Studie:Flüchtlinge als Wirtschaftsmotor

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Zuwanderer helfen der Konjunktur - weil sie öffentliches Geld ausgeben. Das beschreiben die Wirtschaftsforscher des DIW-Instituts in einer aktuellen Studie.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Wenn dieses Jahr zu Ende geht, werden voraussichtlich 800 000 Menschen nach Deutschland gekommen sein. Zuwanderer, die Lebensmittel kaufen und zum Friseur gehen. Die Kleidung brauchen und Decken, Möbel und Mietwohnungen. Flüchtlinge bringen nicht viel mit, aber sie bekommen Geld vom Staat und werden es ausgeben - für deutsche Produkte. Die "konsumnahen Unternehmen" werden am meisten von Flüchtlingen profitieren, sagt Ferdinand Fichtner, der die Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) leitet. Auch Vermieter und Gastronomen verdienten an ihnen, sagt er, vor allem dann, wenn sie eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Das DIW schätzt in seiner aktuellen Konjunkturprognose, dass Bund, Länder und Kommunen im kommenden Jahr insgesamt 9,2 Milliarden Euro in die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen investieren werden. Ein Teil dieses Betrags fließe in Personalausgaben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder bei der Bundespolizei, aber die Summe werde sich auch auf die Privatwirtschaft und damit auf das Bruttosozialprodukt (BIP) auswirken. 0,2 Prozentpunkte Anstieg werde das BIP Flüchtlingen zu verdanken haben, sagt das Institut voraus. Die Forscher prognostizieren insgesamt einen BIP-Steigerung um 1,8 Prozent in diesem Jahr und um 1,9 Prozent im Jahr 2016.

Nicht nur deshalb könne sich die deutsche Wirtschaft über die Migrationsbewegung freuen, sagt DIW-Leiter Marcel Fratzscher. Sein Institut schätzt, das dem Arbeitsmarkt in diesem Jahr zusätzlich 47 000 erwerbstätige Flüchtlinge zur Verfügung stehen werden. In den kommenden zwei Jahren seien es jeweils etwa 120 000. Zusammen mit den Zuwanderern aus den europäischen Nachbarstaaten glichen sie den demografischen Wandel aus.

Allerdings seien Flüchtlinge schwerer einzubinden als Europäer, sagt Fratzscher: "Wie gelingt es, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren?" Aus Kriegsgebieten kämen sie teilweise schlecht ausgebildet nach Deutschland, viele von ihnen seien sehr jung.

Um die Flüchtlinge bei der Integration zu unterstützen, wäre aber genug Geld da: Die deutsche Wirtschaft ist laut DIW stabil, die Arbeitslosenquote mit 6,4 Prozent so niedrig wie selten, und die Steuereinnahmen sprudeln. Trotz der Belastung der öffentlichen Kassen durch die aktuelle Krise hat die Bundesrepublik in diesem Jahr einen Überschuss von 18,5 Milliarden Euro. 2016 werde dieser Betrag weiter steigen, auf 20 Milliarden Euro. "Wir haben in den öffentlichen Finanzen die Spielräume, um mit den Herausforderungen umzugehen", sagt Marcel Fratzscher.

Schließlich plädiert der DIW-Chef schon lange für mehr Investitionen. "Das deutsche Wachstum ist zu einseitig", sagt er. Es beruhe "zu sehr auf Konsumnachfrage", und die Exportstärke Deutschlands sei mit Blick auf die europäischen Nachbarn "extrem hoch". Deutschland müsse seine Exporteinnahmen auch wieder ausgeben, um hier einen Ausgleich zu schaffen. Das DIW kritisiert zudem, dass viele Strukturreformen noch nicht umgesetzt wurden und zentrale Probleme im Bankensektor ungelöst sind. Die Wissenschaftler raten aber davon ab, vereinbarte Schuldenbremsen wegen der aktuellen Flüchtlingssituation aufzuweichen.

Etwa ein Drittel der Asylbewerber, die nach Deutschland einreisen, bekommen eine Aufenthaltserlaubnis. 2015 werden das laut DIW etwa 80 000 Menschen sein. Im kommenden Jahr würden 210 000 Flüchtlinge dauerhaft in die Bundesrepublik ziehen.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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