Twitter:Endlich groß werden

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Der Kurznachrichtendienst braucht dringend Ideen, um mehr Nutzer zu locken. Das Netzwerk baut aber erst mal wieder seine Führung um.

Von Helmut Martin-Jung, München

Heute schon einen Tweet abgesetzt? Auch wer sich womöglich fragt, was das nun wieder sein soll, ein Tweet - von Twitter haben die meisten doch schon gehört. Schließlich spielt der Kurznachrichtendienst weltweit eine immer wichtigere Rolle, wenn es darum geht, Neuigkeiten in Windeseile zu verbreiten. Eigentlich eine brillante Idee: Nachrichten nicht länger als 140 Zeichen, oft mit einem Link auf ein längeres Stück, meist mit einem sogenannten Hashtag - dem #-Zeichen gefolgt von einem Schlüsselbegriff -, die als fortwährender Strom von Botschaften auf den Bildschirmen von Handys und Computern dahinrauschen. Sie sind kurz wie das Zwitschern eines Vogels, daher auch der Name. Und jeder pickt sich aus den Myriaden von Tweets, was ihn interessiert oder was andere gerade interessant finden.

Eine wirklich gute Idee. Eine Idee, die viel Begeisterung auslöste, als die Firma ein rasend schnell wachsendes Start-up-Unternehmen war. Und auch, als die Firma im November 2013 an die Börse ging, gelang dieser Schritt fulminant, obwohl Twitter damals noch immer kein Geld verdiente. Mittlerweile ist Twitter kein Start-up mehr, macht mehr Umsatz und weniger Verlust. Aber das Unternehmen hat ein anderes, weitaus gravierenderes Problem: Es gelingt ihm nicht, die Zahl seiner Nutzer deutlich zu steigern. Das Schlimme daran: Das ist schon eine ganze Weile so, und ein Konzept, eine zündende Idee, daran etwas zu ändern - Fehlanzeige. Das beunruhigt auch die Anleger. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Twitter-Aktie die Hälfte ihres Wertes verloren.

Während Konkurrent Facebook, mit dem Twitter oft in einem Atemzug genannt wird, wächst und wächst, während die Aktien des Unternehmens nach oben klettern und Chef Mark Zuckerberg mit Zukunftsprojekten wie etwa einem Basis-Internet für Indien Schlagzeilen macht, wird über Twitter zwar viel geredet. In Nachrichten- oder Sportsendungen blenden die Sender gerne Tweets ein. Wer wissen will, wie der jüngste Tatort war, kann sich nirgends so schnell wie auf Twitter unter #tatort ein Bild von der Stimmungslage der Fans und Hasser der Krimireihe machen.

Wohin geht's? Jack Dorsey, Chef des Kurznachrichtendienstes Twitter und des Finanzdienstleisters Square. (Foto: Richard Drew/AP)

Ein Chef für zwei Firmen, die in Schwierigkeiten stecken - kann das gut gehen?

Doch die Zahl derer, die Twitter wirklich aktiv nutzen, wächst nur noch langsam. Knapp 320 Millionen Nutzer verwenden Twitter regelmäßig. Aber neue Konkurrenten wie Snapchat, das bereits auf etwa 200 Millionen Nutzer pro Monat kommt, und Instagram (400 Millionen) wachsen in rasender Geschwindigkeit. Höchste Zeit also für Twitter, auf die gute erste Idee ein paar neue zu setzen, die dazu führen, dass das Unternehmen seine Reichweite steigern und in nicht allzu ferner Zukunft einmal profitabel werden kann. Die Frage aber ist, woher sie kommen sollen, diese Ideen. Von diesen vier Führungskräften jedenfalls nicht: Produktchef Kevin Weil, Technikchef Alex Roetter, Kommunikationschefin Katie Jacobs Stanton und Personalchef Brian Schipper verlassen das Unternehmen - nicht alle davon freiwillig.

Das zeigt zwar, dass der Mitgründer und wieder bestallte Chef Jack Dorsey, zum Durchgreifen gewillt ist, doch wird es darauf ankommen, welche Ideen die Nachfolger für diese wichtigen Posten mitbringen. Auf ihnen lastet nämlich viel Verantwortung, weil Dorsey nicht bloß Twitter leitet, sondern - nur einen Häuserblock weit entfernt in San Francisco - auch den Finanzdienstleister Square, der unter anderem mobile Kreditkartenzahlungen ermöglicht. Und auch Square muss den prominenten Investoren, die viel Geld in die Firma gesteckt haben, erst noch beweisen, dass daraus wirklich eine große Sache werden kann.

Aber kann einer alleine das stemmen? Ein Chef für zwei Unternehmen, das habe es zwar schon gegeben, schreibt die amerikanische IT-Website Techcrunch, "aber zwei börsennotierte Unternehmen zu führen, die in Schwierigkeiten stecken, ist schon ungewöhnlich und eine Herausforderung". Kein Wunder, dass es immer wieder Gerüchte darüber gibt, diese oder jene Firma wolle Twitter kaufen, zuletzt war der Kurznachrichtendienst in Zusammenhang mit Rupert Murdochs News Corp. gebracht worden. Allein das Gerücht ließ die Aktie kurzfristig nach oben schnellen - bis es schließlich dementiert wurde.

(Foto: rt)

Aber auch wenn Twitter aufgekauft würde - Google zum Beispiel könnte durchaus Interesse an einem etablierten sozialen Netzwerk haben -, bleibt das Hauptproblem: Das fehlende Wachstum. "Es gibt eine ganz Reihe von Gründen dafür", sagte Dorsey in der Telefonkonferenz zu den Ergebnissen des zweiten Quartals 2015, "aber eine der am häufigsten gehandelten Theorien ist, dass der Dienst immer noch verwirrend ist". In der Tat blicken viele Gelegenheitsnutzer kaum durch bei den Möglichkeiten, die Twitter zwar bietet, aber nicht eben leicht zugänglich macht. Das gilt auch für Drittanbieter, die Nutzern dabei helfen, mehr aus Twitter herauszuholen. Wenn sie Twitter zu nahe rückten, ging man gegen sie vor - wer wirklich wachsen will, sollte womöglich eher auf Kooperation setzen.

Was Twitter aber womöglich am meisten helfen könnte, wäre eine radikale Verbesserung der Nutzeroberflächen für Mobilgeräte und im Browser.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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