Steigende Zahl von Firmenübernahmen:Neues Jagdfieber

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Heinz, Dell und American Airlines sind nur Beispiele: Finanzkrise und Euro-Panik sind überstanden, nun wissen viele Investoren nicht mehr, wohin mit all dem Geld. Niedrige Zinsen und neuer Mut zum Risiko treiben den Übernahmemarkt an. In den USA geht es los - schwappt jetzt die Welle nach Europa? Mit interaktiver Grafik.

Von Moritz Koch, New York und Markus Zydra, Frankfurt

Risiko ist wieder in Mode, und es geht Schlag auf Schlag. Die Milliardäre Warren Buffett und Paulo Lemann gönnen sich den Ketchup-Hersteller Heinz. Michael Dell nimmt seinen Computerhersteller Dell von der Börse, und John Malone, ebenfalls milliardenschwer, übernimmt mit seinem Kabelkonzern Liberty Global den britischen Telekommunikationsanbieter Virgin Media. Und das alles in nur wenigen Tagen, in denen sich außerdem American Airlines und US Airways zur weltgrößten Fluggesellschaft zusammenschließen, und der Medienkonzern Comcast alle Anteile am Fernsehanbieter NBC Universal übernimmt.

Die neue Lust am Investieren folgt einer einfachen Frage: Wohin mit all dem Geld? Die 500 führenden US-Unternehmen bunkern Barreserven von mehr als einer Billion Dollar, "trockenes Pulver" heißt das im Jargon der Wall Street. Bricht nun ein neues Jagdfieber aus? Kündigt sich eine Welle von Superfusionen an, vergleichbar mit dem Rausch der Nullerjahre oder dem Boom der New Economy? "Die Sterne stehen günstig", glaubt JP-Morgan-Banker und Buy-Out-Veteran James Lee. Die Zinsen seien niedrig, die Zuversicht kehre zurück - und mit ihr der Drang nach Rendite.

Schwappt die Welle nun auch nach Europa und nach Deutschland? Wird es demnächst zu weiteren Milliardenübernahme kommen? Die Rückkehr der Multimilliardendeals sind zumindest Festtage für all jene, die an Übernahmen verdienen: Banker, Berater und Finanzjuristen. Daten des Finanzdienstleisters Thomson Reuters zufolge wurden seit Jahresbeginn allein in den USA Übernahmen und Fusionen im Wert von fast 160 Milliarden Dollar vereinbart. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum, gut möglich also, dass die lange Durststrecke nun vorüber ist.

China als wichtiger Spieler auf dem Übernahmemarkt

Auch in Deutschland könnte es in diesem Jahr zu einigen Deals kommen, viele Unternehmen haben genug Geld auf der hohen Kante und wollen ihre Geschäftsstrategie rundum erneuern. "Die Energieversorger müssen auf die Energiewende reagieren, und im Automobilbereich besteht an manchen Stellen Konsolidierungsdruck", sagt Nikolaus Reinhuber, Co-Leiter M&A/Corporate bei Baker & McKenzie Deutschland. Demnach könnte beispielsweise der französische Hersteller Peugeot zum Verkauf stehen.

Andere Konzerne richteten sich strategisch neu aus, da seien Zukäufe und Spartenverkäufe denkbar. "Zudem", so Reinhuber, "sitzen viele Beteiligungsgesellschaften auf ihren Firmen, und es gehört zum Geschäft, dass diese Beteiligungen nach einigen Jahren - also jetzt - auch wieder verkauft oder an die Börse gebracht werden, um Mittel freizumachen für neue Investitionen." Ein Beispiel ist der Fernsehkonzern Pro Sieben Sat 1, die Finanzinvestoren Permira und KKR wollen noch in diesem Jahr ihre Aktien verkaufen.

Zu einem immer wichtigeren Spieler auf dem Übernahmemarkt wird auch China, wie etwa der Erwerb der Putzmeister-Gruppe durch Sany Heavy Industries belegt. "Chinesische Investoren werden inzwischen als reife Marktteilnehmer angesehen - da dürfte also auch noch mehr folgen", meint Reinhuber.

Letzter großer Deal 2007

Der weltweite Markt für Fusionen und Übernahmen (M&A) hat in den vergangenen Jahren unter den Auswirkungen der Finanzkrise gelitten. Banken waren zurückhaltend mit Krediten, Unternehmen hatten Angst vor der teuren Expansion. 2012 ist der Sektor zum fünften Mal in Folge geschrumpft. Zu Buche standen weltweit insgesamt rund 65.000 M&A-Transaktionen mit einem Gesamtvolumen in Höhe von 3,14 Billionen Dollar - ein Minus gegenüber dem Vorjahr von 7,4 Prozent, so die Daten des aktuellen Zephyr Annual M&A Report des Wirtschaftsinformationsdiensts Bureau van Dijk. Ein ziemlicher Rückgang: Im Jahr 2007 zählte der Datendienst noch rund 79.000 Transaktionen im Wert von 5,62 Billionen Dollar.

Der letzte ganz große Deal der Private-Equity-Branche datiert vom Sommer 2007. Damals übernahm die Beteiligungsgesellschaft Blackstone die Hotelkette Hilton für 26 Milliarden Dollar. Danach ging kaum noch etwas, jahrelang. Erst verdarb die Finanzkrise in den USA den Investoren die Stimmung, dann brach die Euro-Panik aus.

Jetzt jedoch, so scheint es, haben sich die Märkte beruhigt. Dank Mario Draghi, dem Chef der Europäischen Zentralbank, ist die Furcht vor einem Zusammenbrechen der Euro-Zone zumindest vorerst gebannt. Und dank Ben Bernanke, dem Chef der US-Notenbank, der die Erholung in den USA mit Billigzinsen antreibt - und damit auch das Übernahmefieber.

Hochriskantes Geschäft

In der Theorie klingt alles einfach. Firmen besorgen sich zu niedrigen Zinsen einen Kredit, um die Übernahme zu finanzieren. Liegt die Rendite des Übernahmeziels über dem Zinssatz, dann, so der große Traum, finanziere sich das Geschäft von selbst. Allein, die Realität spricht eine andere Sprache. Je nach Studie gehen bis zu zwei Drittel der Fusionen im Nachgang schief, meist harmonieren die Firmenkulturen nicht miteinander.

Übernahmen sind ein hochriskantes Geschäft. Doch die beteiligten Milliardäre und Großkonzerne müssen die Risiken nicht alleine schultern. Banken sind wieder bereit, Kredite für waghalsige Finanzmanöver zu vergeben. Zumindest in den USA haben die großen Geldinstitute ihre Krise überwunden und hohe Kapitalposter aufgebaut. Das spüren auch die Beteiligungsfirmen. Für sie ist die Lage so günstig wie seit Jahren nicht mehr, und die Hochfinanz schöpft neuen Mut.

Doch Vorsicht. Ein politischer Rückschlag in der Euro-Zone oder in den USA - und sofort ist dieser Optimismus Geschichte.

© SZ vom 19.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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