Textilindustrie:Kik muss wegen Brand in pakistanischer Fabrik vor Gericht

Textilindustrie: Aufnahmen vom September 2012: Angehörige der Opfer (l.), Feuerwehreinsatz an der Fabrik (r.).

Aufnahmen vom September 2012: Angehörige der Opfer (l.), Feuerwehreinsatz an der Fabrik (r.).

(Foto: Rehan Khan/dpa)

Es ist einzigartiger Prozess: Vier Opfer aus Pakistan verklagen den Textildiscounter Kik. Nun haben sie einen ersten juristischen Sieg errungen.

Von Caspar Dohmen

Im September 2012 brannte in Karatschi die Textilfabrik Ali Enterprises. 259 Menschen kamen bei dem Inferno ums Leben, eine weitere Arbeiterin starb später an den Folgen des Brandes. In der Ruine fanden Angehörige und Hilfskräfte Jeans mit dem Label des deutschen Textildiscounters Kik. Mal wieder eine Brandkatastrophe, mal wieder mit Verbindungen zu westlichen Konzernen. Doch dieser Fall könnte Rechtsgeschichte schreiben.

Opfer des Fabrikunglücks und deren Angehörige haben sich zu einer Vereinigung zusammengeschlossen. Sie wählten vier Betroffene aus ihren Reihen aus, die vor einem deutschen Gericht Schmerzensgeld von Kik einklagen wollen, jeweils 30 000 Euro. Zuständig ist das Landgericht Dortmund. Die Kammer gewährt den pakistanischen Klägern nun Prozesskostenhilfe. Sie bekommen also Geld, um das Verfahren im teuren Deutschland bezahlen zu können.

Diese Entscheidung erlaubt den Klägern, juristisches Neuland zu betreten. Das Landgericht Dortmund wird nach pakistanischen Gesetzen klären müssen, ob Kik menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verletzt hat. So sieht es die entsprechende EU-Verordnung vor (PDF). Pakistanische Gesetze basieren weitgehend auf britischem Recht. Das kennt wesentlich höhere Schadenersatzforderungen als das deutsche Zivilrecht. Zur Klärung der Rechtslage kündigte die 7. Zivilkammer des Dortmunder Gerichts nun an, ein eigenes Rechtsgutachten einzuholen.

Sollten die Kläger aus Pakistan gegen Kik gewinnen, könnte das für viele Konzerne, die in fernen Ländern arbeiten lassen, wegweisend sein. "Vor der Klage-Keule haben Unternehmen Angst. Durch solche Klagen üben Nichtregierungsorganisationen entscheidenden Druck auf Unternehmen aus", sagt Frank Achilles, Arbeitsrechtler bei der Kanzlei Eversheds. Das Thema könnte viele Firmen betreffen, zeigt eine Umfrage der Kanzlei, an der 250 Konzerne aus 34 Ländern mitgemacht haben. 43 Prozent der Mitarbeiter bescheinigten darin ihren eigenen Führungskräften ein mangelhaftes Engagement für Menschenrechte.

Das Gericht begründete die Entscheidung für die Prozesskostenhilfe so: "Sie war nach Ansicht der Kammer zu bewilligen, weil für die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte Schadenersatz leisten muss, pakistanisches Recht anzuwenden ist." Allerdings betont das Gericht: "Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat im vorliegenden Fall keinerlei Präjudiz für das Hauptsacheverfahren."

Trotzdem dürften die Kläger die Entscheidung als Bestätigung ihrer Sache sehen. Denn zur Gewährung von Prozesskostenbeihilfe schreibt der Gesetzgeber in der Zivilprozessordnung vor, dass die Beihilfe nur gewährt wird, wenn es eine "hinreichende Aussicht auf Erfolg" gibt und die Entscheidung "nicht mutwillig" geschehe. Gewöhnlich bescheinigen Richter bedürftigen Klägern bei der Gewährung der Beihilfe also, dass ihre Klage nicht aussichtslos ist. In besonders schwierigen Fällen wie diesem können die Richter jedoch Prozesskostenbeihilfe bewilligen, ohne bereits eine Einschätzung der Erfolgsaussichten vorzunehmen. "Davon haben sie Gebrauch gemacht", sagte der Sprecher des Landgerichts.

Die Klägerseite reagierte erleichtert. "Diese Entscheidung ist der erste Schritt, damit ein Fall von Menschenrechtsverletzung durch deutsche Unternehmen im Ausland auch vor einem deutschen Gericht verhandelt wird", teilt das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) mit. Sie unterstützt die Kläger. "Die Leidtragenden der globalen Textilindustrie fordern Gerechtigkeit. Die Profiteure dieses ungerechten Systems können in Deutschland jetzt erstmals rechtlich zur Verantwortung gezogen werden", sagte ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck.

Es gibt viele Fragen: Fehlten etwa Notausgänge und Feuerlöscher?

Auch Kik sieht die Klärung des Sachverhalts durch ein deutsches Gericht positiv. "Wir begrüßen es, wenn dieser hochkomplexe Vorgang einer grundlegenden juristischen Prüfung unterzogen wird", sagte Ansgar Lohmann, bei Kik zuständig für Unternehmensverantwortung.

Vor Gericht sollen viele Fragen geklärt werden. Waren die Feuerschutzregeln bei Ali Enterprises unzureichend, fehlten Notausgänge und Feuerlöscher? Und falls ja: Trifft Kik als Auftraggeber eine Mitschuld? Die Modefirma hat den Zulieferer zeitweise zu 75 Prozent ausgelastet, was die Kläger mit einer Scheinselbständigkeit bei Arbeitnehmern vergleichen. Sie sehen den Auftraggeber in einer besonderen Verantwortung, weil er faktisch über die Arbeitsbedingungen mitentschieden hat. Kik sieht dies anders und streitet jede Haftungsmöglichkeit ab.

Auch Rechtsexperten schauen gespannt auf den Fall. "Bisher wollte noch niemand vor einem deutschen Gericht klären, ob ein hiesiges Unternehmen für die Arbeitsbedingungen bei einem Zulieferer im Ausland haftet", sagt die Zivilrechtlerin Eva Kocher von der Europa-Universität Viadrina. Es sei wichtig, eine solche Fragestellung endlich vor einem Gericht zu erörtern, statt nur in Expertenzirkeln.

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