TTIP:Was das Freihandelsabkommen für Verbraucher und Unternehmen bedeutet

Europa und die USA wollen die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Das Abkommen soll neue Arbeitsplätze und mehr Wachstum bringen. Doch was ist wirklich dran an solchen Versprechen?

Von Silvia Liebrich

Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das EU-Handelskommissar Karel De Gucht da durchziehen will. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten wollen noch enger zusammenrücken und die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Seit einigen Wochen wird verhandelt. Doch der Shutdown in den USA hat den Unterhändlern zuletzt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die amerikanischen Vertreter mussten zu Hause bleiben - es war kein Geld für die Reise nach Brüssel da. Jetzt im November gehen die Gespräche weiter.

Beide Seiten stehen unter Erfolgsdruck. Sowohl die USA als auch die EU versprechen ihren Bürgern große Vorteile durch den Abbau von Handelsbarrieren, etwa mehr Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Die EU-Kommission stellt in Aussicht, dass die Wirtschaftsleistung in Europa durch ein Abkommen um 0,5 Prozent pro Jahr steigen könnte. Eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass allein in Deutschland 160.000 neue Jobs entstehen könnten. Der Reallohn könnte um bis zu 0,9 Prozent steigen. Das klingt gut, doch was taugen solche Vorhersagen?

Skepsis ist angebracht. "Nicht nur die Chancen, auch die Risiken sind bei einem Abkommen dieser Größenordnung schwer kalkulierbar", sagt Professor Christoph Scherrer. Er leitet das Fachgebiet Globalisierung und Politik an der Universität Kassel und ist zugleich Direktor des "International Center for Development and Decent Work". Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt er die Tücken des Abkommens und den Wert von Prognosen.

Kaum Gewinn für kleinere Firmen

Das grundsätzliche Problem bei solchen Schätzungen ist: Was genau ausgehandelt wird, bleibt bis zum Ende der Gespräche geheim - was bei solchen Abkommen üblich ist. Fest steht nur, es soll nicht allein der Warenaustausch erleichtert werden. Auch Gesetze und Standards sollen angeglichen werden und zwar in alle erdenklichen Richtungen. Keine Branche, nicht einmal öffentliche Dienstleistungen, sind ausgenommen. "Das ist ein Novum bei Verhandlungen dieser Art, dadurch gibt es unglaublich viele Parameter, die man gar nicht alle berücksichtigen kann", sagt Scherrer.

Was vielen Europäern nicht klar ist: Bei dem geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA geht es um weit mehr als Chlorhühnchen, Hormonfleisch oder Gentechnik auf dem Teller. Es sollen die Rechte der Industrie gegenüber den Regierungen deutlich gestärkt werden. Die Gefahr dabei: "Der Staat tritt damit ein Stück seiner Souveränität ab, ausscheren kann er sich dann finanziell kaum mehr leisten", meint Scherrer. "Profitieren werden vor allem Großkonzerne auf beiden Seiten des Atlantiks", sagt er. Kleinere Firmen hätten dagegen kaum Gewinn zu erwarten.

Zur Debatte stehen grundlegende Vorschriften und Standards für die Produktsicherheit sowie beim Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Hier gibt es unterschiedliche Regulierungsansätze. In der EU gilt das Vorsorgeprinzip. Firmen müssen also nachweisen, dass ihre Produkte unschädlich sind. In den USA ist das umgekehrt. Zum Beispiel stellen Gentech-Pflanzen so lange keine Risiko dar, bis das Gegenteil bewiesen ist. Kritiker befürchten deshalb, dass sich das angestrebte Abkommen als Türöffner für Gentechnik auf den Äckern der EU erweisen könnte, obwohl die meisten Verbraucher das nicht wollen. Weil die Standards in vielen Bereichen in der EU höher sind als in den USA, könnte es am Ende darauf hinauslaufen, dass Europa sein Niveau senkt.

"Arbeitsmarkt ist ein Knackpunkt in den Verhandlungen"

Scherrer warnt davor, die positiven Effekte für Beschäftigung und Wachstum zu überschätzen. "In Europa werden nicht so viele Arbeitsplätze entstehen wie versprochen. Das bestätigen die Erfahrungen aus früheren Handelsabkommen", sagt er. Mehr Handel bedeute nicht per se mehr Stellen, sondern nur, dass die Arbeitsteilung verstärkt werde. "Das bringt eine höhere Effizienz. Wie sich das auf die Beschäftigung auswirkt, hängt vor allem davon ab, ob die Nachfrage insgesamt gestärkt wird." Die Sorge, dass sich die Arbeitsbedingungen in Deutschland durch ein transatlantisches Abkommen verschlechtern könnten, sei berechtigt. Beschäftigte in der USA haben weniger Rechte und verdienen weniger. "Der Arbeitsmarkt ist ein Knackpunkt in den Verhandlungen."

Die Bereitschaft zu Kompromissen auf US-Seite wird nach seiner Einschätzung nicht groß sein. Der aktuelle Fall des VW-Konzerns zeigt für ihn, wohin die Reise geht. VW will im US-Werk in Chattanooga eine Mitbestimmung nach deutschem Vorbild einführen. Doch ein solches Betriebsrätesystem lehnen die Amerikaner ab. Unwahrscheinlich auch, dass die US-Seite bessere Arbeitsbedingungen bei einem Freihandelsabkommen akzeptiert. "Das könnte sogar zu Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führen - und nicht wie versprochen zu neuen Stellen", warnt Scherrer. Deutsche Firmen bekämen einen Anreiz, in die USA abzuwandern.

Auch das Bildungssystem steht vor einem Wandel. "Universitäten werden in Deutschland staatlich finanziert. Fällt dieser Bereich unter das Freihandelsabkommen, dann dürfen Anbieter aus dem Ausland hier private Universitäten eröffnen. Und sie können eine Umstrukturierung des ganzen Systems fordern", sagt Scherrer. US-Anbieter könnten sich dann in einem Bieterverfahren um staatliches Geld bemühen. Vorstellbar wäre, dass Studierende einen Gutschein bekommen, mit dem sie sich an einer privaten oder staatlichen Universität einschreiben können.

Die Erfahrungen mit anderen Freihandelsabkommen der USA wecken bei Scherrer Zweifel. "Auch beim Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko gab es vorher Studien, in denen ein deutlicher Zuwachs bei Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum in Aussicht gestellt wurden. Doch die Prognosen haben sich so nicht für erfüllt", stellt der Handelsexperte fest. Zwar hat das Handelsvolumen in der Zone zugenommen. Doch es gibt nicht nur Gewinner. "Eigentlich sollten mexikanische Kleinbauern von dem Abkommen profitieren und die Abwanderung in die USA gestoppt werden. Eingetreten ist das Gegenteil. Die Landflucht in Mexiko hat sich beschleunigt und die Armut zugenommen."

Kanada bekommt die negativen Seiten ebenfalls zu spüren. Amerikanische Firmen machen von ihrem Klagerecht gegen das Nachbarland Gebrauch. Die US-Firma Lone Pine verlangt vom kanadischen Staat Entschädigung von 250 Millionen Dollar für den zu erwartenden Gewinnausfall wegen des Moratoriums für Fracking von Schiefergas und Öl. Zahlen müssen diese Rechnung die kanadischen Steuerzahler.

Scherrer stellt die Aussagekraft der Prognosen von EU-Kommission und Ifo -Institut aber noch aus einem anderen Grund infrage: "Sie übersehen, dass die USA gleichzeitig ein Freihandelsabkommen für den pazifischen Raum anstreben. Und es gibt noch das gerade unterzeichnete Abkommen der EU mit Kanada." Amerika wolle nach allen Seiten die Handelsbarrieren senken. "Wenn das geschieht, hat das Auswirkungen für die EU, die nicht zwangsläufig positiv sind." Diese Zweigleisigkeit in den Verhandlungen gebe den USA außerdem ein wichtiges Druckmittel in die Hand. "Die Amerikaner können sagen, liebe Europäer, wenn ihr das nicht mit uns so macht, machen wir das eben mit den anderen."

Scherrer fordert von der EU-Kommission mehr demokratische Transparenz. "Bei einem Vorhaben solcher Größenordnung müssen die Parlamente frühzeitig involviert und informiert werden. Aber das geschieht derzeit nicht", kritisiert er. Fehleinschätzungen könnten fatale Folgen haben. "Aus einem Abkommen kommt man schlecht wieder raus, weil es immer Profiteure gibt, die daran festhalten wollen." Eine Handelsunion zwischen den USA und Europa würde vermutlich auch das endgültige Aus für ein Welthandelsabkommen bedeuten. "Dabei wäre es viel wichtiger, Regeln für alle zu finden, und nicht nur für die größten Handelsblöcke."

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