Staaten und Finanzmärkte:Faule Wette auf die Zukunft

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise wird als Konflikt zwischen Staat und Wirtschaft begriffen. Doch das ist vereinfacht und verlogen. Vielmehr hat eine langjährige Kumpanei die Krise ermöglicht. Beide Seiten verstehen sich prächtig darauf, Kosten der Gegenwart und Problemlösungen in eine vertrauensvoll erwartete Zukunft zu verlagern.

Armin Nassehi

Kapitalismuskritik hat Konjunktur. Aber es war keineswegs nur die Finanzwirtschaft, die mit geradezu hazardmäßigen Risikokalkulationen gearbeitet hat, sondern auch das staatlich-administrative Modell der westlichen Industriestaaten. Beide haben sich mit einer antiökonomischen Zukunftsvorstellung ausgestattet: Sie haben stets darauf vertraut, dass die Zukunft die Probleme der Gegenwart wird lösen können. Die großen ideologischen Zukunftsentwürfe und Utopien sind zwar weitgehend verschwunden, unter der Hand hat sich aber die Utopie gehalten, dass das Heil in der Zukunft liegt.

Armin Nassehi, 2009

Armin Nassehi, 51, ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Daneben arbeitet er als Redner und Berater für Unternehmen und Kultureinrichtungen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Zukunft wurde nun eine technische Größe. Das westliche Modell von Wirtschaft und Politik ist ein Modell, das sowohl seine Kosten als auch seine Problemlösungen in eine zwar unbekannt bleibende, aber vertrauensvoll erwartete Zukunft ausgelagert hatte. Es ist ein auf Kredit aufbauendes Modell - auf Kredit im buchstäblichen Sinne. Es hat die Kosten der Gegenwart in eine Zukunft ausgelagert, die allerdings keine Zukunft ist, sondern nur eine Zukunftsvorstellung. Denn das Bezugsproblem allen Handelns liegt in der Gegenwart.

Politisch hat man über Jahrzehnte über die eigenen Verhältnisse gelebt, weil nur so das grundlegende Bezugsproblem der Legitimation eigener Entscheidungen gelöst werden konnte. Letztlich hat sich das westliche Staatsmodell die Stabilität seines fragilen Machtkreislaufs in liberalen Gesellschaften durch Transferzahlungen und das Bedienen von Gruppeninteressen erkauft, in der Hoffnung, dass diese Transfers sich von selbst überflüssig machen werden - in der Zukunft. Tatsächlich aber hat man sich an jene gegenwärtigen Plausibilitäten gewöhnt, die die Kosten stets in die Zukunft auslagern konnten.

Die exorbitanten Staatsverschuldungen weisen ökonomisch und politisch ja nur darauf hin, dass diesem Modell die materielle und politische Basis fehlt. Für die materielle Basis hat man sich auf dem Markt bedient, die politische Basis dagegen wurde damit geschaffen, was der Markt hergegeben hat. Dabei wurden immer größere Schulden angehäuft, und das nicht nur im ökonomischen Sinne. Es waren letztlich Hypotheken auf ein Versprechen, das stets ein Versprechen bleiben musste. Was in den 80er Jahren etwa von Jürgen Habermas als das Erkalten der utopischen Energien des Wohlfahrtsstaates diskutiert wurde, war letztlich der Verzicht auf Politik zugunsten der Auslagerung politischer Entscheidungen in eine heilende Zukunft durch Transfer- und Versorgungszahlungen.

Auseinandersetzungen über die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise werden dennoch der Einfachheit halber als Konflikt zwischen Staat und Wirtschaft begriffen, ganz nach dem alten Modell der Kapitalismuskritik. Diese Opposition freilich ist so vereinfacht wie verlogen - von beiden Seiten. Denn was die derzeitige Krise ermöglicht hat, ist letztlich eine langjährige Kumpanei zwischen Finanzwirtschaft und Politik. Die staatstragenden Kräfte in diesem Spiel waren nicht so sehr die Wähler, nicht einmal die Bezieher geringer Einkommen, die besonders auf direkte und indirekte Tansferleistungen angewiesen sind. Besonders blind haben die Finanzmärkte an den Staat geglaubt. Staaten galten als krisenfeste ökonomische Akteure, obwohl sie keinerlei Wertschöpfung betreiben können. Staaten galten als Garanten für Vertragssicherheit, weil sie sich letztlich durch ihre Schulden- und Geldpolitik selbst kontrollieren konnten.

Staaten waren letztlich Garanten für jene unbekannt bleibende Zukunft, die für Märkte konstitutiv ist. Die Finanzwirtschaft hat die Staaten über Jahrzehnte bedient, und paradoxerweise war der einzige ökonomische Garant dafür der Geldbedarf der Staaten selbst. Wenn also heute die Finanzwirtschaft die Schuldenpolitik der Staaten kritisiert, ist das so, als würden die Hersteller von Zigarretten das riskante Gesundheitsverhalten von Rauchern beklagen.

Völlig von der Realwirtschaft abgekoppelt

Wie sehr hat man sich vor wenigen Jahren lächerlich gemacht, wenn man Renditen jenseits aller realwirtschaftlichen Plausibilität für problematisch hielt! Man war Zauderer, nicht risikobereit, ein Bremser auf dem Weg zum Wohlstand. Man handelte mit ungedeckten futures, mit Anleihen auf in der Zukunft zu lösende Probleme. Was zunächst nichts anderes ist als ein Instrument zur Vorwegnahme von Marktchancen, wurde zum Selbstzweck. Parallel dazu wandelte sich die staatliche Schuldenpolitik von einem Instrument zur Vorwegnahme politischer Handlungsfähigkeit zum eigentlichen politischen Instrument.

Auch hier bestand ein geradezu naiver Glaube an die heilenden Kräfte der Zukunft. Man handelte hier mit politischen Futures, also mit politischen Anleihen auf noch nicht gelöste politische Probleme, die von der realen gesellschaftlichen Entwicklung ebenso wenig gedeckt waren wie manche Finanzstrategien, deren Futures sich letztlich nur in der Gegenwart ihrer Markteinführung bewährt haben und sich von der Realwirtschaft völlig abgekoppelt haben.

Selbstverständlich ist eine moderne Wirtschaft ohne Schulden und Kredit unmöglich, ebenso wie Staaten ihren Mittelbedarf flexibel halten müssen. Es wäre naiv, das zu kritisieren. Die Kumpanei von Finanzwirtschaft und Staaten besteht vielmehr darin, dass sie sich eine Scheinstabilität verschafft haben. Die staatliche Schuldenpolitik und die Verschuldung privater Haushalte (vor allem in den USA) wurde dadurch geheilt, dass das Risiko auf den Finanzmarkt verschoben wurde. Und die Finanzmärkte haben auf Staaten gewettet, die an ihrem Tropf hingen. Gemeinsam ist beiden, dass sie ihren jeweiligen Zukünften wechselseitig vertraut haben. Sie sind feindliche Brüder vom gleichen Stamm.

Lösungen lassen sich deshalb nicht dadurch finden, dass man, je nach politischem Geschmack, der einen oder der anderen Seite mehr Kompetenz unterstellt. Es geht vielmehr um ein neues Zukunftskonzept, das weiß, dass die Zukunft stets unbekannt bleiben wird. Damit ökonomisch und politisch umzugehen, gewissermaßen mit einer Entzauberung der Zukunft, werden politische und ökonomische Eliten lernen müssen - übrigens nicht aus moralischen oder Gemeinwohlgründen, sondern aus schlichten unternehmerischen Interessen und zur Wiederherstellung politischer Handlungsfähigkeit.

Womöglich sind unsere Zukunftsprobleme ernster, als es auf den ersten Blick aussieht.

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