Verschwundenes Air-Asia-Flugzeug:"Mein schlimmster Alptraum ist wahrgeworden"

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Auf der Suche nach Air-Asia-Flug QZ8501: Der indische Künstler Sudarsan Pattnaik arbeitet nahe Puri an einer Skulptur aus Sand. (Foto: AFP)

Die malaysische Airline Air Asia hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Nach dem Verschwinden von Flug QZ8501 muss die Billigfluglinie nun ihre erste große Krise bewältigen. In Zentrum steht der schillernde Air-Asia-Boss Tony Fernandes.

Von Jens Flottau

Die Verträge waren längst fertig verhandelt, doch Tony Fernandes verweigerte einfach seine Unterschrift. Erst, so forderte er, müsse John Leahy in einem Pariser Klub mit ihm tanzen. Leahy tanzen? Das ist so ziemlich das Letzte, was dem Airbus-Verkaufschef in den Sinn käme. Der Mann kennt nach Jahrzehnten in der Branche so ziemlich jeden Trick, ist berühmt und berüchtigt für seine Sprüche. Doch im Juni 2011 hatte er seinen Meister gefunden.

Air-Asia-Chef Tony Fernandes war damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angekommen. Er hatte nach jener Party in dem Pariser Klub, bei dem Leahy am Ende nach langem Gezeter wirklich tanzte, 200 Flugzeuge des Typs Airbus A320neo bestellt, damals der größte Auftrag überhaupt für das Kurz- und Mittelstreckenflugzeug. Die Albernheit rund um die Tanzeinlage, mit der er Leahy vorführte (und die Geschichte anschließend weiterverbreitete), war Ausdruck eines Gefühls der Unbesiegbarkeit. Der damals 47-Jährige hatte den Gipfel seiner Karriere erreicht.

Gut dreieinhalb Jahre später ist das Hochgefühl dem Entsetzen gewichen. "Mein schlimmster Alptraum ist wahrgeworden", sagt Fernandes heute. Einer seiner Airbus A320 ist am Sonntagmorgen mit 162 Menschen an Bord auf dem Weg von Surabaya/Indonesien nach Singapur verschwunden. Von dem Flugzeug fehlte auch am Montagabend jede Spur. Berichte über angeblich im Wasser schwimmende Teile und Ölspuren wurden wenig später wieder dementiert. Es kann lange dauern, bis das Wrack geortet wird. Bei früheren Abstürzen vergingen häufig Tage und Wochen, bis die Angehörigen Gewissheit hatten. Flug Malaysia Airlines MH370 zeigt, dass es manchmal auch nach Monaten oder Jahren keine Spur geben kann: Die voll besetzte Maschine, die im März nach stundenlangem Irrflug über dem Indischen Ozean verschwand, löste eine der größten Suchaktionen überhaupt aus - und ist bis heute verschwunden geblieben.

Schock für den Erfolgsverwöhnten

Air Asias Airbus A320 mit der Flugnummer QZ8501 war am frühen Sonntagmorgen gestartet. Gegen 6.16 Uhr Ortszeit brach der Funkkontakt rund 120 nautische Meilen südöstlich der indonesischen Insel Belitung ab, auch auf dem Radar war die Maschine nicht mehr zu entdecken. Die Piloten hatten wenig zuvor bei der Flugsicherung um Erlaubnis gebeten, ein Schlechtwettergebiet zu umfliegen und von 32 000 auf 38 000 Fuß steigen zu dürfen. Eines der letzten Radarbilder zeigt die Maschine auf einer Höhe von 36 300 Fuß und ein Stück seitlich versetzt vom ursprünglich geplanten Flugweg.

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Suchtrupps, die den Ozean durchkämmen; Experten, die nach Erklärungen suchen; verzweifelte Angehörige, die nichts tun können als zu warten: Eindrücke von der Katastrophe um das vermisste Air-Asia-Flugzeug.

Der mutmaßliche Absturz trifft ein erfolgsverwöhntes Unternehmen. Air Asia spielt mit einer Flotte von knapp 170 Jets in Asien die gleiche Rolle, die Southwest in den USA und Ryanair oder Easyjet in Europa übernommen haben: Alle sprengen das überkommene System im Luftverkehr und bringen die Etablierten mit neuen Ideen und Strategien in massive Schwierigkeiten. Gemeinsam mit der indonesischen Lion Air ist Air Asia dabei, den Luftverkehrsmarkt in Asien umzukrempeln, und zwar mit großem finanziellen Erfolg. Gut zwölf Jahre hat die Airline gebraucht, um zu einem so wichtigen Faktor zu werden. Undenkbar wäre die Entwicklung ohne den charismatischen Gründer.

Tony Fernandes - Sohn eines Inders und einer Portugiesin - wurde in Kuala Lumpur geboren, besuchte in England Schule und Universität, machte seinen Abschluss an der London School of Economics. Eine Weile arbeitete er als Controller bei Richard Bransons Fluggesellschaft Virgin Atlantic, wurde dann Wirtschaftsprüfer und wechselte ins Musikgeschäft. Ende der Neunzigerjahre war er mit noch nicht einmal Mitte 30 für das Südostasiengeschäft der Warner Music Group zuständig. Als Warner 2001 mit America Online fusionierte, stieg Fernandes um.

In seiner Heimat kaufte er für einen Ringgit (etwa 20 Cent) vom Staat eine kleine, mit elf Millionen Dollar verschuldete Fluggesellschaft namens Air Asia. Fernandes hatte noch in England die Anfänge von Ryanair und Easyjet mitbekommen, die erste Welle der europäischen Billigfluggesellschaften. So etwas wollte er auch in Asien schaffen.

Dort schien das auf den ersten Blick viel schwieriger zu sein. Das Konzept war schlicht unbekannt. Man flog, wenn man es sich denn leisten konnte, Singapore Airlines oder Malaysia Airlines oder Thai - die waren allenfalls für Luxus an Bord bekannt, aber nicht für günstige Preise. Und anders als in Europa gab es keine Liberalisierung des Luftverkehrmarktes. Niemand konnte einfach eine Airline gründen und Jets von einem Land ins andere fliegen lassen.

Doch Fernandes ließ nicht locker. Sein Lobbying schockte das distinguierte Establishment Kuala Lumpurs. Der Mann mit der roten Baseball-Kappe ließ "Now everyone can fly" auf seine Maschine pinseln und tauchte öfters unangekündigt auf Empfängen des damaligen malaysischen Premierministers Mahathir Mohamed auf, um für seine Sache zu werben. Am Ende bekam er seinen Willen. Er durfte zunächst ins benachbarte Ausland fliegen, nach Thailand und Indonesien. Fernandes ging dies nicht weit genug.

Air Asia sollte nicht nur der ungeliebten Staatsfluglinie Malaysia Airlines davonfliegen, sondern das Konzept in andere Länder Asiens exportieren. Im Laufe der Jahre gründete Air Asia zusammen mit lokalen Investoren, die für die Verkehrsrechte die Mehrheit der Anteile halten müssen, in vielen Ländern der Region neue Ableger - Thai Air Asia, Indonesia Air Asia, Philippines Air Asia, Air Asia Japan.

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Von Felicitas Kock

Das neueste Projekte heißt Air Asia India. Nicht alle diese Projekte waren erfolgreich. Die indonesische Tochtergesellschaft erwirtschaftete zuletzt nur einen marginalen Gewinn. Die Ableger in Thailand und auf den Philippinen machen hohe Verluste, Air Asia Japan hat sogar schon wieder dichtgemacht. Manchmal lag es daran, dass Fernandes die falschen Partner aussuchte, manchmal war einfach nur der ruinöse Wettbewerb mit Konkurrenten wie Lion-Air schuld, die es mit ähnlichen Konzepten versuchen und den Markt mit billigen Sitzen überschwemmen. In Japan versuchte Air Asia, mit der nach einem klassischen Geschäftsmodell operierenden All Nippon Airways zusammenzuarbeiten, doch das ging im ersten Versuch schief. 2015 soll Air Asia Japan mit neuen Partnern wieder starten.

Billigflieger auf der Langstrecke

Geschäftlich das größte Wagnis ist für Fernandes aber die Idee, das Billigkonzept auch auf der Langstrecke zu etablieren. 2007 startete die erste Maschine der Air Asia X. Anfangs landeten die Jets auch in Europa, doch die Airline machte hohe Verluste - falsche Flugzeugmuster, hohe Spritpreise - und beschränkt sich derzeit auf innerasiatische Langstrecken bis zu maximal acht Stunden Flugzeit. Die Auslieferung von zusätzlichen Airbus A330 hat Air Asia X zunächst verschoben, um nicht mehr so schnell wachsen zu müssen. Doch von 2018 an will sie 55 neue Airbus A330neo übernehmen und dann auf der Langstrecke die gleiche Revolution schaffen, die ihr auf der Kurzstrecke schon gelungen ist.

All dies sind alltägliche geschäftliche Risiken für einen Mann, dessen Privatvermögen mittlerweile auf rund 650 Millionen US-Dollar geschätzt wird und der sich als Hobby eine Mehrheitsbeteiligung am traditionsreichen Londoner Fußballverein Queens Park Rangers leistet (und bis zum Sommer das Formel-1-Team Caterham besaß).

Doch Air Asia und Fernandes müssen nun auch beweisen, wie gut sie mit der ersten schwerwiegenden Krise seit dem Beginn des Höhenfluges umgehen werden. Anschauungsunterricht darüber, wie man es nicht machen sollte, haben die Kollegen von Lion Air gegeben. Im April 2013 hatte eine Crew trotz dichtem Nebels versucht, auf dem Flughafen von Denpasar/Bali zu landen. Doch die Maschine war zu früh zu tief gesunken und zerschellte im Wasser noch vor der Landebahn - alle 108 Menschen an Bord überlebten. Allerdings machte Lion Air bei der anschließenden Unfalluntersuchung keine gute Figur, die Behörden bemängelten Defizite bei der Organisationsstruktur und der Ausbildung. Auch die Kommunikation in der Krise ließ zu wünschen übrig.

Dies zumindest kann man Air Asia nicht vorwerfen. Die Airline gab, so wie es sich gehört, die ihr bekannten Fakten zu dem Unglück bekannt. Fernandes flog nach Surabaya, um mit den Angehörigen der Opfer zu sprechen und diese über die Suche auf den neuesten Stand zu bringen.

Aber die Bewältigung der Katastrophe hat erst begonnen.

© SZ vom 30.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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