Siemens:Morddrohungen per E-Mail

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Der Fall des ehemaligen Chefs von Siemens-Griechenland, Christoforakos, wird immer bizarrer: Er hat mehrere Morddrohungen erhalten - von Lucius Malfoy, dem Hauptbösewicht in den Harry-Potter-Büchern.

Klaus Ott

Seit zwei Wochen sitzt Michael Christoforakos in München-Stadelheim im Gefängnis, und womöglich ist das derzeit der sicherste Ort für den früheren Chef von Siemens Hellas, dem griechischen Ableger des weltweit agierenden Industriekonzerns. Denn: Es gibt Morddrohungen gegen ihn. Der einstige Topmanager, der eine Schlüsselfigur im Schmiergeldskandal bei Siemens ist, war vor der heimischen Justiz nach München geflohen, hier gefasst worden, und befindet sich nun in Auslieferungshaft. Inzwischen wird auch in Deutschenland gegen ihn ermittelt.

Korruption bei Siemens - was weiß Michael Christoforakos? (Foto: Foto: AP)

Auf der Athener Bühne spielt Christoforakos die Hauptrolle in einer Tragikomödie, die dort bis in höchste Kreise führen soll. Siemens hat nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaften in Athen und München Politiker und Parteien bestochen, um in Griechenland lukrative Aufträge der nationalen Telefongesellschaft, der Armee, für die Olympischen Sommerspiele 2004 und für andere Projekte zu erhalten. Das erhitzt die Gemüter und bringt den früheren Chef von Siemens Hellas inzwischen offenbar in Lebensgefahr. Bei den beiden Münchner Anwälten des Griechen, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, sind anonyme Morddrohungen per E-Mail eingegangen.

"Wir warten auf ihn"

Der Mann aus Athen sei Partner der dortigen Regierungen und Freund der Politiker gewesen; falls er in die Heimat zurückkehre, werde er nicht älter werden, lautet eine Warnung. In einer anderen Botschaft steht, der langjährige Siemens-Manager werde bekommen, was er verdiene. Wer glaube, der Deutsch-Grieche werde am Leben bleiben, der irre sich. Stefan Kursawe und Daniel Peter, die Christoforakos in München verteidigen, nehmen die Drohungen ernst.

Auch ein deutscher Geheimdienst soll um Christoforakos besorgt gewesen sein, als der Mann aus Athen vor der dortigen Justiz nach München geflohen und hier noch nicht gefasst worden war. In Griechenland gibt es eine radikale autonome Szene, der vieles zuzutrauen ist. Darunter auch Anschläge auf verhasste Repräsentanten des sogenannten Establishments. "Wir warten auf ihn", heißt es in einer der beiden anonymen E-Mails an die Münchner Anwälte des früheren Siemens-Managers. Der Absender dieser Morddrohung nennt sich Lucius Malfoy. Das ist einer der Hauptbösewichte in den Harry-Potter-Büchern. Malfoy schreckt vor nichts zurück. Der anonyme Absender auch nicht?

Sicherheitssystem für die Sommerspiele 2004

Dieser Tage hat Christoforakos noch mehr Post mit bizarrem Inhalt bekommen, wenn auch in ganz anderer Hinsicht. Die Staatsanwaltschaft in Athen, die seiner endlich habhaft werden will, hat einen zweiten Haftbefehl nach München geschickt. Das soll die Auslieferung beschleunigen. Im ersten Haftbefehl, der aus dem Mai stammt, werden dem früheren Chef von Siemens Hellas Schmiergeldzahlungen an die nationale Telefongesellschaft OTE angelastet. Jetzt legt die Athener Staatsanwaltschaft kräftig nach. Christoforakos soll den griechischen Staat um knapp 255 Millionen Euro betrogen haben. Seine Anwälte Kursawe und Peter weisen das ebenso zurück wie die Bestechungsvorwürfe bei der OTE.

Die Athener Staatsanwaltschaft schreibt im zweiten Haftbefehl, Christoforakos habe mit falschen Angaben einen Großauftrag für Siemens bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen erschwindelt. Siemens wirkte damals als Subunternehmer in einem Konsortium namens SAIC (Science Applications International Cooporation) mit, das den Zuschlag für das Sicherheitssystem C4I erhalten hatte. Der Industriekonzern durfte unter anderem Polizei, Feuerwehr, Küstenwache und mehrere Ministerien elektronisch miteinander vernetzen.

Der Millionen-Zoff

Jetzt behauptet die Staatsanwaltschaft in Athen plötzlich, Siemens sei dazu gar nicht in der Lage gewesen, und Christoforakos habe das gewusst. Trotzdem habe der damalige Chef von Siemens Hellas zusammen mit anderen Beteiligten den griechischen Staat "überzeugt", dem Konsortium den Auftrag für das Sicherheitssystem C4I zu erteilen. Der Vertrag sei am 19. Mai 2003 abgeschlossen worden, die Auftragssumme in Höhe von knapp 255 Millionen Euro sei längst bezahlt. Der griechische Staat habe das Sicherheitssystem aber "bis zum heutigen Tage nicht erhalten", es sei zu keinem Zeitpunkt vollständig übergeben worden.

Das sei alles "frei erfunden" sagt Christoforakos-Anwalt Kursawe. Siemens äußert sich nicht dazu. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat das SAIC-Konsortium das Sicherheitssystem C4I längst übergeben. SAIC und der griechische Staat sollen noch um einige Millionen Euro streiten, wobei die Forderungen des Konsortiums die des Staates weit übersteigen.

Merkwürdig auch: Zweieinhalb Jahre währt der Schmiergeldskandal bei Siemens schon, doch der Vorwurf eines 255-Millionen-Euro-Betrugs ist bislang noch nie erhoben worden. Und das, obwohl die Akten in München und Athen voll sind mit Ermittlungsergebnissen zu C4I und anderen Projekten in Griechenland. Verwunderlich ist auch, dass die Staatsanwaltschaft in Athen im zweiten Haftbefehl nicht erwähnt, wie Siemens an den Auftrag für das Sicherheitssystem gelangt sein soll. Mehrere Beschuldigte haben ausgesagt, insgesamt vier Ministerien seien offenbar bestochen worden.

Millionen für die Parteien

Die Ermittlungsakten enthalten noch mehr heiklen Stoff. Demnach hat Siemens die beiden großen Parteien des Landes heimlich mit Geldgaben in Millionenhöhe finanziert, um sich so Staatsaufträge zu sichern. Dafür soll Christoforakos zuständig gewesen sein, und er hat das inzwischen gegenüber der Münchner Staatsanwaltschaft zugegeben. Außerdem soll er sich persönlich um Zuwendungen an bedeutende Politiker gekümmert haben.

Von all dem ist in den beiden Haftbefehlen der Athener Staatsanwaltschaft gegen Christoforakos keine Rede, obwohl die griechischen Strafverfolger diese Ermittlungsergebnisse aus den Akten und aus eigenen Vernehmungen bestens kennen. In Griechenland droht dem ehemaligen Chef von Siemens Hellas lebenslange Haft. Soll der einstige Topmanager weggesperrt werden, um ihn zum Schweigen zu bringen und so einen politischen Skandal zu verhindern?

Oberlandesgericht entscheidet

Dazu müsste Christoforakos freilich erst ausgeliefert werden, und das wollen seine Anwälte verhindern. In Athen bestehe Lebensgefahr für ihren Mandanten, selbst im Gefängnis, sagen Kursawe und Peter. Sie setzen darauf, dass er als deutscher Staatsbürger in München für die Schmiergeldzahlungen bestraft wird und wegen derselben Delikte in Griechenland nicht noch einmal belangt werden kann.

Demnächst entscheidet das Oberlandesgericht München, ob Christoforakos nach Athen zurückgeschickt wird oder in Deutschland bleibt.

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