Verpackungsmüll:Betrug beim gelben Sack? Im Dualen System fehlen 50 Millionen Euro

ALBA Sortieranlage fier Leichtverpackungen aus den Sammlungen der dualen Systeme und Wertstoffe in B

Leichtverpackungen, die noch sortiert werden müssen: Am Geschäft der Verwertung sind viele beteiligt, die Kontrolle schwierig.

(Foto: imago/Jens Schicke)
  • Zehn Firmen teilen sich in Deutschland den Markt für den Verpackungsmüll.
  • Sie schließen Verträge mit Firmen, die solche Verpackungen in den Markt bringen.
  • Jeder meldet die Verpackungsmengen, für die er Lizenzen ausgestellt hat - und übernimmt dann anteilig die Kosten der Entsorgung.
  • Wer weniger meldet, muss auch weniger für die Entsorgung zahlen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Was vor und nach der gelben Tonne oder dem Wertstoffhof passiert - man ahnt es nicht. Da werden Verträge geschlossen, Müllmengen verrechnet, Millionen transferiert. Rund um den deutschen Verpackungsmüll ist ein so kompliziertes Konstrukt entstanden, dass da auch schon einmal ein paar Millionen Euro spurlos verschwinden können. Ohne dass hinterher einer weiß, wie das passieren konnte. Nur: Diesmal soll es Folgen haben.

Wie mehr als 50 Millionen Euro einfach so fehlen können? Das lässt sich nur aus dem komplizierten System heraus erklären. Zehn Firmen teilen sich in Deutschland den Markt für den Verpackungsmüll. Sie schließen Verträge mit Firmen, die solche Verpackungen in den Markt bringen.

Zehn Firmen beauftragen die Entsorgung der registrierten Verpackungen

Das verlangt auch das Gesetz: Wer hierzulande, nur zum Beispiel, eine Zahnpastatube auf den Markt bringt, der braucht eine "Lizenz", die deren Entsorgung sicherstellt. Er muss garantieren können, dass die Tube auch über gelbe Tonne oder gelben Sack entsorgt wird. Dafür wird eine Summe fällig, die auf jede einzelne Zahnpastatube aufgeschlagen wird. So zahlt der Kunde dafür, dass die Verpackungen auch abgeholt und in irgendeiner Form verwertet werden. Wie viel Verpackungsmüll lizenziert ist, das hält ein Register beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fest. So weit, so einfach.

Die Lizenz holt sich der Hersteller bei einer der zehn Firmen. Die wiederum beauftragen andere damit, die Verpackungsabfälle abzuholen. Da nicht jeder der zehn eigene Müllautos durch die Städte fahren lassen kann, teilen sie sich diese Aufgabe. Das wiederum verlangt, dass die Zehn Kosten und Einnahmen untereinander aufteilen. Dazu meldet jeder die Verpackungsmengen, für die er Lizenzen ausgestellt hat - und übernimmt dann anteilig die Kosten der Entsorgung. Dafür haben die zehn Recycling-Firmen vertraglich eine Clearingstelle gegründet.

210 000 Tonnen Verpackungen sind herrenlos

Dumm nur: Dem DIHK-Register wurden im vorigen Jahr größere Müllmengen gemeldet als dieser Clearingstelle. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Unter den zehn Firmen muss es schwarze Schafe geben, die an die gemeinsame Clearingstelle geringere Mengen gemeldet haben, als sie tatsächlich unter Vertrag nahmen. Der Anreiz dazu ist groß, denn wer weniger meldet, muss auch weniger für die Entsorgung zahlen. Die Müllautos fahren trotzdem. 210 000 Tonnen Verpackungen sind so quasi herrenlos, darunter 90 000 Tonnen sogenannte Leichtverpackungen - das entspricht etwa neun Milliarden leeren Zahnpastatuben. Oder auch Kosten von insgesamt 50 Millionen Euro.

Das System

Seit 1991 gibt es in Deutschland die "Verpackungsverordnung". Ziel war es damals, der rapide wachsenden Müllberge Herr zu werden. Seitdem verstehen sich die Bundesbürger auf die Mülltrennung, gibt es gelbe Säcke und grüne Punkte. Allerdings fanden sich auch immer wieder Schlupflöcher, mit denen findige Entsorger das System für sich auszunutzen wussten. Seit ihrer Einführung wurde die Verordnung sieben Mal novelliert, doch der Verpackungsmüll wurde nicht weniger, sondern mehr. Vom 1. Januar 2019 an soll die Verordnung nun von einem "Verpackungsgesetz" abgelöst werden. Es verlangt unter anderem höhere Recycling-Quoten und sieht eine neue Oberaufsicht vor, die "Zentrale Stelle". Sie soll Missbrauch erschweren. michaeL bauchmüller

Entsprechend groß sind Ärger und Misstrauen bei den zehn Firmen. Die Differenzen stellten "eine Gefährdung für das System dar und verzerren den Wettbewerb", sagt Michael Wiener, Chef des Dualen Systems Deutschland, das Produkte über den "Grünen Punkt" lizenziert. Schließlich könne, wer nicht ordentlich meldet, letztlich die Entsorgung günstiger anbieten. "Wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, diesen Betrug zu beenden."

Wer aus dem Clearing-Vertrag aussteigt, könnte die Zulassung verlieren

Anfang August kündigten einige der Zehn die alten Clearing-Verträge und schlossen einen neuen Vertrag. Es sind die Großen der Branche, neben dem Dualen System Deutschland auch Interseroh und Belland-Vision, inzwischen hat sich auch die Reclay-Gruppe angeschlossen. Der neue Vertrag soll es leichter machen, die gemeldeten Mengen nachzuvollziehen, das soll Betrug erschweren. "Sich nicht zu einer erhöhten Transparenz zu bekennen", sagt Interseroh-Chef Markus Müller-Drexel, "wirft ein ungünstiges Licht vor allem auf diese Anbieter". Diese Anbieter - das sind drei Firmen, die immer noch an dem alten Vertrag festhalten.

Keiner will es gewesen sein, und jeder verweist auf unabhängige Wirtschaftsprüfer. Das Recycling Kontor Dual, kurz RKD, ist eine der Firmen, die am alten Clearing-Vertrag festhalten. "Abweichungen hat es immer gegeben", sagt RKD-Geschäftsführer Florian Dühr, "auch bei den vermeintlichen Saubermännern". Selbst die Großen in der Branche hätten ihre Kniffe, um Verpackungsmengen kleinzurechnen.

Wer übernimmt am Ende die fehlenden Millionen?

Jetzt aber liefen die Aussteiger Gefahr, am Ende die Zulassung zu verlieren; ein entsprechendes Rechtsgutachten kursiert schon. Die Teilnahme an der gemeinsamen Clearing-Stelle, so heißt es darin, sei "Voraussetzung für die Teilnahme am Wirtschaftskreislauf nach der Verpackungsverordnung". Das sieht auch Sascha Schuh so, Chef der Europäischen Lizenzierungssysteme ELS. "Die Problematik ist: Wenn Sie keinen Clearing-Vertrag haben, können Sie nicht clearen." Es gelte nun, den alten Vertrag fortzuentwickeln, sagt Schuh. Das will auch RKD-Chef Dühr.

Das letzte Wort hat das Bundeskartellamt - schließlich handelt es sich um eine Kooperation unter Konkurrenten. Die zuständige Beschlussabteilung jedoch sieht sowohl im alten als auch im neuen System "wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen", heißt es in einer internen Mail. Solange die Vorgaben "nicht von allen Systemen als Grundlage für ein Clearing im Jahre 2018 akzeptiert werden", könne die Wettbewerbsbehörde auch keinem die nötige Freigabe erteilen.

"Zu einem Szenario, in dem die Systeme bis zum Jahresende keine Lösung für ein Clearing finden, können wir uns derzeit noch nicht äußern", heißt es in der Behörde. So läuft die Branche in ein Patt, in dem eine Frage noch nicht geklärt ist: Wer übernimmt am Ende die fehlenden Millionen? Die Lage ist verfahren.

An diesem Donnerstag sollen wieder Gespräche stattfinden, die Zeit drängt. An einem Chaos beim Verpackungsmüll hat keiner Interesse, aber für die Betrügereien anderer will auch niemand zahlen. Nur ein Trost bleibt: Von 2019 an wird die Sache komplett neu geregelt, dann über eine staatliche Stelle. Schon 2018 werde sie zu wirken beginnen, heißt es aus dem Bundesumweltministerium - etwa mit einer verbindlichen Feststellung der jeweiligen Marktanteile. "Verstöße gegen die Meldepflichten können dann wesentlich besser geahndet werden", sagt ein Sprecher. "Auch mit hoheitlichen Mitteln."

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