Umweltschutz:Gabriel tritt den Klimaschutz in die Tonne

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Plötzlich bremst Sigmar Gabriel beim Klimaschutz. Sein Kurs ist unglaubwürdig. (Foto: REUTERS)

Der SPD-Chef kuscht vor Lobbygruppen und stoppt den Klimaschutzplan. Das Signal: Wenn es hart auf hart kommt, zählt die Wirtschaft mehr als Kohlendioxid.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Am Verstand kann es nicht liegen bei Sigmar Gabriel. Kaum ein deutscher Spitzenpolitiker hat den Zusammenhang von Klimaschutz und Energiepolitik so verinnerlicht wie er. Das hängt auch mit seinen Lehrjahren als Umweltminister zusammen, sieben Jahre sind sie erst her. Seinerzeit warb er für eine "ökologische Industriepolitik", und wenn er auf Klimagipfeln ans Mikro trat, erzählte er von seiner inzwischen großen Tochter, für deren Zukunft er antrete. Alles Geschichte. Wofür der Chef der sozialdemokratischen Partei in Sachen Fortschritt und Erneuerung mal stand, hat er in der Nacht zum Mittwoch in die Tonne getreten.

Gabriel stoppte in letzter Minute den Klimaschutzplan der Bundesregierung, aus Rücksicht auf Gewerkschaften und Industrie. In den Schlussverhandlungen zum Klimaplan hatten sie alles an Einfluss geltend gemacht - und bei Gabriel offene Ohren gefunden. Deren Belange waren ihm offensichtlich wichtiger als die seiner Parteifreundin Barbara Hendricks, der Umweltministerin. Bleibt es beim Veto, wird sie nächste Woche beim Klimagipfel in Marrakesch erklären müssen, warum Deutschland zwar groß reden, aber nicht handeln kann. Er düpiert auch jene Teile der SPD, die mit Verve für einen guten Plan gekämpft hatten. Über Nacht hat sich Gabriel an die Spitze jener Bewegung katapultiert, der zu viel Klimaschutz suspekt ist, obwohl der Minister doch einst für die Zukunft seiner Tochter kämpfen wollte.

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Nun ist der Verlust an politischer Glaubwürdigkeit vielleicht ein Kollateralschaden, der einem Sigmar Gabriel nicht so neu ist. Womöglich ist der Kurswechsel sogar kalkuliert. Nach seiner eigenen Analyse kann die SPD unter ökologisch interessierten Wählern nicht annähernd das gewinnen, was sie mit grüner Politik in der klassischen Arbeiterschaft verliert. Das erklärt, warum Gabriel mittlerweile für alles den Segen der Gewerkschaften sucht: Bei der Ministererlaubnis für Kaiser's Tengelmann ebenso wie in der Energie- und Industriepolitik. Auch Industrielobbyisten loben Gabriel über den grünen Klee. Kein Wunder, bei so traumhaftem Einfluss.

Das Ergebnis blamiert nicht nur die Bundesrepublik

Die Folge ist eine industriepolitische Geisterfahrt, die den Minister beschädigt. 2013 war er als Gestalter angetreten, der die Energiewende auf neue Beine stellen, die Digitalisierung vorantreiben, den Mittelstand stärken wollte. Inzwischen ist er zum Verwalter verkommen, der die Besitzstände etablierter Industrien und Gewerkschaften sichert. Das nächtliche Veto gegen den Klimaschutzplan ist die Krönung einer gut anderthalbjährigen Metamorphose.

Begonnen hatte sie ausgerechnet mit Gabriels verlorener Schlacht um den Klimaschutz. Mit einer Abgabe wollte er die Emissionen alter Kohlekraftwerke drosseln. Am Ende wetteiferten zwei Gewerkschaften darum, wer den Plan als Erster zu Fall bringt. Mit diesem Widerstand hatte Gabriel weder gerechnet, noch war er ihm gewachsen. Seitdem kuscht er.

Das jüngste Hickhack blamiert nicht nur die Bundesrepublik auf dem Parkett der Klimadiplomatie, das wäre noch zu verschmerzen. Schlimmer sind die Signale, die Gabriel an die Industrie sendet: Vergesst den Klimaschutz! Wenn es hart auf hart kommt, zählt die Wirtschaft mehr als Kohlendioxid. Erderwärmung? Ach was. Anders gewendet: Der Vorsitzende jener Partei, die stets für Fortschritt und Aufbruch stand, die dem Neuen immer aufgeschlossen begegnete, sagt als Wirtschaftsminister die Modernisierung der deutschen Wirtschaft ab. Nichts anderes ist Klimaschutz - ein Modernisierungsprogramm für Industrien, die sich über Generationen an fossile Rohstoffe banden und nun schrittweise davon loskommen müssen.

Gut möglich, dass dieser Mann Kanzlerkandidat der SPD wird. Als solcher wird er sicher auch wieder dem Klima- und Umweltschutz das Wort reden. Glauben kann ihm das keiner mehr.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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