Steuerhinterziehung:Konfuse Kontrolleure

Lesezeit: 2 min

Die EU versagt im Kampf gegen den Mehrwertsteuer-Betrug. 168 Milliarden Euro wanderten 2013 in die Taschen von Steuerhinterziehern. Das für den Kampf gegen den Betrug ersonnene System weist laut Rechnungshof große Schwächen auf.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die Lücke liegt in Malta bei 26,4 Prozent, in Rumänien bei 41,1 Prozent, in Griechenland bei 34 Prozent und in Deutschland bei 11,2 Prozent. Die Lücke umfasst die Differenz zwischen den Einnahmen, die der jeweilige Staat aus der Mehrwertsteuer erzielen könnte, und den Einnahmen, die er tatsächlich erzielt. Die Lücke ist das Maß für eine gigantische Diebstahls-Maschinerie in Europa, den Mehrwertsteuer-Betrug. Insgesamt wurden die von der Kommission untersuchten 26 europäischen Staaten 2013 um fast 168 Milliarden Euro geprellt. Das ist in etwa so viel wie die beiden größten Etats im Bundeshaushalt, das Arbeits- und das Verteidigungsministerium im kommenden Jahr zusammen ausgeben werden.

Der Betrug ist in der Regel grenzüberschreitend und auch deshalb so schwierig zu verfolgen. Die Betrüger agieren über sogenannte Karussellgeschäfte. Grob gesprochen nutzen sie dabei die Schwächen im Umsatzsteuersystem der EU aus. Sie verkaufen importierte Waren, auf die keine Umsatzsteuer anfällt, an Scheinfirmen weiter. Den dabei zu zahlenden Umsatzsteuerbetrag behalten sie, statt ihn wie vorgeschrieben an den Staat abzuführen. Anschließend tauchen sie unter.

Die Staaten versuchen nun schon seit Jahren, das Problem in den Griff zu kriegen. Umsonst. Die Lücke wird nicht kleiner. Sie bleibt bestenfalls gleich groß. Nach einer Untersuchung des deutschen, des ungarischen und des österreichischen Rechnungshofes ist das kein Wunder. Denn das zum Kampf gegen den Mehrwertsteuer-Betrug eingerichtete System Eurofisc verfehlt seine Wirkung. Ziel von Eurofisc ist es eigentlich, die Staaten über verdächtige Fälle und dubiose Firmen zu informieren und die Behörden somit auf die Spuren der Betrüger zu bringen. Doch daran scheitert es nach dem Bericht der Rechnungshöfe.

So stellten die Prüfer fest, dass die Informationen je nach Arbeitsbereich und Koordinator unterschiedlich dargestellt wurden. Ja, sogar die Jahresberichte unterschieden sich in Form und Inhalt von Jahr zu Jahr, weshalb ein direkter Vergleich schlichtweg nicht möglich sei. Schwerer noch, so die Rechnungshöfe, wiege aber der Umstand, dass auch die Daten selbst "nicht vergleichbar und schwer verständlich" waren.

Zudem fehle es bei Eurofisc an Transparenz und Klarheit darüber, nach welchen Kriterien die einzelnen Staaten Unternehmen als dubios einstuften, argumentieren die Prüfer. So wurden beispielsweise für eine einzige Firma innerhalb von drei Jahren beinahe 11 000 Warnhinweise bei Eurofisc gesammelt. Der vor dem möglichen Betrug gewarnte Mitgliedstaat stufte das Unternehmen hingegen als "nicht dubios" ein.

Wenn sich die Staaten überhaupt zurückmeldeten. Laut Prüfbericht gab es etwa im Zusammenhang mit auffällig gewordenen Zollverfahren nur in einem Drittel der gemeldeten Fälle eine Rückmeldung des betroffenen Staates.

Mitunter wussten die Staaten gar nicht, wie gefährlich die Unternehmen einzuschätzen waren. Das lag daran, dass manche von ihnen einfach von den vereinbarten neun unterschiedlichen Einstufungen abwichen und sich unabgesprochen neue Kategorien ausdachten. Was eigentlich kein Wunder ist. Denn man hatte die vereinbarte Einstufung zwar beschlossen, anschließend aber vergessen, sie offiziell bekannt zu geben.

Die aus diesen Einträgen resultierenden Datensätze sind nach Aussagen der drei Rechnungshöfe nur sehr schwer vergleichbar und damit auch schwer nachzuverfolgen. Hinzu kommen gravierende Probleme bei der IT-Ausstattung. So verwendeten zwar alle Länder für ihre Aufstellungen Excel-Tabellen, allerdings in unterschiedlichen Versionen, weshalb das System extrem fehleranfällig geworden sei. Hunderte unterschiedliche Excel-Tabellen ließen sich zudem nur sehr mühsam und von Hand vergleichen, denn eine gemeinsame Datenbank mit Analyse- und Auswertungsinstrumenten steht bislang nicht zur Verfügung.

Aber auch die internen Abläufe bei Eurofisc sind offenbar nur schwer nachzuvollziehen. Zwar sind Protokolle jeder einzelnen Sitzung vorgesehen. Es fehlt aber an Vorgaben, wie und bis wann diese Protokolle zu erstellen sind. Teilweise gab es nur Präsentationsunterlagen. Mitgliedsstaaten, die nicht an den Sitzungen teilnahmen, wussten deshalb auch nichts über die Beschlüsse.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: