Siemens:Im Milliardentakt

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Joe Kaeser arbeitet seit 36 Jahren bei Siemens, jetzt plant er mit Milliardenzukäufen in spezialisierte Softwareunternehmen die Zukunft. (Foto: Seong Joon Cho/Bloomberg)

Siemens-Chef Joe Kaeser stellt den Konzern auf den Kopf: Er kauft für 4,5 Milliarden Dollar die Software-Firma Mentor Graphics. Die Münchner rüsten sich damit für Industrie 4.0.

Von Caspar Busse und Thomas Fromm, München

Es gibt wohl wenige Unternehmen, die so unterschiedliche Phasen durchleben wie Siemens. Mal passierte wenig, der Konzern arbeitet einfach vor sich hin. Aber es gab auch Phasen, in denen sich alles veränderte. Das war um die Jahrtausendwende so, als der Konzern sein Halbleiterhergeschäft unter dem Namen Infineon ausgliederte. Oder als der Konzern vor mehr als zehn Jahren damit begann, sein Kommunikations- und Telefongeschäft aufzugeben. Oder als er sich vor drei Jahren von seiner Licht-Firma Osram trennte. Jetzt ist es wieder so.

Am Montag kündigte der Konzern überraschend an, den US-Softwarespezialisten Mentor Graphics zu übernehmen - für die Summe von 4,5 Milliarden Dollar. Finanzvorstand Ralf Thomas sprach von einem "fundamentalen Meilenstein". Der "Meilenstein" soll bereits in drei Jahren zum Gewinn von Siemens beitragen. Aber der Kaufpreis erscheint hoch. Zukunft ist eben teuer.

Die Münchner wittern hinter der Digitalisierung der Fabriken das ganz große Geschäft

Das Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Oregon produziert vor allem Software für den Bau von Halbleitern, just aus dem Chip-Geschäft war der Industriekonzern vor Jahren ausgestiegen, als er Infineon an die Börse brachte. Das Argument damals: Das Chip-Geschäft sei mit seinen heftigen Auf und Ab zu anfällig für Schwankungen und daher nur schwer vorhersehbar. Mentor Graphics hat nun ausgerechnet Infineon und damit indirekt auch andere Industriebereiche wie Autokonzerne und ihre Zulieferer sowie Luftfahrtunternehmen unter Vertrag. Finanzchef Thomas betonte aber: "Wir steigen nicht wieder in das Geschäft mit Halbleitern ein." Es gehe vielmehr um die Positionierung als Systemlieferant. Klar ist: Kaeser arbeitet weiter seinen großen Zukunftsplan ab. Siemens soll einer der großen Spieler auf dem Markt für die Digitalisierung der Industrie werden.

Vor zwei Jahren kauften die Münchner für fast acht Milliarden Dollar den amerikanischen Ölindustrieausrüster Dresser-Rand, auch hier galt der Preis als sehr hoch. Zuletzt legten sie ihr Windgeschäft mit denen des Rivalen Gamesa zusammen. Nun ist es wieder so weit, es ist Umbauzeit, und wenn Siemens umbaut, geht es um Milliarden.

Wie in diesem neuen Fall. Stück für Stück arbeitet sich das Unternehmen voran, Übernahme für Übernahme in Richtung Industrie 4.0: Die Münchner hatten bereits vor zehn Jahren die US-Softwarefirmen UGS gekauft; zuletzt griffen sie bei der US-Firma CD-Adapco zu. Allein diese Industriesoftware-Firma ließ sich Kaeser Anfang des Jahres etwa eine Milliarde Dollar kosten. Vergangene Woche dann beteiligte man sich an dem kleineren Simulations-Anbieter Bentley Systems. Und nun also Mentor Graphics, ein Unternehmen mit 5700 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Dollar. Siemens, 1847 in Berlin gegründet, und die Industrie 4.0: Milliarden gibt das Unternehmen für ein Geschäft aus, von dem man sich eine große und profitable Zukunft erwartet.

Im vergangenen Geschäftsjahr hatte Siemens mit Software und digitalen Dienstleistungen erst an die 4,3 Milliarden Euro umgesetzt - bei einem Gesamtumsatz von knapp 80 Milliarden Euro. Allerdings soll das nicht so bleiben: Kaeser will digitale Geschäfte bis zum Jahre 2020 zu einem der wichtigsten Standbeine des Unternehmens machen. "Mentor komplementiert unser starkes Angebot bei Mechanik und Software mit dem Design, Test und der Simulation von elektrischen und elektronischen Systemen", sagte der zuständige Siemens-Vorstand Klaus Helmrich.

Die lukrative Zukunft hat schon heute ihren Preis: An der Börse war Mentor Graphics zuletzt an die 3,3 Milliarden Dollar wert - Siemens zahlt nun mit 4,5 Milliarden Dollar ein Fünftel mehr. Die Anteilseigner erhalten nun 37,25 Dollar pro Aktie. Großaktionär Elliott, ein Hedgefonds aus New York, war erst vor zwei Monaten mit gut acht Prozent bei Mentor eingestiegen. Elliott unterstütze die Transaktion, teilte Siemens mit. Kein Wunder, es ist auch ein üppiger Aufschlag - für ein vielversprechendes Geschäft, das es dem Konzern nun erlaube, "auf die gesamte Kette" der Produkte zu schauen, so der Siemens-Software-Manager Chuck Grindstaff. Das bedeutet: Siemens, früher einmal unter anderem ein Kommunikationsunternehmen, heute vor allem Medizintechnikanbieter, Industrieautomatisierer, Bahnausrüster und Energietechniker, wird immer mehr zu einem Digital-Konzern. Denn hier sind die Margen gut.

Erst in der vergangenen Woche hatte Kaeser eine gute Gesamtbilanz präsentiert. Der Umsatz stieg währungsbereinigt um sechs Prozent, der Gewinn aus dem laufenden Geschäft sogar um 13 Prozent. Die Aussichten sind gegen den Trend der Industrie auch gut: Umsatz und Gewinn sollen weiter zulegen, sagte Kaeser. Die Münchner versprechen sich gute Geschäfte, unter anderem auch mit der Fabrikautomatisierung. Die Aktie legte am Montag nach der Mitteilung leicht zu, sie notiert derzeit nahe 110 Euro und damit so hoch wie zuletzt vor 16 Jahren, damals war die Börse noch im Internetfieber.

Der Wandel bei Siemens ist unübersehbar, auch wenn Übernahmen in den USA Siemens selten viel Glück brachten. So soll unter anderem die Medizintechnik, die zweitgrößte und ertragsstärkste Sparte, demnächst an die Börse gehen. Einzelheiten zum Zeitplan gab Kaeser noch nicht preis. Auch vermied er ein klares Bekenntnis, dass die Mehrheit im Konzern bleiben soll. Der Konzernchef sagte lediglich, dass die Medizintechnik "eines der wichtigsten Geschäfte" bleiben werde.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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