arbeiten im Café: Ein Vietnamese geht in Hanoi seinen Geschäften nach. Das Land ist im Kampf gegen die Armut weit erfolgreicher als andere. (Foto: Justin Mott/Bloomberg)

40 Jahre nach dem Ende des Kriegs erlebt das Land eine Blütezeit. Die sozialistische Republik ist abgerückt von einer rigiden Planwirtschaft.

Von arne Perras, Ho-Chi-Minh-Stadt

Die Hochburg des Kapitalismus liegt im 17. Stock des Sun Wah Towers, im Herzen von Ho-Chi-Minh-Stadt. Hier hat Vina-Capital seinen Sitz, Vietnams führendes Investment-Unternehmen. Wenn Geschäftsführer Don Lam aus dem Fenster schaut, blickt er auf eine Skyline, die sich in rasendem Tempo wandelt. Er ist zufrieden. "Für Vietnam sind dies goldene Zeiten", sagt er und streicht sich über die leuchtend rote Krawatte.

Lam hat es nicht bereut, dass er zurückgekehrt ist in seine Heimat, die er einst als 11-jähriger Junge in einem überfüllten Boot verlassen hatte. Ho-Chi-Minh-Stadt hieß früher einmal Saigon. Als die Nordvietnamesen 1975 den Krieg gegen den Süden gewannen, benannten sie die Stadt nach dem Vater der Revolution. Onkel Ho prangt überall auf den Plakaten. Gleichwohl ist die sozialistische Republik Vietnam abgerückt von einer rigiden, zentral gelenkten Planwirtschaft. Sie hat sich Schritt um Schritt geöffnet. Und in den neuen Räumen blühen Geschäfte wie das von Don Lam. Er erinnert sich, wie er 2003 mit einem einzelnen Fonds über 9,5 Millionen Dollar angefangen hat. Inzwischen verwaltet das Unternehmen Anlagen mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Dollar.

Vierzig Jahre nach Ende des Vietnam-Krieges kommt man in diesem Land erstaunlichen Karrieren auf die Spur. Die Menschen erzählen nicht nur vom Aufstieg einzelner Unternehmer. In deren Erfolg spiegelt sich auch ein breiterer Wandel wider, getrieben von einer zunehmend globalisierten Wirtschaft.

In der Wirtschaft werden die Freiräume größer, in der Politik aber bisher kaum

Der Aufschwung ist allerdings eingebunden in einen Staat, der sorgsam darauf achtet, dass das Machtmonopol seines Einparteiensystems nicht ins Wanken gerät. In der Wirtschaft werden die Freiräume größer, in der Politik aber bisher kaum. Manche sprechen von einem hybriden System, ähnlich wie es der große Nachbar China praktiziert. Das sieht nach einem anstrengenden, manchmal schmerzhaften Spagat aus. Aber die Gesellschaft scheint ihn zu verkraften. Vielleicht auch deshalb, weil das Land im Kampf gegen die Armut weit erfolgreicher war als andere, weil der Wohlstand der Masse wächst.

Dass der Investment-Stratege Lam an diesem Morgen in einem eleganten Ledersessel sitzt und über seinen Aufstieg spricht, ist alles andere als selbstverständlich. Als Junge gehörte er zu den Boat People. Wo ihn die Not hintragen würde, er wusste das damals nicht. Und nichts deutete darauf hin, dass er es einmal ganz nach oben schaffen würde.

Im Jahr 1979 kehrte seine Familie der Heimat den Rücken. Dass der kommunistische Norden Vietnams vier Jahre zuvor den Süden besiegt hatte, war auch eine Niederlage für das kapitalistische Amerika, das mit aller militärischen Macht den Südvietnamesen zum Sieg verhelfen wollte - und scheiterte. An diese Zeiten erinnert sich Lam nur noch schemenhaft. Seine Familie, die chinesische Wurzeln hat, lebte damals nahe der Küstenstadt Nha Trang und handelte mit Motorrädern. Nach dem Kriegsende wurde das Elend so groß, dass seine Eltern nur noch fort wollten. Also bestiegen sie eines der kleinen Boote nach Hongkong. 279 Menschen, dicht gedrängt. "Ich weiß nur noch, es war unglaublich heiß an Deck." Drei Monate später ging es weiter nach Kanada. "Dort war es wiederum unfassbar kalt für einen Menschen aus Vietnam."

Der Familie wurde nichts geschenkt. Der Vater schuftete in einem Stahlwerk, die Mutter in einer Textilfabrik. Um das magere Einkommen aufzubessern, half der älteste Sohn Don jede Nacht mit, das Stahlwerk zu putzen. Sein Job waren die Toiletten. Früh morgens musste er schon wieder raus zur Schule. Später betrieben sie einen Lebensmittelladen und konnten etwas sparen. Don Lam und seine vier Geschwister studierten, sie machten ihren Weg.

Als der älteste Sohn 1994 schließlich nach Vietnam zurückwollte, waren die Eltern gar nicht glücklich. Doch er ließ sich nicht beirren. Zuerst kam er als Consultant, später gründete er dann Vina-Capital - mit durchschlagendem Erfolg. Es ist ein steiler Aufstieg, wie man ihn mit amerikanischen Freiheiten verbindet. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Lams Karriere allerdings ist etwas anders verlaufen. Zwar hat sie auf dem amerikanischen Kontinent begonnen, aber der Durchbruch kam in Asien. In der sozialistischen Republik Vietnam sah er Chancen, die andere nicht sahen. Und er hat sie genutzt.

"Die Jugend in Kanada war insofern entscheidend, als sie den täglichen Rhythmus setzte. Wir lernten früh: Nur mit harter Arbeit geht es voran." Außerdem hilft ihm, dass er die vietnamesischen Gewohnheiten bestens kennt. Er spricht die Sprache, er weiß, wie man Kontakte knüpft. Und er weiß auch wo die Empfindlichkeiten liegen.

Ausländische Firmen tun sich da noch manchmal schwer, sagt der französische Consultant Hadrien Wolff von Audier & Partners. "Es braucht Zeit, um hier Partnerschaften aufzubauen. Und man muss die Kultur verstehen." Vieles baut auf Konsens auf, die Vietnamesen legen viel Wert auf Transfer von Know-how. "Es bieten sich viele Chancen, aber manche Firmen geben auch wieder auf", sagt er. Außerdem beobachten Kenner, dass Gerichte bei Streitigkeiten manchmal dazu neigen, die einheimische Seite zu bevorzugen.

Dennoch: Manager Lam spricht von "einer guten Phase". Vietnam habe die Inflation in den Griff bekommen, der Unternehmer lobt die Stabilität, den Fleiß der Vietnamesen und das gute Schulsystem. Und er verweist auf ein Wachstum, das in den vergangenen Jahren mehr als sechs Prozent betrug. Das Land wird nun als Standort der Fertigungsbranche immer attraktiver, etwa für elektronische Produkte. Samsung ist groß eingestiegen. Microsoft hat seine Fertigung von Nokia-Handys von China zum Teil nach Vietnam verlegt.

Die Beziehungen zum früheren Feind USA haben sich normalisiert

Doch Lam will auch die Schwierigkeiten nicht verschweigen, so bereitet der angeschlagene Bankensektor mit seinen faulen Krediten Sorgen. Auch wünschten sich Unternehmer, dass der Staat manchmal schnellere Entscheidungen trifft. Was nicht heißt, dass es Geschäftsleute in demokratisch geführten Ländern immer leichter haben. "Schauen Sie nur nach Indien", sagt Lam. "Wie kompliziert dort alles noch ist." Da sei Vietnam doch schon ein Stück weiter.

"Würde die Regierung alle schon beschlossenen Reformen beherzt umsetzen, wäre alles noch besser", sagt die Ökonomin Pham Chi Lan, die früher die Regierung beriet und nun über Vietnams Entwicklung forscht. Korruption und Vetternwirtschaft betrachtet sie als wachsende Gefahr für den Zusammenhalt und auch den weiteren Aufschwung im Land.

Seine Beziehungen zum früheren Feind USA hat Vietnam längst normalisiert, auch wenn manche Wunden kaum verheilen. In Vietnam sind es die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch das von den Amerikanern versprühte Entlaubungsmittel Agent Orange, das Dioxin enthielt. Noch immer hoffen Vietnamesen auf Kompensation, es gibt US-Hilfen, doch sie gelten angesichts der verheerenden Folgen als gering. Gleichwohl: Es ist viel Zuversicht unter jungen Vietnamesen zu spüren, 42 Prozent der 91 Millionen Einwohner sind jünger als 25 Jahre alt. Sie blicken mehr nach vorne als zurück. Zum Beispiel Le Van Pho: Er hat an diesem Nachmittag gerade Schichtwechsel im Werk von Microsoft nahe Hanoi und schlürft Tee in der Cafeteria. Er freut sich über seinen Job in der Handy-Fertigung, er hat seine Schule gut abgeschlossen und hofft, dass er mit diesem Job aufsteigen kann. Und studieren. "Meine Freunde beneiden mich alle um diesen Job", sagt der 26-Jährige. Amerika ist für ihn nicht der alte Feind, sondern ein Zukunftstraum.

Washington und Hanoi, sie rücken jetzt enger zusammen, die USA haben Vietnam in ihre Pläne für ein transpazifisches Handelsabkommen TTP (Trans-Pacific Partnership) einbezogen. Der Vorstoß dürfte nicht nur wirtschaftliche Gründe haben. Nach Ansicht von Analysten dient der Schritt auch dem Ziel, dem Vordringen Chinas in Südostasien entgegenzuwirken. Zwar ist der Nachbar im Norden noch immer größter Investor in Vietnam, beliebt ist er nicht. Dass Peking weitreichende territoriale Ansprüche im südchinesischen Meer einfordert, macht die Beziehungen jetzt noch komplizierter.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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