Spanien:Betreiber pleite, Bürger zahlt

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Die kostenpflichtigen Autobahnen in Madrid meiden die Spanier, dafür sind andere Straßen überlastet. (Foto: Imago)

Die spanische Regierung muss privatisierte Autobahnen für Milliarden zurückkaufen. Das bezahlen die Steuerzahler - ein weiteres Beispiel für Fehlinvestitionen, Korruption und Fehlplanung.

Von Thomas Urban, Madrid

Eine frohe Botschaft kurz vor Weihnachten war es nicht gerade, als kürzlich das Ministerium für Bau und Verkehr in Madrid eine Pressemitteilung herausgab: Die Betreiber neun mautpflichtiger Autobahnen haben ihre Zahlungsunfähigkeit angekündigt. Der Staat muss sie nun mitsamt ihren Schulden übernehmen.

In Zahlen bedeutet dies, dass die konservative Regierung von Mariano Rajoy bei ohnehin äußerst angespannter Haushaltslage mindestens sechs Milliarden Euro aufbringen muss, sie also an anderer Stelle einsparen muss. Denn eine weitere Kreditaufnahme soll ausgeschlossen bleiben, darauf besteht auch Brüssel, da Madrid im Zeichen der großen Krise während der vergangenen acht Jahre die Defizitregeln ununterbrochen verletzt hat. Experten schätzen die auf die öffentliche Hand zukommenden Kosten allerdings weitaus höher.

Freuen können sich dagegen einige Bauunternehmen, die die Autobahnen nicht nur gebaut, sondern mit Tochterfirmen auch betrieben haben, sowie einige Banken als Kreditgeber. Der Steuerzahler wird die offenen Raten übernehmen, wieder einmal. Damit wird ein weiteres Kapitel in der großen Geschichte der Fehlinvestitionen in spanische Infrastruktur geschrieben, nach all den Provinzflughäfen, -bahnhöfen und einigen Schnellbahnstrecken, die alle zweierlei Dinge gemeinsam haben: Sie sind völlig überdimensioniert oder gar überflüssig, weil es für sie kaum Bedarf gibt. Und sie waren mit gigantischen Korruptionsaffären verbunden.

Den Löwenanteil der zur Verstaatlichung anstehenden Abschnitte machen sechs Autobahnen im Raum Madrid aus, die strahlenförmig auf den Autobahnring um die spanische Hauptstadt zulaufen. Der Rest liegt in Touristikregionen am Mittelmeer.

Betroffen sind 625 der insgesamt 2538 Kilometer mautpflichtiger Strecken in Spanien. Geplant und gebaut wurden sie überwiegend in der Regierungszeit des konservativen Ministerpräsidenten José Maria Aznar (1996 - 2004), dessen einseitig auf Förderung der Bauwirtschaft angelegte grob fahrlässige Wirtschaftspolitik nach dem Motto "Was kostet die Welt" zu der vor knapp neun Jahren geplatzten Immobilienblase geführt hat. Dabei ist allerdings auch der Anteil des auf ihn folgenden sozialistischen Premiers José Luis Zapatero nicht zu unterschätzen, der bis 2011 an der Macht war. Der hatte mit einer nicht minder leichtsinnigen Steuerpolitik unter dem Motto "Zweitwohnung für alle" die Bauwut weiter angefacht.

Es gab Milliarden aus Brüssel, die Kontrolle fehlte, eine Einladung für Bereicherung

Aus den Boom-Zeiten rühren auch die großen Korruptionsskandale bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten, die derzeit mühsam von der Justiz aufgearbeitet werden. Ein Autobahnkilometer kostete damals nach Berechnungen von Experten der Madrider Complutense-Universität doppelt so viel wie in der Bundesrepublik, weil die Rechnungen völlig überhöht waren. Kritiker sehen die tiefere Ursache für den Bauwahn und die damit einhergehenden Finanzskandale in der Ausschüttung von Milliarden aus Brüssel, bei der Grundregeln der Buchführung und Kontrolle missachtet wurden: Dieselben Politiker, die die Projekte genehmigten, hatten über ihre ordnungsgemäße Verwendung zu befinden - eine Einladung zur Preistreiberei, Fälschung und Bereicherung.

Der spanischen Autobahnkrise liegt überdies ein grundsätzlicher Denkfehler der Planer zugrunde: Sie haben doppelt gebaut. Denn in der Region Madrid sowie im Raum Marbella, der ebenfalls von der Krise betroffen ist, ergänzten die mautpflichtigen Strecken schon vorhandene Schnell- und Umgehungsstraßen. Die Experten Aznars waren davon ausgegangen, dass ein Großteil der Autofahrer mehr auf Zeit- denn auf Geldsparen setzt. Denn die bereits vorhandenen parallelen Strecken waren oft überlastet, Staus eine tägliche Erfahrung.

Doch war diese Prämisse grundfalsch: Rasch stellte sich heraus, dass die meisten Fahrer eher Staus in Kauf nahmen, als ein paar Euro für die schnellere Fahrt zu investieren. So werden die kostenpflichtigen R-Autobahnen (das R steht für radial) im Raum Madrid täglich von weniger als 20 000 Wagen genutzt, während sich über die kostenfreien Strecken täglich in beide Richtungen eine Fahrzeuglawine wälzt. Die Lage verschlimmerte sich mit dem Platzen der Immobilienblase Anfang 2008: Viele der Satellitensiedlungen, die die R-Autobahnen an das Autobahnnetz anbinden sollten, wurden nicht gebaut. Geblieben sind verfallende Rohbausiedlungen als Mahnmale aus dem Größenwahn der Aznar- und der Zapatero-Zeit.

Die Genehmigungen liefen überhastet und nachlässig, heute klagen Grundbesitzer

Nicht anders sieht es im völlig zugebauten Raum Marbella an der Costa del Sol aus: Maut zahlen die Touristen, die Angst haben, sich im lokalen Straßennetz zu verlieren, während die Einheimischen einen weiten Bogen um die Strecken machen, ebenso wie die spanischen Lastwagenfahrer, die somit weiter die Luft in den Ortschaften auf ihrem Weg verpesten.

Der Bau der offenkundig überflüssigen Autobahnen brachte überdies Folgekosten mit sich, die bei der Planung viel zu niedrig angesetzt worden waren: Die Genehmigungsverfahren wurden im Zeitalter des Baubooms schlecht und überhastet vorbereitet, es herrschte ein Klima des Laisser-faire und der groben Fahrlässigkeit in den chronisch korrupten Baubehörden. Die Nachlässigkeiten führten zu zahlreichen Zivilprozessen, in denen zwangsenteignete Grundbesitzer deutlich höhere Entschädigungen durchsetzen konnten als ursprünglich veranschlagt. Mehr als 600 Millionen Euro wurden bereits fällig, die Summe dürfte weiter wachsen. Eingeplant waren ursprünglich 40 Millionen. Dafür waren die Schätzungen über das Fahrzeugaufkommen auf den Mautstrecken grotesk überhöht.

Die Europäische Kommission hatte noch im Sommer empfohlen, das gesamte spanische Autobahnnetz zu privatisieren und Maut zu erheben. So könne der Staat jährlich bis zu 100 Milliarden Euro einsparen, rechneten Verkehrsexperten aus. Daraus wird nun erst einmal nichts. Der spanische Weg aus der Krise bleibt beschwerlich und ist nicht frei von Rückschlägen.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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