Verbot ungedeckter Leerverkäufe:Wie Europa sich vor Spekulanten retten will

Nackt war gestern: Die Europäische Union verbietet ungedeckte Leerverkäufe für ganz Europa, um die Spekulation gegen Staaten einzudämmen. Aber sind die Spekulanten vielleicht nur ein Sündenbock? Kritiker der neuen Regeln sprechen von Symbolpolitik und Aktionismus.

Jannis Brühl

Europa in der Krise

Man kann der Finanzbranche nicht vorwerfen, dass sie die Denker der Welt nicht zu verbalen Höchstleistungen anspornt. Spekulationstechniken wie ungedeckte Leerverkäufe beschreibt der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl, der sich intensiv mit Kapitalmärkten auseinandersetzt, so: "Jemand, der eine Ware nicht hat, sie weder erwartet oder haben will, verkauft diese Ware an jemanden, der diese Ware ebenso wenig erwartet oder haben will und sie auch tatsächlich nicht bekommt." Es ist eine Art Handel mit Luft, den Europas Politiker von diesem Donnerstag an in seinen extremen Formen verbieten. Gegner der Neuregelung halten aber diese selbst für eine Luftnummer.

Die EU-Verordnung soll Spekulation gegen Staaten eindämmen, die es ihnen erschwert, an günstige Kredite zu kommen. Leerverkäufe sind ein Instrument, mit dem Marktteilnehmer wie Hedgefonds auf fallende Kurse wetten können: Sie verkaufen Papiere, die sie nicht besitzen, sondern nur geliehen haben, und kaufen sie erst später ein, wenn der Kurs gesunken ist. Die Differenz zwischen altem und neuem Preis ist ihr Gewinn. Besonders in der Krise könne das Abwärtstrends an Anleihemärkten verstärken, heißt es in der neuen EU-Verordnung (PDF). Am Ende stehe gar die "Lebensfähigkeit der Finanzinstitute" auf dem Spiel.

Die Neuregelung beinhaltet drei zentrale Punkte: Erstens müssen größere "Short-Positionen" durch Leerverkäufe, also Wetten, dass ein bestimmter Kurs fällt, ab einem bestimmten Betrag den Behörden gemeldet werden. In Deutschland gelten diese Regeln teilweise schon. Hierzulande müssen größere "Netto-Leerverkaufpositionen" - also ungedeckte Wetten - bei der Finanzaufsicht Bafin registriert und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.

Zweitens werden "nackte" oder "ungedeckte" Leerverkäufe" ganz verboten. So bezeichnet man Wetten auf Papiere, die der Leerverkäufer selbst nicht besitzt - jenen Prozess, den Vogl als so absurd beschreibt.

Drittens dürfen auch Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps - CDS) auf Staatsschulden nicht mehr ungedeckt sein. CDS sind wie Leerverkäufe eigentlich Sicherheitsinstrumente - sie werden zum sogenannten Hedging benutzt, also um Investitionen abzusichern, die man selbst getätigt hat. Für ungedeckte CDS benutzen Kritiker dagegen das Bild einer Brandschutzversicherung für ein Haus, das einem nicht gehört - sie bietet einen Anreiz, das Haus selbst anzuzünden, um zu kassieren. Ein Händler darf CDS nun nur noch in ihrem ursprünglichen Sinne nutzen: Er muss mit ihnen Staatsanleihen, die er tatsächlich besitzt, absichern.

Die EU-Verordnung, die zum 1. November in Kraft tritt, harmonisiert bestehende nationale Richtlinien. In Deutschland galten viele Vorgaben schon, die Bundesregierung war 2010 vorgeprescht und hatte nackte Leerverkäufe auf Papiere verboten, die im Inland zugelassen worden waren. Nun gilt das Verbot EU-weit und für alle Aktien und Anleihen, die in Europa ihren Haupthandelsplatz haben.

Regulierungskritiker griffen die nationalen Lösungen mit dem immer gleichen Argument gegen mehr Kontrolle im Finanzsektor an: Solange nur ein Land reguliert, wandern Händler einfach an andere Standorte ab. In Europa war das meist London, denn Großbritannien reguliert wegen der großen Finanzbranche im Land traditionell eher zurückhaltend. Bei den neuen Regeln ist das Land mit an Bord. Die Regeln gelten weltweit, auch Banken in den USA müssen den europäischen Aufsichtsbehörden melden, wenn sie Verstöße gegen das Leerverkaufsverbot feststellen, heißt es bei der Bafin.

Die Linke will lieber einen "Finanz-Tüv"

Was ein Verbot von Leerverkäufen bringt, ist unklar. Die Notenbank von New York kam in einer Untersuchung im Sommer zu dem Schluss, Leerverkäufe seien keine treibende Kraft hinter Kurseinbrüchen (PDF). Ein Verbot helfe nichts, wenn "firmenspezifische oder landesweite ökonomische Grundlagen schwach seien". In der New Yorker Fed geben allerdings auch die Wall-Street-Banken den Ton an. Der Nähe zu Finanzfirmen unverdächtig ist Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Er nennt die neue Verordnung "symbolische Politik" und sagt Süddeutsche.de: "Wenn man einzelne Finanzprodukte oder -praktiken verbietet, wird dies in einem Hase-und-Igel-Spiel enden, bei der immer wieder Möglichkeiten zur Umgehung gefunden werden. Somit würde ich mir nicht viel vom Verbot versprechen." Stattdessen solle ein "Finanz-Tüv" geschaffen werden, der jedes Instrument einzeln zulassen müsste.

Investoren haben bereits reagiert und ziehen Kapital aus dem CDS-Markt für europäische Staatsanleihen. Mit 112 Milliarden Dollar ist der ausstehende Betrag dieser Versicherungen auf den tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gesunken, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Einer Analyse der Commerzbank zufolge haben viele Händler in den vergangenen Wochen ihre CDS verkauft oder kauften Staatsanleihen, um "nackte" CDS zu decken. Sie machen dafür allerdings auch den "Draghi-Put" verantwortlich. Damit meinen sie die Ankündigung von Mario Draghi, des Chefs der europäischen Zentralbank (EZB), "alles, was nötig ist", zu tun, vor allem durch die umstrittenen Staatsanleihekäufe der Zentralbank. Diese demonstrative Entschlossenheit habe die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen von Krisenländern gedrückt - weil EZB-Interventionen Investoren beruhigen, dass sie ihr Geld wiederbekommen. Dementsprechend sei dann auch CDS-Spekulation auf Pleiten von Ländern zurückgegangen.

Die Finanzbranche hat ihre Kritik an den Regeln intensiviert. In der Financial Times beschweren sich Betroffene über die chaotische Umsetzung durch die europäische Finanzmarktbehörde Esma. Darren Fox, der Hedgefonds berät, wird dort zitiert: "Die Leute schreien nach Klarheit." Die Esma habe Marktteilnehmer nicht informiert, wie sie denn ihre Positionen überhaupt berechnen sollten. Paul Cluley, der für die Wirtschaftskanzlei Allen & Overy Marktteilnehmer berät, wirft der Politik blinden Aktionismus vor: "Die Verordnung tritt in Kraft, weil es einen politischen Willen gibt, tatkräftig zu erscheinen, selbst wenn niemand so richtig weiß wie oder ob es überhaupt funktioniert.

In den Staaten, die von der Krise direkt betroffen sind, herrschen vorerst ohnehin Regeln, die wesentlich schärfer sind als die EU-Vorgaben. Erst am Mittwoch verlängerte Spanien sein nationales Verbot sämtlicher Leeverkäufe bis Januar. Auch Griechenland regelt seine Märkte bis ins nächste Jahr strenger. Nach den neuen Regeln muss die Esma diese Fristen aber noch bewerten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: