VDA-Präsident Wissmann:"Die Oberklasse wird immer grüner"

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Deutschlands mächtigster Auto-Lobbyist Wissmann über Zweckoptimismus, Staatsinterventionen - und das Ende der Abwrackprämie.

M. Kuntz

Matthias Wissmann, 60, ist seit Juni 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Er ist Deutschlands einflussreichster Lobbyist - weil er Hersteller und Zulieferer mit 750.000 Arbeitsplätzen vertritt, aber auch, weil er als Politiker mit Kabinettserfahrung bestens verdrahtet ist in Berlin und Brüssel. Wissmann ist vom 17. bis 27. September in Frankfurt Gastgeber bei der IAA, der bedeutendsten Automesse weltweit. Sie wird vom VDA veranstaltet und ist die Messe hierzulande, zu der die meisten Besucher erwartet werden - fast eine Million Menschen.

SZ: Herr Wissmann, die Abwrackprämie ist vorbei, Kurzarbeit kann es nicht ewig geben. Steht die deutsche Autoindustrie nun vor einer Entlassungswelle?

Wissmann: Das sehe ich nicht. Der Pkw-Inlandsmarkt ist in den ersten acht Monaten um 27 Prozent auf nahezu 2,7 Millionen Fahrzeuge gestiegen. Wir haben einen Auftragsbestand, der um fast 40 Prozent über dem Vorjahresniveau liegt. Das ist zunächst einmal ein ordentliches Auftragspolster. Für das gesamte Jahr 2009 erwarten wir ein Marktvolumen von über 3,5 Millionen Pkw. Dieses Niveau werden wir im kommenden Jahr nicht mehr erreichen.

Entscheidend ist allerdings die Entwicklung auf den internationalen Märkten: Drei von vier Fahrzeugen aus den Werken in Deutschland gehen in den Export. Wenn dieser sich in den nächsten Monaten und im Jahr 2010 weiter stabilisiert - wir erkennen schon jetzt eine Bodenbildung auf wichtigen Märkten -, kann es gelingen, die Stammbelegschaften zu sichern. Natürlich haben wir noch mit gewaltigen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen, aber solange wir können, wollen wir unsere qualifizierten Mitarbeiter halten, um aus der Krise stärker als unsere Wettbewerber herauszugehen. Deshalb dürfen wir auch an Forschung und Entwicklung nicht sparen.

SZ: Die Autoindustrie hat weltweit immer noch Fabriken für 70 Millionen Fahrzeuge jährlich. Sie wird 2009 jedoch nur 50 Millionen Autos verkaufen. Wie können Sie da optimistisch sein?

Wissmann: Sicher liegt noch eine schwierige Wegstrecke mit weiterer Konsolidierung vor uns. Aber klar ist, dass die weltweiten Verkaufszahlen im nächsten Jahrzehnt wieder deutlich steigen werden. Denn das Potential für die Automobilisierung ist groß. In China gibt es 17 Fahrzeuge auf tausend Einwohner, in Indien elf, in Deutschland über 500. Die deutsche Autoindustrie wird allerdings nur dann mit einem entscheidenden Marktanteil dabei sein können, wenn sie in Sachen Umwelt an der Spitze des Feldes unterwegs ist. Nach den neuesten Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamtes liegen die deutschen Automobilhersteller in neun von zehn Fahrzeuggruppen mit den Kohlendioxid-Werten besser als alle ausländischen Hersteller. In sechs Gruppen stellen wir sogar den CO2-Champion. Diese Zahlen widerlegen das verbreitete Vorurteil, die deutschen Automobilhersteller seien in Sachen Umwelt schlechter als andere.

SZ: Sie glauben also fest daran, dass es in Deutschland trotz der Globalisierung auch in zehn oder zwanzig Jahren noch Autofabriken in Deutschland geben wird?

Wissmann: Da habe ich nicht den geringsten Zweifel. Die deutsche Automobilindustrie produziert bereits jeweils die Hälfte ihrer Fahrzeuge im Inland und im Ausland. Für Klein- und Kleinstfahrzeuge ist die Produktion schon heute in Deutschland aufgrund der hohen Produktions- und Arbeitskosten nicht darstellbar. Deutschland ist gerade auch Premium-Standort. Autos mit einer hohen Wertschöpfung und moderner, grüner Technik werden auch in zehn Jahren hierzulande hergestellt werden können.

SZ: In gut einer Woche beginnt die IAA. Die Messe wird ein Drittel kleiner sein als vor zwei Jahren. Ihr Optimismus scheint bei den Ausstellern noch nicht angekommen zu sein.

Wissmann: Die IAA erweist sich in diesen schwierigen Zeiten durchaus als stabil. Wir haben insgesamt 753 Aussteller aus 30 Ländern. Darunter sind 62 Automobilhersteller, das ist gegenüber der Rekord-IAA 2007 nur ein geringer Rückgang um sieben Prozent. Allerdings haben bei den Zulieferern nicht wenige Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Sorgen, so dass sich manche einen Messeauftritt derzeit einfach nicht leisten können. Eine nicht geringe Zahl der Zulieferer ist bei Umsatzeinbrüchen von 20 bis 30 Prozent - in Einzelfällen sogar von bis zu 80 Prozent - dramatisch herausgefordert. Für sie geht es um die Existenz. Wir haben mit flexiblen Lösungen einigen Zulieferern dennoch einen IAA-Auftritt ermöglichen können.

SZ: Passt diese Messe trotz der Wirtschaftskrise noch in die Zeit - ein solcher Tanz um das Goldene Kalb Automobil?

Wissmann: Ein Auto muss man erleben, erspüren. Es ist eine Mischung aus Vernunft und Emotion, wenn der Käufer sich entscheidet - und viele Käufer bilden sich auch auf der IAA ihre Meinung. Die Messe ist aber nicht nur ein Platz für Autobegeisterte, sondern auch für unglaublich viele Fachleute, weil sie hier erstmals die technischen Trends sehen können. Deshalb wird die IAA als bedeutendste Automobilmesse der Welt auch in Zukunft interessant sein.

SZ: Wollen die Kunden statt teurer großer Autos nicht eher kleine, sparsame und kostengünstige Autos?

Wissmann: Angesichts des wachsenden Wohlstands in wichtigen Teilen der Welt sind nicht nur Kleinstfahrzeuge gefragt. Deren Marktanteil wird zwar weiter hoch sein, doch bleibt genügend Platz für Premiumfahrzeuge der oberen Mittelklasse und der Oberklasse. So gibt es etwa auf dem Wachstumsmarkt China einen klaren Trend zum wertigen Fahrzeug. Weltweit kommen heute acht von zehn Autos der Oberklasse von deutschen Herstellern. Premium wird immer grüner.

SZ: Sie reden von grünen Autos, von umweltfreundlicher Technik. Da drängt sich die Frage auf: Wann verabschiedet sich die Industrie vom Verbrennungsmotor?

Wissmann: Zum einen reduzieren wir die CO2-Emissionen der Verbrennungsmotoren auf Werte, die man vor wenigen Jahren noch für unvorstellbar gehalten hat. Bei der IAA wird es den ersten 4-Sitzer mit weniger als 90 g/km CO2 geben - wohlgemerkt mit einem klassischen Antrieb. Auch das Ein-Liter-Auto wird zu sehen sein. Fachleute schätzen, dass wir beim Clean Diesel den Verbrauch noch einmal um 30 Prozent und beim Benziner um 25 Prozent senken können. Zum anderen wollen wir auch die Führungsposition erringen bei der Elektrifizierung des Autos. Jeder bedeutende Hersteller wird auf dieser IAA mit einem Hybrid-oder Elektroauto präsent sein.

SZ: Wann kann man denn ein Elektroauto tatsächlich kaufen?

Wissmann: In den nächsten fünf Jahren wird es kaum möglich sein, ein erschwingliches Elektroauto als Kleinwagen für den Massenmarkt zu produzieren. Die Bezahlbarkeit der Batterie ist neben ihrer Reichweite die größte Herausforderung. Es wäre eine Illusion zu glauben, das sei im Handumdrehen umgesetzt. Hier investieren wir Milliarden Euro.

SZ: In den weltweiten Wettbewerb der Autoindustrie mischen sich zunehmend Regierungen ein. Ist das sinnvoll?

Wissmann: Ein Anschlag auf den Freihandel beginnt mit der Begünstigung der eigenen Hersteller. Wir kämpfen mit der Unterstützung durch unsere Regierung für den freien Handel.

SZ: In den USA wird die Lebensdauer von Autokonzernen wie GM oder Chrysler künstlich verlängert. Gibt es überhaupt noch einen freien Wettbewerb?

Wissmann: Es gibt ihn in der Automobilindustrie nicht überall. Ein aktuelles Beispiel ist der Umgang der venezolanischen Regierung mit Autoimporten. Auch in den USA macht mir manches Sorge, aber die "Buy American"-Parolen im amerikanischen Kongress sind Gott sei dank noch nicht in die amerikanische Regierungspolitik eingeflossen.

SZ: Herr Wissmann, Sie sind 60 Jahre alt geworden. Als Vorstand bei BMW müssten Sie jetzt in den Ruhestand. Wo sehen Sie die Altersgrenze für einen VDA-Präsidenten?

Wissmann: Es gibt keine fixe Altersgrenze beim VDA-Präsidenten. Er übt seine Funktion aus, solange er getragen ist vom Vertrauen seiner Mitglieder und es ihm selber Spaß macht. Ich bin weiterhin mit Leidenschaft dabei und habe großen Spaß an den Herausforderungen.

© SZ vom 5./6.9.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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