Unveröffentlichtes Gutachten:TTIP ebnet den Weg für Gentechnik im Essen

  • Die relativ strengen Gentechnik-Regeln in Deutschland stehen im Konflikt mit dem geplanten Abbau von Handelshemmnissen zwischen den USA und der EU.
  • Die Kennzeichungspflicht ist an vielen Stellen löchrig.
  • Der Kampf um die Kennzeichnung wird von handfesten wirtschaftlichen Interessen geleitet.

Von Silvia Liebrich

Gentechnik im Essen ist in Deutschland ein Reizthema. Mehr als drei Viertel der Bundesbürger lehnen solche Lebensmittel ab. Seit die USA und die Europäische Union über das Freihandelsabkommen TTIP verhandeln, hat sich die Debatte noch einmal verschärft. Groß ist die Angst bei vielen Verbrauchern, dass sich dieser Vertrag als Türöffner für genmanipulierte Lebensmittel in Europa erweisen könnte.

Dass diese Sorge berechtigt ist, bestätigt nun ein nicht veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Demnach stehen die relativ strengen Gentechnik-Regeln in Deutschland im Konflikt mit dem geplanten Abbau von Handelshemmnissen zwischen den USA und der EU. Auch beim fertigen Vertrag mit Kanada, kurz Ceta, spielen sie demnach eine kritische Rolle.

Das könnte weitreichende Folgen haben. Die Experten des Bundestages sehen durchaus die Gefahr, dass die Regierungen in Brüssel und Berlin - quasi im vorauseilenden Gehorsam - ganz darauf verzichten könnten, die Regeln weiter zu verschärfen, um die Abkommen nicht zu gefährden. Dabei hat sich die Bundesregierung genau das im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt.

Wo die Kennzeichnungspflicht nicht greift

Denn die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch-veränderte Lebensmittel in der EU ist lückenhaft. Sie gilt nicht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch-verändertem Futter hergestellt wurden, also für Fleisch, Wurst, Milch, Eier, Butter, Käse und mehr. Verbraucherschützer bemängeln das. Diese Lücke sollte eigentlich geschlossen werden. "Wir treten für eine EU-Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden, ein", heißt es dazu im Koalitionsvertrag.

Getan hat sich seither jedoch so gut wie nichts. "Leider gibt es keinerlei Anzeichen, dass die Bundesregierung in dieser Sache irgendetwas unternimmt. Es ist zu befürchten, dass auch dieses Gentechnik-Versprechen im Koalitionsvertrag reine Schaufensterpolitik war, die nie ernsthaft umgesetzt werden sollte", kritisiert der Grünen-Politiker Harald Ebner, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Im Bundeslandwirtschaftsministerium wird dieser Vorwurf zurückgewiesen. "Wir halten an unserem Anliegen und dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel fest", so ein Sprecher von Agrarminister Christian Schmidt (CSU).

Kampf um ökonomische Interessen

Hinter dem Kampf um die Kennzeichnung stecken handfeste wirtschaftliche Interessen. Dass in vielen Ställen, auch in Deutschland, Genmais und Gensoja in großen Mengen verfüttert werden, ist kein Geheimnis. Ein wesentlicher Teil davon stammt aus den USA. Das Land gilt weltweit als einer der größten Produzenten, einer der größten Anbieter ist der Agrarkonzern Monsanto.

Die Vereinigten Staaten haben also ein großes Interesse daran, dass die Europäer ihren Markt weiter öffnen. Amerikanische Agrarlobbyisten würden die europäische Gentechnik-Kennzeichnung am liebsten ganz aus dem Weg räumen, weil sie dem Geschäft schadet. Wo und wieviel Gentechnik im Essen steckt, muss in den USA grundsätzlich nicht angegeben werden werden.

Wie heikel das Thema ist, zeigt dieser Konflikt in der deutschen Geflügelhaltung: Als einige große Hühnermäster, darunter auch Wiesenhof, Anfang des Jahres ankündigten, dass sie künftig gentechnisch verändertes Tierfutter einsetzen wollen, gab es massive Proteste von Konsumenten und im Handel. Einige Produzenten stellten daraufhin wieder auf normales Futter um.

Dass es bei dem Kampf um die Kennzeichnung um rein ökonomische Interessen geht, das sehen auch die Gutachter des Bundestages so. Werde die Kennzeichnungspflicht in der EU ausgeweitet, könnte das die wirtschaftlichen Interessen der USA tangieren, heißt es in dem Papier, dass der SZ vorliegt. Ein entsprechendes Gesetz könnte sogar "schiedsgerichtliche Klagen gegen die EU seitens der USA bzw. Kanadas auslösen", schreiben die Experten.

Im Berliner Landwirtschaftsministerium sieht man das jedoch gelassen. Der Sprecher betont, dass bei amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP keine Vorschriften geplant seien, "die von den europäischen Regelungen zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Organismen (GVO) abweichen". Auch beim kanadischen Abkommen würden die EU-Mitgliedsländer ihre volle Regelungsfreiheit behalten.

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