Tierschutz:Kükenschreddern - Symptom eines ethisch kranken Systems

Chicken And Egg Production At Poultry Farm Operated By ZAO Agrosila Group

Wenn Küken sortiert werden, fallen die männlichen raus. Ihre Aufzucht ist nicht wirtschaftlich.

(Foto: Bloomberg)

Es widerspricht jeder Intuition, dass das millionenfache Kükentöten erlaubt bleibt. Das Tierwohl zählt kaum mehr - schuld daran sind vor allem die Konsumenten.

Kommentar von Jan Heidtmann

Es ist ein Urteil wider die Intuition. Weil es intuitiv nicht Ordnung sein kann, dass Leben, kaum geboren, abgetötet wird. Doch Jahr für Jahr werden in Deutschland schätzungsweise 50 Millionen männliche Küken getötet. Sie werden keine Eier legen, ihr Fleisch wird keinen Profit bringen, sie sind unnütz. Die Regierung von Nordrhein-Westfalen wollte diese Praxis verbieten, doch die Landwirte haben dagegen geklagt. Nun hat das Oberverwaltungsgericht Münster den Brütern Recht gegeben - das Kükentöten kann weitergehen.

Der Rechtsstreit ist nur ein Verfahren in einem seit Jahren währenden politischen und juristischen Streit. Es geht um die Frage, ob die wirtschaftlichen Interessen der Brütereien ein "vernünftiger Grund" sind. Im Tierschutzgesetz heißt es, nur dann darf ein Tier ungestraft getötet werden. Bislang haben fast alle Gerichte so geurteilt. Sie bestätigen damit juristisch ein System, das ethisch krank ist. Bei der Produktion von Eiern und Hühnerfleisch ist es inzwischen so weit, dass Effizienz alles ist und das Tierwohl kaum noch etwas zählt.

Das haben offenbar auch die Richter in Münster erkannt. Sie betonten, dass sie nur darüber urteilen konnten, ob die Praxis des Kükentötens im Falle der beiden Brütereien, die geklagt hatten, rechtens sei. "Nur diese Frage gilt es für uns heute zu bewerten", sagte der Vorsitzende Richter Franz Oestreich fast entschuldigend. Ein Urteil darüber, ob die Praxis des Kükentötens noch von der Gesellschaft getragen werde, sei der Richterspruch nicht.

Nun sind die Verbraucher gefragt

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Das Land Nordrhein-Westfalen wird das Verfahren vermutlich zur nächsten Instanz bringen. Aber auch die Brütereien werden nicht aufgeben. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und Tierwohl hat das Potential, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gelangen. Das hatte 1999 schon einmal in ähnlicher Sache geurteilt. Damals ging es um die Haltung von Hennen in Legebatterien. Die Karlsruher Richter schrieben vor, dass die Tiere mehr Platz bekommen müssen. Doch dieser Weg ist langwierig, die Klage zu den Legebatterien war 1990 eingereicht worden - geurteilt wurde neun Jahre später.

Wenn es schneller gehen soll, dann ist jeder selbst gefragt. Denn wer ist letztendlich verantwortlich für die Produktion von billigsten Eiern und billigstem Hühnerfleisch? Die Gerichte, die Politik, die Hühnerindustrie? Als das Bundesverfassungsgericht 1999 zu den Legebatterien urteilte, stellte der damalige bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller lapidar fest: "80 Prozent der Verbraucher sind gegen die Käfighaltung, aber 80 Prozent der Verbraucher kaufen Eier aus Käfighaltung." Leicht abgewandelt gilt diese Einschätzung noch heute.

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