Talente: Heike Wiegmann (20):Die Sekundenfrau

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Sie kämpft gegen das Klischee: Heike Wiegmann bringt die Callcenter beim Erstversicherer Ergo auf Vordermann - die Berater sollen vor allem helfen, nicht verkaufen.

Caspar Dohmen

Für die Führungskräfte um Ergo-Chef Torsten Oletzky ist die Motivation der Beschäftigten in diesen Monaten ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Schließlich hat die Erstversicherungstochter der Münchener Rück eben erst ein umfassendes Sparprogramm aufgelegt: Bis zum Jahr 2010 sollen knapp 2000 der 29.000 Stellen wegfallen. Zur Ergo gehören der Krankenversicherer DKV ebenso wie die Victoria, Hamburg-Mannheimer und der Rechtsschutzversicherer DAS. Immer wieder gibt es Stimmen am Kapitalmarkt, die sogar eine Trennung von Erst- und Rückversicherungsgeschäft bei der Münchener Rück fordern.

Klischees über Callcenter gibt es viele. Heike Wiegmann stört schon der Name. (Foto: Foto: dpa)

Motivation trotz fehlender Entwarnung

"Sicher verunsichern einen diese Diskussionen", sagt Heike Wiegmann, die sich bis auf die zweite Ebene des Konzerns hochgearbeitet hat. Zur großen Firmenpolitik will sich die Managerin nicht äußern, sie will lieber die 750 Mitarbeiter motivieren, die sie als Leiterin des Kundenservice-Centers führt. Allerdings kann Wiegmann noch keine Entwarnung für ihre Mannschaft in puncto Stellenabbau geben.

Ein großes Umziehen in den Callcentern gab es schon Anfang 2006, damals wurden Mitarbeiter aus Leipzig nach Berlin versetzt, aus Nürnberg nach München. Was zuletzt Quelle und nun die Telekom in großem Stil mit ihren Callcenter-Mitarbeitern praktizierte, machte die Ergo schon damals. Damit soll die Wirtschaftlichkeit erhöht werden - die man hier in Sekunden messen kann.

"Wenn sie eine Sekunde bei jedem unserer 6,5 Millionen jährlichen Gespräche sparen, dann ist das schon ein ordentlicher Effizienzgewinn", sagt die 43-Jährige. In Callcentern sei dies vor allem eine Frage der technologischen Entwicklung, beispielsweise der Einführung von neuer Telefontechnologie auf Internetbasis. Die Managerin ist über den Zustand in ihrem Bereich ganz zufrieden. "Wir sind günstiger als externe Dienstleiter", sagt Wiegmann entspannt. Aber klar, man könne immer zehn bis 15 Prozent wirtschaftlicher arbeiten.

Wiegmann führt eine qualifizierte Truppe, über 90 Prozent ihrer Mitarbeiter sind Versicherungskaufmann. Niemand erhält hier einen Dumpinglohn, alle arbeiten für ein Tarifgehalt. Außerdem werden die Mitarbeiter in der Regel von den Kunden angerufen, die ein Problem haben. Jeder könne maximal zehn Prozent durch die Vermittlung von Versicherungen hinzuverdienen.

Unterschied zwischen Beratern und Verkäufern

Eine höhere Provision zu zahlen, sei nicht sinnvoll: "Die Mitarbeiter hier sollen unseren Kunden vor allem bei Problemen helfen, beispielsweise im Krankheitsfall oder bei einem Autounfall. Wenn wir merken, dass jemand gut verkaufen kann, dann entwickeln wir ihn zum Verkäufer", sagt Wiegmann. Andere Versicherer haben allerdings längst Tochtergesellschaften gegründet für die Callcenter, um ihren Beschäftigten weniger zahlen zu müssen.

Die Managerin ist viel unterwegs von der Firmenzentrale in Düsseldorf zu den bundesweit sechs Standorten der Callcenter, unter anderem in Köln, Hamburg, Berlin und München. Am liebsten fährt sie selbst mit dem Auto, "bei Musik kann ich gut nachdenken". Zwischendurch ruft sie dann ihre Sekretärin an, gibt einige Anweisungen durch. So wie an diesem Montag, es ist Stau zwischen Köln und Düsseldorf, einige Termine müssen verschoben werden. Entscheidend sei, dass sie irgendwann Zeit für das Mittagessen habe, sagt sie und lacht, sonst werde sie unleidlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wiegmann über Karaoke-Songs vor Kollegen und firmeninterne Fußballturniere

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Führen, darunter versteht Wiegmann, sich über das normale Maß hinaus in das Unternehmen einzubringen und Vorbild zu sein. Und so stand sie als erste auf der Bühne, als es bei einer internen Fortbildungsveranstaltung zur Stärkung des Teamgeists darum ging, einen Karaoke-Song vor den Kollegen zu singen. Sie spielte selbstverständlich auch beim firmeninternen Fußballturnier mit - beim 1. FC Last Call. Ihre Kollegen haben sie im Mittelfeld aufgestellt, weil sie regelmäßig läuft.

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Wenig kann Wiegmann mit den gängigen Klischees über Callcenter anfangen, schon der Name stört sie ganz gewaltig. Sicher sei es schwierig, Mitarbeiter für die Arbeit in einem Callcenter zu begeistern, ganz anders sei es schon, wenn man von einem Kundenservice-Center spreche, sagt sie. Folglich beobachtet sie mit Freude einen Imagewandel der Tätigkeit bei den Beschäftigten, viele Auszubildende würden als späteren Wunscharbeitsplatz mittlerweile das Callcenter angeben. Dies war früher anders, da empfanden viele die Versetzung in ein Callcenter eher als Degradierung.

Anders als in vielen anderen Callcentern hat bei Ergo noch jeder Mitarbeiter seinen eigenen Arbeitsplatz. Da hängen Lebkuchenherzen von der Kirmes, die Flagge von Borussia Mönchengladbach oder die Poster der Formel 1. "Die Menschen müssen Spaß haben, dann springt der Funke auch auf die Kunden über", sagt Wiegmann während sie durch das Kölner Callcenter geht. Es liegt in der zweiten Etage der Deutschen Krankenversicherung an der Aachener Straße. Es ist ein Großraumbüro mit vielen Stellwänden. An Montagen ist es besonders hektisch. "Am Wochenende schauen viele Kunden ihre Papiere durch, rufen dann am Montag an", sagt sie.

In zweierlei Hinsicht eine bemerkenswerte Karriere

Wiegmann hat in ihrem Studium als Werksstudentin bei VW in Wolfsburg Kabelstränge in Autos verlegt. "Das war eine interessante Erfahrung, die Menschen waren stolz, 25 Jahre für VW zu arbeiten", sagt Wiegmann, die bei VW allerdings keinen Job bekommen hat. Ihr habe das Netzwerk gefehlt. Mittlerweile hat sie sich bei Ergo ihr eigenes geschaffen. Sie kenne sicher 2000 bis 3000 Leute im Unternehmen - und man glaubt es ihr sogar, wenn sie durch die Abteilung geht und die Leute mit Namen anspricht.

Sollte sie eines Tages den Sprung in den Vorstand bei Ergo schaffen, würde dies nicht verwundern. Schließlich hat die Kauffrau schon in zweierlei Hinsicht eine bemerkenswerte Karriere hinter sich: Sie hat den Sprung in die von Männern dominierte Führungsetage eines Versicherers geschafft, sie ist im Konzern eine anerkannte Expertin für die IT-Systeme. So hat sie eine zentrale Rolle bei der Umstellung auf eine einheitliche Software innegehabt. Stets hat sie sich Rat geholt für die Karriere. Noch heute trifft Wiegmann sich ab und an mit dem Coach, der ihr bei ihrer Karriere geholfen hat. Mittlerweile gibt sie ihre Führungserfahrung als Mentorin selbst weiter.

© SZ vom 15.9.2008/kim/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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